Der hohe Preis

Die fabelhafte Julie Paradise geht neuerdings wieder in die Uni und beschreibt genau das, was mich beim Gedanken an mein braches Studium verzagen lässt.
Dabei ist die Vorstellung vom unbeurlaubten Studentsein so gut. Studieren mit Kind(ern) bedeutet mitunter zwar unglaubliche Anstrengung, Überforderungsgefühle, latente Zeitknappheit aber eben auch Autonomie, geistige Herausforderung und ein poliertes Ego – da habe ich durchaus Bedarf als Mutter in 2 Jahre währender Elternzeit.
Wie verlockend: Den Master beenden, mir nächte- und tagelang am Schreibtisch Zeit und Bücher um die Ohren schlagen. Lernen und lesen und schreiben und essen, wenn man Hunger hat, irgendwas, Verantwortung für keinen außer sich selbst und leise muss es sein. Wie habe ich das gemocht, mich einer Hausarbeit, einer Klausur voll hinzugeben.
So studiere ich und habe keine Ahnung, wie das mit Kind für mich funktionieren soll. Man müsste runterschrauben, nur dann Veranstaltungen besuchen, wenn das Kind bei der Oma ist, denn einen Kindergartenplatz haben wir nicht bekommen. Aber dann werden aus vier Semestern Regelstudienzeit schnell mal sechs oder sieben und das BAföG-Amt hat sich längst verabschiedet.
Und: Der Mann studiert selbst. Spät kommt er nach Hause und dann verschwindet er in Büchern und Lernplänen. Am Wochenende auch. Der Bologna-Prozess ist nicht für Familien gemacht.
Mit beiden Eltern, die so leben, wie soll das Kind da leben?
Der Bachelor muss reichen. Vorerst. Ich werde also arbeiten. In Teilzeit. Die Arbeit hat dem Studium gegenüber nämlich einen Vorteil: Es gibt das Wort Feierabend.

Der Tag

begann mit einer sehr verdutzten Dr. Schmotzen, die zu den Klängen der unvermeidlichen Kindergeburtstagsmusik des Rolf Z. aus dem Bett in ein kerzenbeschienenes, lufballonbehangenes, geschenkverpacktes Wohnzimmer trat. Und dort ihr blaues Wunder erlebte.

Ein Buch wurde von mir, eine Anne-Kaffekanne-CD von Monsieur LeGimpsi dargeboten und kurzentschlossen ausgepackt. Wir wickeln unsere Geschenke immer in Zeitungspapier. Hachja, Print. Die Ästhetik der Illustrationen und Eignung als Geschenkverpackung ist übrigens unser erstes Kriterium bei der Abowahl.

Die fernen Großeltern schickten ein großes Paket und lösten mit dem Zoo von Duplo Erstaunen aus. Dr. Schmotzen hat das Lego-Prinzip noch nicht ganz durchdrungen. Ihre Eltern indes nostalgisieren und werden die Nacht wohl damit verbringen, Tierparks in all ihren Formen zusammenzustecken.
Oma, Opa und der Onkel kamen und brachten ein bislang respektvoll beäugtes Lauflernrad, gemütlichste Winterstiefel sowie ein Fädelspiel, das Geduld und Motorik herausfodert.
Das Kind rotiert seither von einer Attraktion zur nächsten und legt zwischendurch gern einen Zwischenstopp am Kuchentisch ein.

Am Ende des Tages ist Dr. Schmotzen ein Geburtstagsprofi geworden, der morgen wohl den ersten Blues seines Lebens haben wird. Aber bald ist ja Weihnachten.

Heute vor zwei Jahren

haben Monsieur LeGimpsi und ich sehr gespannt gewartet. Mein hyperemesis gravidarischer Zustand dauerte mit diesem Tag genau neun Monate und sollte sich endlich selbst abschaffen. Ein ganzer Sommer lang war der 28. Oktober die Grenze zum neuen Leben. Alles würde sich an diesem Tag ändern: Von da an, sollte Dr. Schmotzen bei uns wohnen.
Nun gestaltete sich der 28. Oktober 2008 als sehr gewöhnlich. Keine hektischen Taxirufe in der Nacht, keine Fruchtwasserverluste bei Karstadt, kein Notkaiserschnitt im Treppenhaus: Wir waren keine Eltern.
An diesem Tag, abends, gingen Monsieur LeGimpsi und ich in den Park. Ich sprang von Bordsteinkanten und Mauern, lief vom einen Ende zum andern, bückte mich nach jeder Kastanie und erklomm später mehrmals den dritten Stock. Dann spazierte ich in die Stadt und investierte in Wolle. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich allein nach Hause ging, die kalte Luft um mich herum, Dr. Schmotzen in mir drin.
24 Stunden später dachte ich daran zurück und wusste, damals war das ein ganz anderer Mensch.
Am nächsten Morgen um fünf fing an, was der schlimmste und schönste Tag meines Leben werden sollte.

Ahorn

In unserem Garten steht ein Ahornbaum. Er hat so viele Blätter und ist so dicht gewachsen, dass, wenn man sich bei Regen unter ihn stellt, man nicht nass wird. Ich mag ihn gerne leiden. Vielleicht beginne ich eine Jahreszeitenchronik über diesen Baum und nenne sie Der Ahorn – ein Baum im Wandel der Zeit. Das hört sich schön nach 60er Jahre Industriestadtdokumentation an und ist schlimmer als Katzencontent. Es könnte jedoch mein Interesse an Botanik erwachen lassen. Möglicherweise finde ich dann sogar Gefallen an Rasenmähen, also das ist es auf jeden Fall Wert.

Stell Dir das mal vor

Dr. Schmotzen hat bald Geburtstag. Wenn man sagt: „Dr. Schmotzen, bald hast Du Geburtstag“, hebt sie Daumen und Zeigefinger und informiert gewichtig „jaje“, dass es sich bei dieser Angabe um Jahre handelt.
Dass es nicht einfach ist, einer fast 2jährigen Geschenke zu machen, sei bekannt. Und so haben Monsieur Le Gimpsi und ich uns geeinigt, ihr zwei klassische Gaben zu überreichen. Weihrauch und Myrrhe Ein Buch und eine CD. So kann jeder in seinem Ressort bleiben.
Monsieur Le Gimpsi wird den Sound seiner Kindheit Anne Kaffekanne schenken. Das weiß er schon ziemlich lange und freut sich, auf der Party in Dr. Schmotzens Kinderzimmer aufzulegen. Ich indes habe den heutigen Vormittag in der Buchhandlung meines Vertrauens verbracht und fand das so großartige wie neu erschienene Buch „Meine große kleine Welt“ von Marianne Dubuc.
Es kommt in handlichem Format daher, die Seiten sind stabil, kleine Kinderhände finden sich hier gut zurecht. Dubucs Buch ist eine Reise. Sie fängt an einem Haus an, führt in ein Kinderzimmer, in das hier befindliche Märchenbuch, von dort aus in einen Wald, in einen Berg, ins Weltall, aufs Meer, in den Zoo, in die Stadt und endet an bekanntem Haus. Dubuc wechselt vom Kleinen ins Große, vom Realen ins Phantastische, vom Hellen ins Dunkle und wieder zurück. Sie ist sparsam mit Text und Illustration und lässt dem Leser Raum. Auf jeder Seite entstehen neue Angebote, die Leerstellen mit eigenem Material zu füllen. Dubuc verflicht die Dinge, sie betrachtet Einzelnes und geht dann über eine Verbindung zum Nächsten. Eine Perlenkette von Begegnungen. Umblättern erhält eine besondere Funktion, wird zum Entdecken und somit Teil des Lesens.
Sie wird sich freuen, Dr. Schmotzen.

Freunde der Suppe

sind Dr. Schmotzen und ich. Und sobald Monsieur LeGimpsi das Haus verlässt, stürmen wir zum Gemüsefach, holen Zwiebeln, Kartoffeln, Karotten und Ingwer hervor und basteln daraus die unsägliche Möhren-Ingwer Suppe.
Für Kerstin Greiner das Sinnbild der Gentrifizierungsproblematik, der essbare Prenzlauer Berg. Für uns, fern von rosa gestrichenen Cafés und laptopbestückten Stuttgartern, der Blick auf die dampfenden Felder, die Wärmequelle des Tages.

An den Füßen meiner Tochter

Dr. Schmotzen pflegt einen Schuhtick, jedoch nicht im herkömmlichen Sinn. Ihre Füße haben eine sehr sensible Toleranzschwelle, die dazu führt, dass Dr. Schmotzen an ihrem unteren Ende am liebsten die freie Körperkultur zelebriert. Das ist problematisch, denn es wird Winter.
Socken kann sie akzeptieren. Allerdings nur zu bestimmten Tageszeiten. Im Bett werden die engen Stoffhüllen an ihren Füßen nicht geduldet, steigt sie aus dem Bett, herrscht eine 15 minütige sockenfreie Karenzzeit, dann gibt sie grünes Licht.
Betreten wir einen Schuhladen, ruft sie augenblicklich vobei, vobei! und signalisiert damit ihre Aufforderung zum sofortigen Rückzug. Niemals würde sie sich Schuhe in fremder Umgebung anziehen lassen. Selbst ich darf mir keine Schuhe mehr kaufen, ihr Stress ist zu groß.
Gummistiefel Anziehen gehört zu ihren allerschlimmsten Alpträumen. Der Anblick dieses langen, dunklen Schlunds ist unerträglich. So stapft sie mit ihren normalen Schuhen durch jede Pfütze und empört sich über die braune Brühe, die langsam ihre Socken erobert: Ohh, na__sss! ruft sie dann (und denkt, S-Endungen seien eigene Wörter) und weigert sich, nur einen Schritt weiter zu laufen mit diesen matschigen Klumpen.
Wir sind dazu übergegangen, ihr immer das gleiche Paar Schuhe in neuen Größen unterzuschieben. Da merkt sie nicht, dass ihre Füße in ungewohntes Gebiet dringen.