Zum Wehenstatus

Heute Morgen hatte ich einen Termin im Geburtshaus. Nach der ganzen Feindiagnostikangelegenheit im April und Mai habe ich mich für die restliche Vorsorge vertrauensvoll in die Hände der Hebammen begeben. Die kontrollieren auch alle relevanten Werte, sind dabei aber entspannter unterwegs, lassen sich duzen und machen mir Komplimente zu meiner Brille.
Eigentlich wollte ich von vornherein alle Vorsorgetermine bei einer Hebamme stattfinden lassen. Aber dann brauchte ich die ganzen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wegen der schlimmen ersten neunzehn Wochen, dann kamen die Ultraschalluntersuchungen wegen der kurzzeitig vermuteten Fehlbildung und am Ende hab ich soviel in Arztpraxen rumgehangen wie noch nie in meinem Leben.
Nun ja, die junge Dame in mir erfreut sich herztonmäßig jedenfalls bester Gesundheit, hat sich schon ganz ordentlich abgesenkt und bewegt sich nur noch wie ein träger Wasserbüffel durch meinen Bauch. Das allerdings haben wir gemein, meine Höchstgeschwindigkeit beträgt mittlerweile unter zwanzig Schritte die Minute, Grünphasen an Fußgängerampeln schaffe ich nicht mehr. Ich versuche das immer zu kaschieren, indem ich so schaue, als würde ich selbstbestimmt schlendern, das ist natürlich alles gelogen, eigentlich renne ich.

Und weil ich eh schon in der Stadt war und gerade zufällig der beste Sushiladen weit und breit seine Mittagstore öffnete und ich wirklich Lust auf ein Sushipicknick im Garten bekam, hab ich das dann in einem Akt der Selbstfürsorge auch gemacht. Sushifeste sind in meinem Leben eh äußerst rar, da muss ich die feiern, wie sie fallen. Monsieur LeGimpsi, wenn du das jetzt hier liest, das verstehst du doch, oder? Das heute war ne Einzelparty, da hättest du dich nur gelangweilt.
Natürlich alles vegetarisch und alles sehr, sehr fein.

Monsieur LeGimpsi ist im Moment eh eine große Knallerbse. Irgendwo hat er gelesen, dass der zeitliche Abstand zwischen Senkwehen und Geburt beim zweiten Kind mitunter kürzer ist, als beim ersten. Und seit er erfahren hat, dass sich bei mir schon was gesenkt hat, ist er völlig aus dem Häuschen. Alle paar Minuten fragt er schriftlich meinen Wehenstatus ab und trägt ihn dann heimlich in ein Koordinatensystem ein. Dabei kann der gar kein Analysis! Und Wehen gibts auch keine. Oder er stellt so merkwürdige Fragen aus dem Glücksspielmilieu, wie viel ich darauf wetten würde, dass das Kind zum Zeitpunkt x (x = Donnerstagvormittag oder Samstag am frühen Abend, oder so) kommt und erwartet von mir dann ne belastbare Antwort. Manchmal, wenn er mich grad wieder nach dem Wehenstatus fragt, suche ich bei Google nach Bildern von Neugeborenen und schick ihm eins und schreibe, dass die letzte Wehe grad erfolgreich abgeklungen sei und dann ärgert er sich und sagt, meine Witze würden immer schlechter. Monsieur LeGimpsi, den werd ich in nächster Zeit im Auge behalten müssen.

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Ganz anders die Tochter, die sich überhaupt nicht so hühnerhaft anstellt, sondern profimäßig und gelassen an die Sache rangeht. Und trotzdem hat sie in ihrem Herzen schon ein ganz schön großes Fleckchen Freifläche für die Schwester reserviert.
Wie alle großen Geschwister bekommt sie nach der Geburt ein Geschenk, das habe ich heute eingepackt. Und eine Karte dazu geschrieben, das hat mir direkt den Stecker gezogen. Aber dann kam eine neue Erkundigung des Mannes, wie der Wehenstatus sei und da hab ich mich dann schnell wieder beruhigt.

Morgen beginnt der Monat, in dem unser zweites Kind geboren wird, crazy shit.

huch, ein Kaffee

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Zum ersten Mal seit Oktober Lust auf nen Kaffee gehabt. Draußen regnet es und im Garten baut sich eine Maus ihr Haus.

Reden mit dem Kind

Das Kind hat mitbekommen, dass sein Lieblingsgeschichtenerzähler Harry Rowohlt nicht mehr lebt. Wir haben dann über Fluch und Segen der Übersetzungstätigkeit gesprochen. Fluch, weil Übersetzung immer in den literarischen Text eingreift und ihn verändert. Ich bin da ziemlich konservativ: Ein Kunstwerk, an dem nach der Fertigstellung ein bestenfalls fähiger, qualifizierter Handwerker rumgeschraubt hat, ist nur noch eine Version des ursprünglichen Kunstwerks. Sie ist verändert, was ja erstmal kein Qualitätsurteil ist (bei Rowohlt war die Übersetzung sogar oft besser als das Original, aber Rowohlt selbst war ja möglicherweise auch eher Künstler als Handwerker). Aber mich interessiert halt eher das Original, weil ich der Meinung bin, dass dort die meiste Dichte und Power drinsteckt. Und Segen, weil die Übersetzung uns natürlich Zugang zu einem unendlich großen Haufen Kulturgütern verschafft, der uns durch die Sprachbarriere sonst verwehrt bliebe. Das Kind sieht darin einen viel größeren Wert und ist natürlich Team Segen.
Es wird immer schöner, mit dem Kind zu reden. Es wird gleichzeitig immer komplizierter, dem Kind Dinge zu erklären, es geht dabei differenzierter und differenzierter vor sich. Und je differenzierter es vor sich geht, desto mehr Grundlagenwissen muss erläuternd in das Kind rein. Man landet dabei fast immer bei anthropologischen oder naturwissenschaftlichen Basisannahmen, wobei ich von letzteren erstaunlich wenig weiß. Und es gleicht didaktisch ganz oft der Lösung eines Rätsels, einen Weg zu finden und zu bauen, den das Kind versteht und der so ausführlich wie möglich und simpel wie nötig ist, um des Kindes Kopf mit neuem Denkmaterial zu füllen. Oft hab ich zu Beginn der Unterhaltung dann meinen Mathelehrer im Ohr, der sagte immer: Ist von Lösung keine Spur, zeichne eine Planfigur. Und so mach ich das dann, mit Stift und Papier.

Liebes Kind,

dieser interessant harte Widerstand, den du so gern mit deinen Füßen untersuchst, ist mein Rippenbogen. Mein Rippenbogen ist Teil der natürlichen Abgrenzung meines Oberkörpers nach außen. Er schützt mich vor Stößen, Raubtierangriffen und stabilisiert meine Haltung. Es gibt ihn, seit ich mich kenne. Er ist fest mit mir verwachsen. Ich kann verstehen, dass es in deinem weichen, elastischen Raum eine Freude ist, andere Materialien zu erkunden. Dennoch möchte ich dich einladen, meine anatomischen Grenzen zu respektieren und auf gröbere Gewalteinwirkung zu verzichten. Weiterhin auf gute Nachbarschaft.

Von stillen Mächten

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Heute haben wir jemanden beerdigt, der zu meiner Großelterngeneration gehört. Auch wenn sie nicht meine Großmutter war, sondern die Lebensgefährtin meines Opas, hat sich mit ihrem Tod das letzte Mitglied dieses Kreises verabschiedet. In den letzten fünf Jahren sind all meine Großeltern gestorben und mit ihnen mein persönlicher, verwandter Zugang zu dieser Generation. Ich habe jetzt quasi keinen direkten Austausch mit Leuten über achtzig mehr, stelle ich fest. Die gibts in meinem Alltag nicht. Eigentlich liegt die Altersgrenze meiner Bezugsgruppe bei sechzig. Die sechzigjährige Landbevölkerung ist pillepalle, was hat die schon erlebt, was kann die schon erzählen?
Auch mein Vater lebt nicht mehr. Ich war eigentlich noch nie neidisch auf anderer Leute Väter. In meinem Alter ist es normal, dass die eigenen Eltern noch leben. Fast jeder hat also einen Vater und der taucht in den Gesprächen öfter mal auf. Das macht mir nix, ich kann ja schlecht auf fast alle Gleichaltrigen neidisch sein, da bekommt man direkt graue Zähne.
Aber bei der Tatsache, dass viele von ihnen zusätzlich noch Großeltern haben, wenn auch selten paarweise, eher so vereinzelt mal ne verwitwete Oma hier oder nen alleinstehenden Opa dort, werd ich wirklich neidisch. Dass die mit diesen aus der Zeit gefallenen Leuten an einem Tisch sitzen können und ihre eigene Sprache mit ihnen haben und ihre eigenen Geschichten mit ihnen erzählen, dass sie in großelterlicher Liebe angeschaut werden und nicht nur den Kinderstatus bei ihren Eltern, sondern dazu noch den Enkelkindstatus besitzen, das zieht mir manchmal wirklich den Stecker. Im Laufe eines Lebens kommen diese Möglichkeiten abhanden und sie kehren nicht wieder zurück. Wie schade.

Ich hab Zeit und vermisse nichts

So, erster offizieller Mutterschutztag heute. Fühlt sich jetzt auch nicht anders an als die vergangenen neunundvierzig Urlaubstage. Hab mich schon ganz gut im Flow der unermesslich großen Menge an Freizeit festgetackert. Werde als Rentnerin sehr wohl zurechtkommen, das weiß ich jetzt. Überlege sogar hin und wieder, mir einen Hund anzuschaffen, das macht man als Einsiedler doch so. Andererseits sind wir ja grad dabei, uns einen Menschen anzuschaffen, in wenigen Wochen hats mit der ganzen Gemütlichkeit und Rumlungerei eh ein Ende, dann würde der Hund eher stören. Vielleicht kann man Hunde zur Zwischenmiete halten?
Habe in den letzten vierzehn Tagen ein zwölf Quadratmeter großes Zimmer gestrichen und nur eine Pinselrolle dafür gebraucht. Das war mir wichtig. Faulheit ist ok, aber sparsam muss man dabei sein. Habe also jeden Tag mehr Zeit darauf verwendet, den Pinsel auszuwaschen, als tatsächlich zu streichen.
Wenn man so viel Zeit hat wie ich, dann kann man alles ganz langsam machen. Dann streicht man ein Stückchen und setzt sich erstmal hin und schaut. Und dann klebt man ein bisschen Fußleiste ab und wischt ein paar Farbkleckse vom Boden und liest sich an den alten Tageszeitungen fest, die gegen die gröbste Sauerei ausliegen und dann erfährt man, dass das Hallenbad einen neuen Eingang bekommt und daher vorübergehend schließen wird und es macht sich Erleichterung breit, dass äußere Umstände einen nun ja daran hindern werden, endlich mal ein paar Bahnen schwimmen zu müssen. Dazu hört man alte Sanft & Sorgfältig-Folgen und schwups ist auch schon wieder der halbe Vormittag vorbei und es muss gekocht werden.

Processed with VSCOcam with m5 presetZum Beispiel Nudeln mit Gemüse und westlich adaptierten asiatischen Gewürzen: Westlich adaptierte Gewürze (1 TL Garam Masala, 1 EL rote Currypaste) und Gemüse (2 Karotten, 1/2 Zucchini, 2 Champignons, 1/2 Paprika, 2 Frühlingszwiebeln) in Öl andünsten, 200 g Spaghettini und 500 ml Gemüsebrühe dazugeben und zehn Minuten köcheln lassen, öfter mal umrühren. Mit Sojasauce abschmecken, Frühlingszwiebelgrün und Sesam druffstreuen.

Processed with VSCOcam with f2 presetUnd dann legt man sich aufs Sofa und strickt an der achtunddreißigsten Babydecke. Wobei dieses Modell mir wirklich gut gelungen ist, die Ränder sehen ordentlich aus, die Maschen durchweg auch, sogar die Fäden hab ich sauber vernäht. Ist aber auch das simpelste und entspannendste Rumgestricke, das man sich vorstellen kann: 120 Maschen anschlagen und fortan kraus rechts stricken, die erste Masche einer Reihe jeweils bloß abheben. Wenn das Knäuel aufgebraucht ist zu einer anderen Farbe wechseln.

Neben der ganzen Zeitrumplemperei habe ich durchaus auch Termine. Der Geburtsvorbereitungskurs hat begonnen, Yoga läuft weiterhin zu meinem großen Vergnügen, immer öfter treff ich die Hebamme zur Vorsorge und nachmittags stehen eh die üblichen Veranstaltungen der Tochter an. Außerdem finden in den nächsten Wochen Kindergartenverabschiedungs- und Schuleintrittsbegrüßungszeremonien statt. Und ich fange mit der großen Wäsche an. Alle Klamotten bis Größe 62 wandern in die Waschmaschine und werden dann einsortiert. Sämtliche textile Berührungsflächen wie Kinderwagentragetasche, Autositzpolster, Tripptrappaufsatzbezug auch. So langsam werden wir startklar. Ach, ich freu mich. Es ist grad alles ziemlich schön hier.