Garten

Oh verdammich, ich hätte es wissen müssen, ein Umzug Anfang Mai fällt strategisch ungünstig in die falsche Jahreszeit. Es gibt gerade die ersten warmen Sonnentage nach dem langen Winter und ich habe mich natürlich auch dieses Jahr wieder mit Karacho in den Garten reinverknallt. Vorgestern schrieb ich eine Kolumne, warum wir eigentlich nie in den Urlaub fahren (zum Beispiel weil ich mich von Frühling bis Herbst mehrmals täglich im Garten und drumherum körperlich und nichtkörperlich erholt fühle) und da ist mir dann auch noch mal sehr klar geworden, dass wir das Land gegen die Stadt tauschen und da auch keine berittenen Pferde an unserem fünf Quadratmeter-Balkon vorbeitraben oder Mähdrescher oder Förster und barfuß laufen dann auch nicht mehr drin ist und ich tatsächlich Schuhe für die Zeit zwischen Mai und September brauche. Sowas halt. Nun ja. Was sagt ein Abschied, der gehörig traurig ist, über die vergangene Zeit? Vermutlich, dass sie schön war und das ist ja eigentlich ein guter Gedanke.

Spartacus entdeckt den Garten. Und während sie das tut, verschwindet sie aus meinem Blickfeld, manchmal sehr lang. Sobald die Terrassentür offen steht, huscht sie raus, wie eine Katze eigentlich, und weg ist sie. Treppen hoch, Treppen runter, Schubkarre schieben, auf den Hügel steigen, am Tor rütteln, unters Trampolin stellen, die Schaukel schwingen, Steine sammeln, auf der Baumbank balancieren, Fußball spielen, durchs Beet laufen, Schnecken jagen, in der schwarzen Erde buddeln, rumstrolchen, gucken, was weiß ich, was sie noch so anstellt. Zwischendurch kommt sie kurz reingelaufen, immer dreckig, trinkt einen Schluck, angelt sich eine Tomate, möchte ein Buch vorgelesen bekommen und geht dann wieder raus. Zum ersten Mal in ihrem Leben weiß ich abends nicht genau, was sie den Tag über gemacht hat.

Vorlesen, Staffel zwei

Auf einem kleinen Hügel, hinter einem braunen Zaun, unter einer großen Eiche, da ist mein Haus. Vor meinem Haus ein Rosenbäumchen.
Mama Katz sucht ihre Kätzchen, grau gestreift mit weißen Lätzchen. Die Schlingel haben sich versteckt, miau, jetzt hat sie eins entdeckt.
Kleine Tiere spielen und toben und balgen und klettern hoch oben. Doch wenn die Sonne untergeht und der Mond am Himmel steht, müssen sie schlafen wie jedes Kind, weil auch kleine Tiere müde sind.
Kuckuck, wo ist Nicki? Da, unter seinem Schmusetuch.*
Olli kann nicht einschlafen. Wo ist die kleine Ente?
Nachts, im Mondschein, lag auf einem Blatt ein kleines Ei. Und als an einem schönen Sonntagmogen die Sonne aufging, hell und warm, da schlüpfte aus dem Ei eine kleine hungrige Raupe.
Das ist die Geschichte vom kleinen Loch. Es ist nicht so groß wie der Krater eines Vulkans. Es ist auch nicht das Loch im Eis, in dem die Fische und Seehunde schwimmen.

Die Buchanfänge sind wieder da. Die ersten Lesebücher werden wieder vorgelesen und ich kann sie noch alle auswendig runterrattern. Diese ganzen kurzen, einfachen Texte mit ihrer eingängigen Metrik, vor einer Ewigkeit tausendmal Dr. Schmotzen vorgelesen, werden jetzt von Spartacus hochverehrt und mehrfach täglich angeschleppt.
Das kleine Kind spricht natürlich im Imperativ. Wenn es vom Regal zum Sofa angewackelt kommt, einen Bücherstapel vor sich hertragend, ihn mir auf den Schoß knallt, sich neben mich setzt und auf das oberste zeigend „da bu! lee!“ vorschlägt, ob man nun vielleicht gemeinsam ein Buch lesen könne, erinnert mich das alles sehr an die Zeit vor sieben Jahren.
Ich habe seit letztem Winter so gut wie nichts mehr vorgelesen. Die kleine Bücherverschlingerin unter uns liest selbst, nur die Gutnachtgeschichte wird noch von uns serviert, aber das ist ja Monsieur LeGimpsis Job.
Und jetzt geht es beim nächsten Kind wieder von vorn los. Wie schön. Vermutlich ist das die letzte Runde, das letzte Mal, dass ich dabei sein und ein bisschen begleiten darf, wenn ein Mensch auf Bücher trifft und möglicherweise auch wieder eine ziemlich gute Freundschaft entsteht. Spartacus, das wünsch ich dir.

*Wie sehr ich dieses Wort hasse. Ich nehme beim Vorlesen immer ein Synonym, anders ginge das nicht. Das mache ich überhaupt ziemlich oft, wenn Textstellen zu schlimm klingen. Meistens sind sie mir dann zu kitschig oder zu blumig formuliert. Es gibt Texte, da kann ich mir die Autorschaft am Schreibtisch sitzend vorstellen, gedanklich völlig zugedröhnt von ihrer merkwürdig versüßlichten Sprache. Für wen schreiben die denn? Was denken die denn, was Kinder anderes sind als Menschen?
Alles onomatopoetische lese ich auch nicht vor.