Gestrandet
Wir sind hart mit dem Auto liegen geblieben und es war schlimmer als man sich sowas vorstellt und besser als man sich sowas vorstellt. Schlimmer als gedacht war, wie wirklich wenig Bock man auf ein Auto hat, das an der Kreuzung einfach nicht mehr anspringt, nichtmal das Warnblinklicht. Schlimmer als gedacht war, wie viele Kilometer zwischen kaputtem Auto und Zuhause liegen. Schlimmer als gedacht war der Wochentag, nämlich Sonntag mit seinen beschränkten infrastrukturellen Möglichkeiten, und das Wetter, nämlich heiß. Schlimmer war im Vorfeld weder dem ADAC noch sonstigen Versicherungen regelmäßig Wetteinsätze für Pannenfälle und andere Hilflosigkeiten überwiesen zu haben. Schlimmer war wie wenig man mit einem Auto anfangen kann, das einfach komplett aufgegeben hat. Wie lost man sich fühlt, wenn man merkt, dass man keine den Zustand überwindenden Serviceleistungen erwerben kann, die zwar teuer wären, aber sofort verfügbar. Wie kurz alles in einem unklar wird, wenn der ADAC-Mann sagt, das sei jetzt schon echt der worst case und er kann nichts machen und das Auto bleibt jetzt in dieser random Stadt bei Gießen stehen und wenn wir einige Zeit in die eine Himmelsrichtung laufen, kommt irgendwann ein Bahnhof und von dort fährt irgendwann eine Bahn zum nächst größeren Bahnhof und von dort hangelt man sich dann über einen längeren Prozess irgendwie nach Hause. Und wenn wir aber gar nicht vom Fleck kämen, würde er uns nach seinem Feierabend um Mitternacht auch selbst noch kurz zum Zug bringen. Wie sich das Hirn kurz weigert, die Situation als Realität anzunehmen und man es dabei beobachtet, wie es immer wieder vor dieselbe Stelle derselben Wand rennt. Irgendwann zu merken, dass die beiden Fenster vorn im Auto noch unten sind und nichtmal dieses kleine dafür zuständige Knöpfchen funktioniert. Den ADAC noch ein Mal anrufen und ihn bitten, zu kommen und die Überbrückungskabel anzuschließen. Zwei weitere Stunden Wartezeit bis ein Fahrer frei ist.
Besser als gedacht war, an einem heißen Sonntag auf den einzigen schattigen vier Quadratmetern weit und breit liegen zu bleiben, neben einer McDonald’s-Filiale. Satt auch. Besser als gedacht war, keine kleinen Kinder dabei zu haben, sondern große, die Kausalketten verstehen und Bedürfnisse regulieren können. Besser war, eine gerade noch akzeptable Anzahl an Kilometern entfernt vom Abfahrtsort zu sein und dort ein privates Ersatzauto abholen zu können. Glück zu haben, ein Taxi dorthin bezahlen zu können, nicht die dreistündige Fahrt mit den verschiedene Öffentlichen machen zu müssen. Noch mehr Glück, dass das letzte Taxi des Tages gerade noch zu haben war. Glück, dass der ADAC-Mann unser Auto neben eine Werkstatt geschoben hat. Glück, dass es offensichtlich ein Ding ist, kaputte Karren jederzeit vor Werkstätten abzustellen und den Schlüssel dort in den Briefkasten zu werfen. Einfach eine Uploadfunktion am Straßenrand für reparaturbedürftige Gegenstände.
Zu merken, dass es schrittweise immer weiter geht. Sidequest: Wir brauchen einen Stift, um der Werkstatt Infos und unsere Telefonnummer aufzuschreiben. Die Achtjährige hat nur einen vertrockneten Filzstift dabei, die komplette McDonalds‘s-Filiale ist digitalisiert. Aber eine Person leiht uns einen roten Kulli. Wie sehr kann man sich für etwas bedanken. Mission accomplished.
Eine ruhige Ecke finden mit Steckdosen an der Wand. Mein Handy lädt, die Achtjährige spielt, die Vierzehnjährige hat einen Livestream zu ihren Freundinnen, wir essen McFlurry und trinken Wasser und gehen aufs Klo und warten auf Monsieur LeGimpsi mit dem privaten Ersatzauto und den ADAC-Mann, damit unsere Fensterscheiben hochgefahren werden. Den Kindern anbieten, dass sie sich andere Eltern mit heilen Autos aussuchen dürfen hier bei McDonald‘s, aber die winken ab und meinen aktuell kein Bedarf, vielleicht später. Die Kinder beginnen Verhandlungsversuche, ob am nächsten Tag Schule unbedingt nötig sei. Sie machen sich Sorgen um ihr anstehendes Schlafdefizit und unterstreichen die Fahrlässigkeit und Sinnlosigkeit bei akuter Übermüdung am Unterricht teilzunehmen. Diese Ansätze mit Verweis auf Irrelevanz sofort ins Leere laufen lassen, nice try, little suckers. Die Erleichterung irgendwann im anderen Auto zu sitzen, das Gepäck quetschen wir rein, die Kinder auf die Rückbank, los gehts. Langsam wird es dunkel draußen. Die Fahrt ist lang, wir biegen falsch ab, die Fahrt wird länger. Aber wir kommen an und schlafen in unseren Betten und dann ist alles wieder wie immer. Das Gefühl, wenn man etwas hinter sich gelassen hat.