On and on and on

Die zweite Woche war besser. Wir sind einfach die ganze Zeit zu viert in der Wohnung. Jeder Tag hat dieselbe Struktur. Bis 13 Uhr kümmern sich hier alle um Erwerbsarbeit, Schularbeit und Verwüstung des Kinderzimmers. Zwischendurch Bildschirmzeiteinheiten. Dann gibts Mittagessen und die Töchter und ich schließen uns zusammen und gehen eine Runde nach draußen. Danach Eis ausm Tiefkühlfach, Kaffeepause auf dem Balkon und lesen, vorlesen, puzzeln, brettspielen, Aufräumarbeiten. Abends Fahrradfahren im Badezimmer und früh ins Bett. Heuschnupfen.

Ich habe einen riesigen Sitzball gekauft, damit ich beim Erwerbsarbeiten am Küchentisch nicht mehr so schnell Rückenschmerzen bekomme. Sobald ich aufstehe, um mal kurz das Telefon zu holen oder einen Tee zu kochen, wird der Ball sofort von anwesenden Kindern in Besitz genommen und nur nach längerer Verhandlung wieder freigegeben.

Kinder, die bei Videocalls wie hypnotisierte Kaninchen in die Kamera schauen oder neben einem stehen und abschätzig feststellen „Mama, du arbeitest ja gar nicht, du guckst ja nur“, gehören jetzt einfach eine zeitlang dazu. Ändern aber erstaunlich wenig an der Produktivität.

Monsieur LeGimpsi hat bemerkt, dass seine Kolleg*innen bei längeren Videoterminen von ihren Partner*innen regelmäßig mit Heißgetränken und Snacks versorgt werden und bemängelt meine fehlende Bereitschaft auf diesem Gebiet der partnerschaftlichen Zuwendung. Not gonna happen. Nope. Wir sind hier doch nicht im Kanzlerbungalow.

Eine aktuell sich doch häufiger aufdrängende Fantasie von mir ist, mir vorzustellen, Monsieur LeGimpsi und ich würden hier nur zu zweit in sozialer Isolation leben (die Pandemie mit all ihren Konsequenzen mal ausgeklammert, Infektionskrankheiten sind nicht Teil meiner Sehnsüchte). Wie viel einfacher das wäre. Ein Infinitypool der Ruhe, Langsamkeit und Selbstbestimmtheit, nur von bezahlter Arbeit unterbrochen.

Social distancing fällt introvertierten Leuten wie mir vermutlich sehr viel leichter. Ich spüre keinen Mangel.

Unter Wasser

Eine Ente sein. Jetzt eine Ente sein und den Kopf ganz lange unter Wasser halten. Nicht mal um nach Snacks zu suchen oder Fische zu befreunden, sondern, weil es so schön ruhig da unten ist.
Eine Woche ausgeprägte Häuslichkeit zu viert und ich träume also davon ein regionaler Wasservogel zu sein.

Was ich auf jeden Fall weiß, ist, dass wir gerade im Übergangsstadium sind. In dem sich alles findet. Neue Prozesse wohin das Auge blickt. Sozialverträge umschreiben, aushandeln, Kompromisse suchen, lösungsorientiert bleiben, sich den Bedingungen immer wieder neu anpassen, alle Läden am Laufen halten, alle Fäden in der Hand. Übergang ist immer anstrengend, find ich. Sogar Übergang in den Urlaub. Wenn wir am ersten Tag alle orientierungslos hin und her laufen, weil die Struktur fehlt. Und jetzt ist ja Gegenteil von Urlaub.

Dankbar sein für eine Wohnung, die groß genug ist, dass die Tür hinter sich schließen kann, wer möchte. Für einen Balkon, auf dem wir in der Sonne sitzen können. Für ein Fahrrad im Badezimmer. Für Jobs, die auch im Homeoffice funktionieren. Für Jobs. Für Mails von den Lehrpersonen der großen Tochter, die alle mindestens einen guten Satz in sich tragen („Hört jetzt einfach mal auf eure Eltern!“) und die das echte Anliegen zeigen, Schule auch jetzt am Leben zu halten. An den ganzen Einzeltischen in allen Kinderzimmern. Nicht wegen der Unterrichtsinhalte, sondern weil Schule ein guter, verbindender Ort sein kann. Für tausend neue digitale Kulturangebote, wie Lesungen aus dem Wohnzimmer und den Podcast der Stunde. Für Austausch mit den Nachbarn über gekritzelte Zettel im Hausflur. Für einen kurzen Moment in einer leeren Kirche, in der jemand irgendwas in Moll in die Orgel hämmerte und ich allein in der ersten Bankreihe auf den Ständer mit Kerzen für fünfzig Cent pro Stück schaute, die alle brannten. Für uns vier. Dass wir uns haben.

„Wenn alles vorbei ist, werden wir auf dem Schulhof singen und tanzen“, schrieb der Lehrer. Etwas haben, worauf man sich freut.