Vor zwanzig Uhr

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Die Kinder sind im Bett, das eine liest, das andere schläft, der Mann tagt im Osten, es ist vor zwanzig Uhr, ich habe etwas nur für mich gekocht. Das esse ich gleich ganz allein, alles ist still und dunkel.
Das kleine Kind reißt sich morgens die Mütze vom Kopf und hält sie der Erzieherin hin, dann winkt es mir zum Abschied und wenn ich nicht augenblicklich gehe, sagt es zur Sicherheit noch Tschüss, damit ich wirklich alle Signale verstanden habe und mich vom Acker mache.
Das große Kind geht allein zur Schule und von der Schule zurück und warum auch nicht, was ist schon dabei, wie konnte mir das jemals als Hürde vorkommen, wie konnte ich sie so unterschätzen.
Wie gern ich mit der Bahn fahre. Das hätte ich nicht gedacht. Ich schaue rum, schaue aus dem Fenster, schaue ins Bilderbuch, sitze, stehe, alles schaukelt etwas, ich werde durch die Gegend befördert. Zwei Stunden lang verbringe ich jeden Tag auf dem Weg, in diesem öffentlichen Raum und in allem, was mit ihm zusammenhängt. Ich bin mit Menschen zusammen, die gibts in meinen Filterblasen nicht, die kommen da nicht vor. Unsere Knie berühren sich beim Sitzen, wir fahren gemeinsam Fahrstuhl und warten an Bahnsteigen. Sie sind müde, sie sind genervt, sie sind hungrig, sie sind alles, was man sein kann. Neulich hatte eine eine Dogge dabei und aus der Tasche zog sie einen getrockneten Schweinekopf. In der ganzen Bahn hörte man das Knacken. Einer ist immer jeanslastig angezogen. Jeanshose und etwas dunklere Jeansjacke. Aber er kann das tragen. Wenn die Bahn einfährt, brüllt Spartacus Zug! Rein da! und ich weiß, jetzt versammeln wir uns alle wieder schweigend vor den Türen, bilden eine Gasse, lassen die Leute raus, jetzt steigen wir wieder ein und suchen uns einen Platz. Einmal bin ich mit dem Auto gefahren und habe alles vermisst.
Wieviel Spaß es macht, wieder zu arbeiten.

Erster Alltag

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Guter Tag, eigentlich hat alles geklappt. Zweimal hat sich die Bahn verspätet, aber das war ok. Der Stress von der Kita zum Bahnhof und dann beim Umsteigen ist schon beträchtlich, ich muss mit dem Buggy absurd oft in Fahrstühle steigen. Da wollen aber natürlich auch die ganzen anderen Leute mit ihren Fahrrädern, Rollatoren, Rollkoffern, Rollstühlen und Kinderwagen rein. Verrückt außerdem, wie viele Menschen um zehn vor sieben schon in der Bahn sitzen.
In der Kita ist es gut gelaufen. Spartacus ist erstmal im Buggy sitzengeblieben und wurde in den Spielraum gefahren. Das fand sie kurz extrem blöd, war dann nach wenigen Momenten schon wieder beruhigt. Sie hat insgesamt nicht viel gesprochen, dafür aber gespielt, im Buggy gefrühstückt, kam dann zum Mittag an den Tisch, ist zum Ende hin wieder in ihren Buggy verschwunden. Sie hat sich helfen und trösten lassen. Das liegt zwischen den Polen Totalverweigerung und Totalverschmelzung schon ziemlich mittig und ist mehr, als ich erwartet hätte.

Dr. Schmotzen ist in einem Stück, ohne Kratzer und ziemlich pünktlich nach Hause gekommen. Auf wundersame Weise ist an genau der richtigen Stelle im Laufe des Vormittags ein Zebrastreifen gewachsen. Als ich heute Morgen die Straße entlang ging, standen dort Baustellenschilder, als Monsieur LeGimpsi das Kind später zur Schule begleitete, wurde der erste Streifen gepinselt und mittags war er dann komplett fertig. Perfekter Zeitpunkt.

Büro: War ok. : )

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September

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Heute ist September. September ist der unvorstellbar abstrakte Monat der letzten zwei Jahre. Die letzten zwei Jahre war Elternzeit, jetzt ist September und würde ich an Freitagen arbeiten, wäre heute mein erster Tag im Büro. An Freitagen arbeite ich aber nicht und so ist er erst am Montag.
Am Montag passiert viel. Ich wohne jetzt woanders als damals, vor den zwei Jahren Elternzeit. Früher bin ich mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Jetzt werde ich mit der Straßenbahn und der Regionalbahn fahren. Ich habe darauf überhaupt keine Lust, weil bestimmt ständig was schiefgeht und es regnet und ich den Schirm halte und gleichzeitig Spartacus‘ Buggy schiebe und weil ich vor und zwischen und nach den Bahnfahrten zu diversen Bahnstationen hinlaufen muss. Und wenn ich aus dem Büro komme, gehe ich schnell zur Kita und hole das Kind und muss dann weiter zum Bahnhof und mit der Regionalbahn rüber in die andere Stadt und vom Bahnhof dort zur Haltestelle laufen und von dort in meinen Stadtteil fahren und dann nach Hause laufen und wenn alles klappt, wenn nichts schiefgeht, kommen Dr. Schmotzen und ich fast gleichzeitig an, und wenn doch, ist sie vor mir zu Hause und ich werde mich vermutlich ziemlich gestresst fühlen, weil das nicht dem Plan entspricht. Und ich werde mich grundsätzlich, unabhängig, ob bei mir was schiefgeht oder nicht, auch sorgen, ob dieses Kind den Schulweg gut allein schaffen wird, ob es an den drei Ampeln auch tatsächlich auf Abbieger achtet, auf dem Zebrastreifen in alle Richtungen schaut und auf der Verkehrsinsel stehenbleibt. Ob es die Einfahrten und Ausfahrten im Blick hat und die Fahrradspur. Und falls sie alles im Griff hat, ob nicht irgendein Irrer irgendeinen dummen Fehler macht, der in Dr. Schmotzens Rechnung nicht auftaucht und auf den sie nicht eingestellt ist. Ich weiß noch genau, wie unmöglich damals vor dem ersten Schultag die Vorstellung schien, dass Dr. Schmotzen allein in einen Schulbus steigt und davonfährt. Ich stand an der Haltestelle und konnte meinen Augen nicht trauen. Das Kind stieg ein und fuhr davon. Ich hatte es gesehen, es war geschehen und mittags stieg es am gleichen Punkt sogar wieder aus. Ab dann war es völlig normal. Vermutlich wird es diesmal wieder so sein, völlig normal.
Und Spartacus wird in die Kita gehen. Wir haben jetzt drei Wochen zusammen geübt und die Erfolge sind spärlich. Das wird nicht ohne Tränen laufen. Gestern am letzten Tag der Eingewöhnung haben wir es zum ersten Mal darauf ankommen lassen und die Tür geschlossen. Sie konnte dann nicht mehr zu mir. Ich saß im Vorraum und habe ihre Wut gehört. Sie war auch verzweifelt, aber vor allem wütend. So läuft das nicht, dachte ich, jetzt steigert sie sich voll rein und dann ist sie auf Monate blockiert, die wird ab jetzt immer direkt dicht machen, sobald wir uns der Kita nähern. Nach ein paar Minuten wurde sie still. Die Erzieherin kam zu mir und sagte, Spartacus habe die größeren Kinder einzeln zur Tür gezogen und ihnen befohlen, sie zu öffnen. Aber jetzt sei es wieder gut, jetzt würde sie spielen und sei zufrieden und wenn die emotionalen Ausbrüche, die in nächster Zeit ja nunmal einfach zu erwarten sind, ungefähr in dieser Art blieben, dann sei das nichts, womit sie nicht klarkäme. Für mich war es nicht leicht, Spartacus so toben zu hören. Ich hätte einfach nur die Tür öffnen müssen und der Zustand in ihr wäre vorbei gewesen. Am Montag sitze ich nicht nebenan. Da ist Spartacus tatsächlich allein, da kann ich ihr nicht raushelfen. Das muss die Erzieherin schaffen. Für sie war das bl0ß ein Ausraster eines Kindes, das sich auf die neue Situation einstellt. Einer von vielen hundert großen und kleinen, die sie bislang begleitet hat. Seitdem ich das gedacht habe, kann ich die nächsten Wochen leichter auf mich zukommen lassen. Ich mag die Erzieherin und vertraue ihr, dass sie und Spartacus das zusammen schaffen.
Montag. Mein Wecker wird um kurz vor sechs klingeln. Eigentlich ist das der schlimmste Gedanke von allen.