Kleidsam kränklich

Im Büro regiert die Klimaanlage. An manchen Stellen tropfts aus dem Belüftungsschlauch eiskaltes Wasser direkt in meinen Hals. Ich niese und habe schmerzvermeidend aufgehört zu schlucken.
Den Schal aus floral illustrierter Baumwolle von formfollowsfunk legt mir der Postbote da gerade recht in den Briefkasten. Der ist bei maienhafter Hitze schön leicht und wärmt dennoch den wehen Bereich zwischen Kopf und Schlüsselbein. Und einen netten Brief von der Schneiderin gabs auch dazu.

Als Excel und ich

uns heute im Büro berieten, welche Stufe von grün die zweite Zeile am besten ziert, hörte ich dabei Klassikradio movie. Ich habe herausgefunden, melodiöse auditive Beschallung beruhigt im Tabellenkontext. Klassikradio movie eignet sich daher so gut, weil dort niemand quatscht. Es wird nichtmal gesungen. Ein Filmmusikstück in streicherintensiver Klassikadaption folgt aufs nächste, zwischendurch flüstert Daniela Hoffmann »Klassikradio – bleiben Sie entspannt« in denkwürdig passivaggressiver Weise, das erschreckt jedes Mal, entspannt aber auch.
Und als ich mich durch die Soundtracks von Robin Hood, dem letzten Einhorn und Harry Potter hintergrundbeschallen ließ, dabei Grüntöne justierte und Telefonnummern aus Impressen abtippte, wippte zuerst mein Fuß und dann passierte plötzlich dies:

http://www.youtube.com/watch?v=GpcPgfNAsio

Zimtschnecken

Falls Du jemandem eine fluffige, zuckrige Freude in bunten Papierkörbchen machen möchtest, dann bring ihm Zimtschnecken mit.
Ich zeig Dir, wie das geht und weil ich gern mal welche von Monsieur LeGimpsi bekäme, erklär ich sie Dir als wärst Du geistig nicht besonders rege und könntest eine Küche nur an ihrem Toaster erkennen.

Du brauchst:

Für den Teig
__42 g frische Hefe
__125 ml Wasser
__125 ml Milch
__60 g Butter
__60 g Zucker
__1 Ei
__1 TL Salz
__250 g Weizenmehl
__250 g Vollkornweizenmehl

Für die Füllung
__2 TL Zimt
__40 g Zucker
__40 g Butter

Für den Zuckerguss
__120 g Puderzucker
__1 Päckchen Vanillezucker
__1 bis 2 EL Milch

Ein Hefeteig braucht Deine Zeit und Deine Liebe, dann wird er Dein Freund.
Du erwärmst das Wasser und die Milch und achtest darauf, dass sie achtunddreißig Grad Celsius nicht überschreiten. Den Hefeklotz lässt Du darin zu Bad und piekst ihn ein wenig mit einer Gabel von allen Seiten. Nach zehn Minuten sollte er sich aufgelöst haben, sonst sorgst Du dafür, indem Du seinen Aggregatzustand von klumpig in unsichtbar rührst.
Du knetest alle Zutaten für den Teig meditativ zu einem smoothen Ding. Achte darauf, dass mitbackende dreijährige Kinder die Kneterei nicht als Spieleinheit verstehen und kleine Käferchenkolonien anfertigen oder Sonnensysteme. Backen ist Arbeit, kein Plaisir.
Schütte Mehl nach, falls der Teig an Deinen Händen klebt. Klebt er jetzt an Deinen Händen, klebt er später an der Tischplatte, wenn Du ihn ausrollst. Das möchtest Du nicht.
Du stellst Deinen Backofen auf die niedrigste Temperaturstufe und lässt den Teig sich darin für mindestens dreißig Minuten aufplustern, wobei Du ihn nach zwanzig Minuten durchknetest und ein paar hübsch klingende Worte an ihn richtest.

Ist die ganze Herrlichkeit nach einer halben Stunde dann schön porig und luftig und kommt Dir erwartungsvoll entgegen, machst Du sie auf einem Tisch platt. Mit einem Nudelholz rollst Du ein längliches Rechteck zurecht, dass ungefähr dreimal so lang ist wie breit. Oder dreimal so breit wie lang.

Du schmilzt die Butter für die Füllung und vermischst sie mit dem Zimt und dem Zucker. Du brauchst etwas Pastöses, die Konsistenz darf nicht zu flüssig sein.
Du verstreichst die Gemengelage der Länge nach auf dem Teig und rollst ihn zusammen, sodass eine lange Riesenschlange entsteht, wie mitbackende Dreijährige mit Begeisterung feststellen werden und daraufhin zu singen anfangen: »eine lande riesenschlande wer tommt mit // wer teine fünfzich pfennich hat der bleibt zurütt«. Die lange Riesenschlange schneidest Du alle drei Zentimeter drei Zentimeter kürzer und legst jedes kleine Zimtschneckchen samt wartendem Papiernest in die Backform für Muffinerstellung.

Auf, in den Backofen mit ihnen! Ich backe sie bei ungefähr zweihundert Grad Celsius bis sie fertig sind. Wenn Du alles richtig gemacht hast, haben sie sich in kleine Wendeltreppen verwandelt, die so fluffig wie frisch aufgeschüttelte Kissen sind.

Für den Guss verrührst Du den Puderzucker, den Vanillezucker und die Milch, wobei die Angelegenheit nicht zu flüssig geraten sollte. Zwischen Zahnpasta und Tapetenkleister ist alles gut, auch optisch.
Mit einem Pinsel kontaktierst Du die warmen Zimtrollen mit dem Zuckerguss und wartest, bis Dein Über-Ich Dir erlaubt, den ersten zu schnappen und nomnomnom.

klippklapp

»es klappert die mühle am rauschenden bach. klippklapp.«
Die stimmlosen velaren Plosive sind im Anmarsch. Momentan vorherrschen sie nur bei einer einzelnen Lautkombination, aber der Anfang ist gemacht.
»Dr. Schmotzen, sag mal >klippklapp<.« »klippklapp« »Sag mal >Klasse<.« »klasse« »Sag mal >Klempner<.« »klempner« »Sag mal >Kuchen<.« »tuchen«

Montag bis Donnerstag

Seit ich bis in den Nachmittag hinein arbeite und gegen halb vier zu Hause ankomme, hat sich mein Gefüge verschoben. Ich muss das erst lernen. Dieses tägliche fünfundsiebzigminütige Plus an Mehraufwand beschert mir einen latenten Zeitumstellungsschwindel. Ich mache während ich im Büro bin keine Pause. Das hat zeitgeizende Gründe. Ich esse eine Stulle während ich einhändig Exceltabellen ausfülle. Ein Tag mit Excel ist das schlimmste, was mir passieren kann. Excel macht mich fertig. Sehr, ich habe mir geschworen, es niemals so gut zu beherrschen, dass ich den mattesten Glanz seiner Schönheit erkennen könnte. Excel und ich: nicht. Die Kollegen verabreden sich für die Mittagspause. Sie essen in der Kantine, deren Koch ein Michelinstern besitzt oder drüben im Möbelhaus, das am Schnitzeltag die besten Umsätze nicht mit Sofas macht. Von oben kommt ein Redakteur und sammelt die Grafikerinnen ein. Hintereinanderher gehen sie raus aus dem Gebäude und rein in die Stadt, rein ins Bistro ran an den Dönerstand. In meinem Großraumbüro kehrt für die Dauer einer Pausenschnittmenge Ruhe ein. Ich habe dann Platz für mich allein. Ich mag das sehr gern und ich freue mich, sobald die ersten wieder zurückkehren und sich beschweren über zu kleine Portionen an Sättigungsbeilage des Sternekochs. Manche bringen Mandarinenschmandkuchen mit oder Eis für sich selbst. Früher war das der Zeitpunkt, an dem ich nach Hause gefahren bin. Ich habe die zweite Hälfte des Arbeitstages nicht mitbekommen. Jetzt schwimme ich mit ihnen noch in den Nachmittag hinein. Ich merke, ob die Tage der anderen gut sind oder schlecht. Ich bin dabei, wenn nervige Kundentermine zu Ende gehen. Ich habe das kleine gegen das mittlere Stimmungsbild eingetauscht. Wenn ich fahre, stehen die meisten am Rand ihres Nachmittagstiefs. Ein paar Mütter würden jetzt über die Ladentheke gehen, wenn sie gegen den Schluss meiner Geschäftszeiten eingetauscht werden könnten. Halbe Stelle, halbe Kohle, sage ich ihnen. Wenn ich nach Hause komme, koche ich. Um viertel nach vier esse ich zu Mittag. Wenn ich um viertel nach vier zu Mittag esse, ist das meistens auch mein Abendbrot. Fünf Minuten später ist es acht Uhr. Dr. Schmotzen liegt im Bett und ich bin zeitgeizig. Ich schenke dem Schlaf keine überflüssige Minute. Ich lese und bin mit Monsieur LeGimpsi und reibe mir die Augen und nur noch fünf Minuten, so früh will ich noch nicht schlafen, ich bin doch eben erst heimgekommen. Und am Morgen stehe ich eine dreiviertelstundelang auf und mein erster Gedanke: Heute gehe ich um sieben ins Bett und für den Rest der Woche nehme ich mir Urlaub. Dann steig ich mit Dr. Schmotzen ins Auto und wir grüßen die Kühe auf Englisch guten Morgen, die Kindergärtnerinnen sind bestens gelaunt, ich komme ins Büro und wir gehen alle gemeinsam Kaffee holen und ich trinke keinen und nehme nur Wasser und die Wassermaschine ist kaputt. Wir machen Witze und ich freue mich auf die Stunden, die vor uns liegen.

Yotam und ich

jetzt auch.
Ich warte ja immer bis Trends aufgehört haben, welche zu sein und ins allzeitlich Relevante übergegangen sind, bis ich mich ihnen anschließe. Habe ich mich also kaufentscheidend Yotam Ottolenghis genussvoll vegetarischer Küche zugewandt.
Beim ersten Durchblättern mit Dr. Schmotzen hörte ich viel »iiieeh«, »was soll das sein? und das?« und begegnete verständnislosen Blicken. Kartoffelpüreeberge mit Fischstäbchenspitzen und Erbsen und Möhren-Flüssen werden bei Herrn Ottolenghi eher vernachlässigt. Er mag marinierte Pilze mit Walnüssen und Tahini-Joghurt.
Wir haben uns dann auf verdächtig nach Reibeplätzchen ausschauende Lauchpuffer geeinigt, deren Zutatenliste ich nicht erwähnte, sondern auf abflugbereite Pusteblumen am Rande des Gartens verwies.

Ich habe dann allein weitergeblättert und noch andere leckere Dinge entdeckt.

Tristan kocht

Meine Freundin, nennen wir sie Tristan, denn so sollte zu Grundschulzeiten ihr Sohn heißen, meine Freundin Tristan kann kochen. Und sie liebt das Kochen. Sie kocht so gern und gut und für andere, dass es eine Schande ist, darüber nicht Buch zu führen. Von mir aus gern im Netz, da hätte ich auch was davon. Da könnte ich Kulinarisches lernen.

Zack, Foto gemacht, Zutaten aufgelistet, ein paar Kochanweisungen dazu, vielleicht eine autobiographische Einbettung, fertig. Von mir aus kann sie diesen Post als ihren ersten nehmen, ich schreib ihn für sie und schenk ihn ihr:

Header: Rauke-Melonen Salat

Ich bin Tristan und fahre viel im Land rum, das mache ich beruflich (auch wenn ich keine Fernfahrerin bin). Abends komme ich nach Hause. Nach Hause kommen bedeutet in meinem Fall, vierundsechzig Stufen zu steigen. Manchmal schleppe ich Stühle mit, das ist auch berufsbedingt (auch wenn ich keine Möbelpackerin bin). Am liebsten esse ich abends, darauf freue ich mich den ganzen Tag. Manchmal habe ich aber nach Stunden auf der Autobahn, nach viel Kommunikationsleistung (auch wenn ich keine Dolmetscherin bin) und dem steilen Anstieg zu meiner Wohnungstür, keine Lust auf große Kochshowdowns in meiner Küche. Dann mache ich diesen Salat:

Zutaten:
__ Rauke
__ Wassermelone
__ Feta
__ schwarze Oliven
__ Walnüsse

Dressing:
__ Honig
__ Balsamico
__ Olivenöl

Und esse ihn auf.

fünfundsiebzig Minuten

In meinem Arbeitsvertrag steht, dass ich ab Mai fünfundsiebzig Minuten länger pro Tag am fremden Schreibtisch sitzen muss. Das sind fünfundzwanzig Stunden in der Woche, fünf mehr als noch im April. Klingt jetzt nicht nach arbeitsbelastender Steigerung, eher nach rollatorengerechtem Anstieg, fühlt sich nach Tag eins aber nach drei Doppelschichten in sauerstoffarmer, reizüberfluteter Umgebung an.
Dr. Schmotzen gefällt die erweiterte Spielzeit im Kindergarten, trotzdem sitzen während der Rückfahrt zwei geplättete, stumme Feierabendpersönlichkeiten im Auto.