Weihnacht mit Kind ist Schenken, Lassen und Betrachten
Schenken: In der Weihnacht herrscht eheliches Geschenkeembargo, an das wir uns bislang unterschiedlich ausgeprägt halten (ich: zuverlässig, der Monsieur: mitunter nicht). Dieses Jahr flossen bilateral keine Gaben, nur das Kind wurde bedacht und zwar sehr. Dafür haben wir unser erstes selbstgebasteltes Elternpräsent erhalten: Dr. Schmotzen hat im Kindergarten einen Stern getöpfert und mit Zahnstochern kunstvoll verziert. Hängt direkt am Baum, Wandseite.
Lassen: Wir haben uns dem pinken Glitzertraum ergeben, der momentan des Kindes Herzen reitet und ihm einen ebensolchen Tretroller, eine Prinzessinnenverkleidung mit viel blingbling (bei der es das Konzept Kostümierung vs. Alltagskleidung zu unseren Ungunsten noch nicht anerkennen will) und eine Hose featuring Magenta zur freien Verfügung überlassen. Wir verzichten auf die pädagogisch wertvolle Farbe grün und eine genderneutrale Anmutung der Spielsachen. Immerhin die Penisträger Pettersson und Findus werden vom Kinde gemocht, aber das geht ja auch gar nicht anders. Wunderbare Gesellen!
Betrachten: Der Monsieur und ich sitzen auf dem Sofa und schauen zu, wie sich das Kind durcharbeitet und eine interessante Choreographie tanzt: Geschenk auspacken, nächstes Geschenk auspacken, erstes Geschenk angucken, nächstes Geschenk auspacken, zweites Geschenk angucken, nächstes Geschenk auspacken. Als hinke der informationsverarbeitende Apparat immer einen Schritt hinterher. Der wird zudem von der Reizüberflutung des Weihnachtstellers beschallt und so gesellen sich ein abzubeißender Schokoweihnachtsmannkopf, ein anzuknabberndes Lebkuchenherz und ein Happen Spekulatius in lockerer aber steigender Häufung zwischen Auspacken und Angucken.
Heute Nachmittag zum ersten Mal seit zwanzig Jahren einen Weihnachtsgottesdienst, eigentlich überhaupt ein religiöses Event, besucht. Ganz freiwillig und neugierig bin ich hingegangen und der Monsieur zwangsläufig mit mir. Seitdem Dr. Schmotzen Mitglied im örtlichen Kindergarten mit kirchlichem Träger ist, kennt sie tausend Leute und wird selbst auch zurückgekannt. Freut mich.
Nun ja, für eine grundsätzliche Agnostikerin und Freundin des Unkitsches gibt es wahrscheinlich bessere Veranstaltungen als eine Weihnachtsandacht, das merk ich mir fürs nächste Mal. Aber an einer Stelle hatte der Pfarrer mich dann doch und zwar bei der Schlussansprache, bei der er eine irische Segnung vorlas. Und wenn ich mir die jetzt so anschaue, tritt der Poetry Slam-Effekt ein: In vorgetragenem Aggregatzustand sind die allermeisten Texte besser als in still gelesenem. Oder anders: Gute Texte reichen still.
Aber fürs Protokoll (denke Dir hier einen mittelalten evangelischen Theologen mit Talent für die Bühne, der sich vor Pathos bewahrt):
»Nicht, dass jedes Leid Dich verschonen möge,
noch dass Dein zukünftiger Weg stets Rosen trage,
keine bittere Träne über deine Wange komme,
und dass kein Schmerz Dich quäle,
nein, dies alles wünsche ich Dir nicht.
Sondern:
Dass dankbar Du allezeit bewahrst
die Erinnerung an gute Tage,
dass mutig Du gehst durch alle Prüfungen,
auch wenn das Kreuz auf Deinen Schultern lastet,
auch wenn das Licht der Hoffnung schwindet.
Was ich dir wünsche: dass jede Gabe Gottes in dir wachse,
dass einen Freund du hast,
der deiner Freundschaft wert.
Und dass in Freud und Leid
das Lächeln des Mensch gewordenen Gotteskindes Dich begleiten möge.«
(Ja, furchtbare, unentschuldbare Symbolik, Rosen, Tränen, Wangen, Prüfungen, ich weiß. Trotzdem haben die alten Iren mich einen wahren Moment lang getroffen und getragen.)
Und auch jetzt nach dem Spektakel ganz und gare Besinnlichkeit: Der Monsieur und ich beginnen mit Staffel fünf von Mad Men während die Tochter im Bett liegt und Weihnachtslieder grölt. Blutzuckerspiegel.
Dir wünsch ich eine schöne Weihnacht. Mach sie Dir gemütlich, mach sie Dir warm.