Im magic loop

Guter Urlaubszustand im Kopf, ich habe wie immer in dieser Zeit die Kontrolle über die verinnerlichte Dauer von wiederkehrenden Intervallen, zum Beispiel Tagen, verloren. Alles eine Suppe gerade. Anfang der Woche haben wir den Keller ausgemistet und einen kleinen Haufen Sperrmüll identifiziert. Weil wir so gut im Anpackenmodus waren, haben wir uns direkt gekümmert, dass er mit bürokratischem Aufwand abgeholt wird.

Die Stadtverwaltungsfrau: Der nächste freie Termin wäre am dritten Januar.
Mein Gehirn: Oh super, das ist ja direkt morgen!
Ich: Oh super, das ist ja direkt morgen!
Die Stadtverwaltungsfrau: Der dritte Januar ist nächste Woche Dienstag.
Ich: Oh shit, Silvester war ja noch gar nicht.
Die Stadtverwaltungsfrau: Jep.

Im Moment stricke ich viel und zum ersten Mal sind es keine rechteckigen Gewebe aus rechten Maschen, die man auch Decken für winzige Menschen nennen könnte, sondern dreidimensionale Hohlkörper aus rechten Maschen, die man Socken oder Pulswärmer nennen könnte. Dazu schaue ich fachliterarische Videos aus der Knitting-Branche. Und dann habe ich plötzlich meine Haare geschnitten. Ich mach das seit ein paar Jahren immer selbst, mein Opa hat vor dem Zweiten Weltkrieg für ungefähr einen halben Tag als Friseur für Frauen- und Männerköpfe gearbeitet und so schwer kann das ja wohl nicht sein. Normalerweise geht es ganz gut, wenn ich Haarpartien waagerecht vom Kopf weghalte und denn absäbele. So entstehen unter Nutzung von Geometrie dann leichte Stufen. Am Ende mache ich einen Zopf und schnippele noch ein wenig in die Spitzen rein, das sorgt dann dafür, dass alles gleichmäßig schief aussieht. Das klappt hinlänglich erfolgreich, wenn man ungefähr vier Zentimeter kürzen möchte. Ich aber wollte einen völlig neuen Look. Und so hab ich dann einfach drauf losgeschnitten mit meiner alten Küchenschere und schon bei der ersten Strähne vorn links dachte ich: Oh shit, oh fuck, fuck me. Ist immer auch schön zu merken, wie Selbstwirksamkeit reinkickt, auch mal anders als erhofft. Aber ich habs durchgezogen und was soll ich sagen? Es ist absolut dilettantisch geworden und wie schwierig ist es, am eigenen Hinterkopf irgendwas planvolles zu veranstalten, aber unterm Strich regeln meine ein bisschen lockigen Haare das jetzt. Und außerdem kommts eh immer nur auf die innere Haltung zu den Dingen an. Man kann sich mit viel mehr durchs Leben bullshitten als man so denkt.

Es gibt nun ein Schlagzeug in dieser Wohnung. Das große Kind hat es ins Zimmer gequetscht und trommelt seither eigentlich ununterbrochen Linkin Park, was interessant klingt, weil sich klangmäßig alles in Kopfhörern abspielt, bei uns kommt nur die ganze Energie und Dramatik an, mit der rumgekloppt wird. Damit es reinpasst, haben wir ein paar Möbel gestapelt. Das Zimmer besteht nun eigentlich nur noch aus gedrungenen Gruppierungen von essenziell notwendigen Einrichtungsgegenständen, Duftkerzen (es ist eine Phase) und einem raumfordernden Musikinstrument.

Das kleine Kind kann nun schwimmen, somit habe ich alle elterlichen Pflichten erfüllt und verabschiede mich nun langsam in die Phase, in der man nur noch auf Enkelkinder wartet.
Wir haben einen Schwimmkurs gemacht und nachdem es eine Zeit lang ein wenig stagnierte und die Hemmschwelle überwunden werden musste, das Schwimmbrett abzugeben und Arm- und Beinbewegungen zu synchronisieren, hat es dann innerhalb von zwanzig Minuten plötzlich sehr beeindruckend so gut geklappt, dass auch der Korkengurt immer weiter auseinandergebaut und dann nicht mehr gebraucht wurde und sie einfach schwimmen konnte. Und wie eine kleine Berserkerin mit maximalem Körperseinsatz vom Rand, vom Startblock, vom Ein-Meter-Brett und vom Drei-Meter-Turm ins Wasser flog. Ich bin so froh, bei dieser Entwicklung dabeigewesen zu sein und freue mich schon, ihr diese Geschichte über Durchhalten und sich Unbekanntem aussetzen und den dahinterliegenden winkenden Spaß im Blick haben in den verschiedenen frustrierenden Phasen ihres Lebens erzählen zu können.
Gestern war ich mit ihr im Schwimmbad und nachdem wir ein wenig geschwommen waren, hat sie eine kleine Wasserbekanntschaft mit einem anderen Kind gemacht und ich hab mich auf die Wärmebank verkrümelt und die beiden in Ruhe ihre Unterwasserabenteuer durchspielen lassen. Da saß ich dann und es war warm und akustisch diffus und gedämpft und es roch nach Chlor und um mich herum sich bewegende Wasseroberflächen und ich trocknete vor mich hin und hatte nichts dabei, in das ich meinen Blick senken könnte, alles im Spind. Und so saß ich dann und verfiel in einen meditativen Zustand der temporären Mittellosigkeit und schaute einfach nur den Kindern zu und war frei von Gedanken.

Work, work, work

Morgen ist der 23. Dezember and I’m still working. Das gabs noch nie, normalerweise ist bei mir Mitte Dezember Schluss und ich fall in einen vorweihnachtlichen Modus der maximalen Passivität, der nur noch zulässt, in eine Decke gewickelt an die tausend Stücke dünner Presspappe so lange ineinanderzustecken, bis es einigermaßen passt und hübsch aussieht und dabei abmoderierende Grunzlaute von mir zu geben, wenn sich jemand nähert oder mich anspricht. Aber dieses Jahr nicht, oh no, dieses Jahr wird durchgearbeitet bis Mariah Careys Lieblingstag anbricht und außerdem Samstag ist. Was erstaunlich okay ist? Was mich daran denken lässt, dass eine Lektorin beim früheren Arbeitsplatz immer wollte, dass wir im Heft okay mit o.k. abkürzen, was schrecklich aussieht. Und was ich nie gemacht habe.
Jedenfalls habe ich in den letzten Monaten viel gearbeitet und viel über mich gelernt und viel übers Arbeiten gelernt. Ich habe mit dem neuen Job eine Arbeit erwischt, die aus einer Aneinanderreihung und Verschachtelung unendlich vieler wohlproportionierter Tätigkeiten besteht, die alle mittlerweile vertraut sind, aber immer auch ein wenig neuartig und sparkly. Es passiert ständig irgendetwas, das ich anklicken muss. Oder prüfen oder anfragen oder vorbereiten oder nachbereiten oder liefern oder annehmen oder beauftragen oder abnehmen oder sperren oder bestätigen und aktualisieren oder bestätigen ohne zu aktualisieren oder auswählen oder rückmelden oder durchdenken oder planen oder anbieten oder analysieren oder abschließen. Immer müssen Lösungen her und wenn ein Problem platt gemacht wurde, kommt schon das nächste. Was aber gut ist: Alle Probleme sind immer lösbar und mittlerweile weiß ich das auch und kenne mich schon ganz gut aus und darum passieren hormonell interessante Dinge. Dauernd die Schublade aufziehen zu können, sich ein kleines gut handelbares Problem rauszunehmen, es zu betrachten, zu lösen und wieder zurückzulegen, lässt das Dopamin nur so plätschern und ein angenehmer Flow stellt sich ein. Also an mittleren bis guten Tagen.

Ich arbeite in der language industry. In der language industry arbeiten eigentlich nur Drinnies. Übersetzer*innen und Lektor*innen sind Leute, die graben sich ein in Texte und Recherchen und Kommentare und Terminologien und Konsistenzen und Fachgebiete und Styleguides und Corporate Wordings und Dudenauflagen. Die wollen nicht am Telefon sprechen, die wollen ne Mail bekommen und ihre Ruhe haben. Die sind freiberuflich und sind schon im Ruhestand oder noch im Studium oder auf Weltreise oder in Elternzeit. Die reagieren auf Jobanfragen manchmal auch sehr aus dem Inneren heraus. Wenn sie lange nicht beauftragt wurden und es gerade schwer ist mit dem Geld. Oder wenn sie ihre Deadline nicht halten können, weil ihre Mutter ins Krankenhaus musste. Die Mutter von ihnen ist oft im Koma. Überdurchschnittlich häufig habe ich den Satz „meine Mutter ist leider ins Koma gefallen, kann ich den Text eine halbe Stunde später liefern“ gelesen im letzten halben Jahr. Das ist ok, ja klaro geht das. Einer hat mir geschrieben, dass es ihm emotional nicht gut gehe und sich eine schlimme Krise entwickelt habe am Morgen und er lieber zum Arzt will, statt zu übersetzen. Das ist doch ganz klar. Es ist selten, aber es kommt vor und ich mag, wie sie mir als Auftraggeberin zeigen, dass ihr Leben vorgeht und dass sie darauf vertrauen, dass es unsere Arbeitsbeziehung nicht stört. Aber auch schöne Dinge werden geteilt, Hochzeitsfotos. Ich habe ein Hochzeitsbild gesehen, da hat unser Übersetzer in Polen seine Frau geheiratet, mit der er nach Mexiko zieht und seine Mutter schaut so unglaublich mies gelaunt aus. Die Mutter von Leuten in der language industry, ich bekomme ungewöhnlich viel von ihr mit. Einer hat ein Lama gestreichelt und direkt ein Bild gesendet, jemand denkt sich privat gern Musikrätsel aus, schickt sie an einen riesigen Verteiler mit beruflichen Kontakten und verlost dann Gewinne. Aber allerallermeistens liefern sie einfach nur sehr gründlich und zuverlässig ab. Und fischen tonnenweise Rechtschreibfehler aus Ausgangstexten raus, nebenbei als Service. Ich mag die Menschen der language industry.
Hier erhält man einen kleinen Einblick, wie sie arbeiten und wie eine Übersetzung entsteht.