Eule

Achtung, selbstausgedachtes, begeisterungsdurchsupptes Empfehlungsmarketing:
Heute morgen kam eine Eulenbrille bei mir an.
Ihr Name ist ZWEI Palisander und ich habe sie sehr gern. Die Jungs von Owl Optics haben sie mir verkauft und zwar komplett im Internet, wo doch jeder weiß, dass man Büstenhalter und Brillen vorher anprobieren soll. Das war so:
Auf ihrer guten Webseite habe ich äußerst gründlich und prüfend das komplette Sortiment der kleinen Designklitsche betrachtet, ungefähr fünf Tage lang. Es besteht aus den drei unisexy Fassungen EINS, ZWEI und DREI. Pro Fassung wird zwischen drei Farben unterschieden: Midnight, Palisander und Nude. Ich mag Holz, ich nehme Palisander. Dass ich die Brille nicht analog begutachten kann, ist ein Problem für mich. Die ausführlichen Maßangaben bieten die einzige Orientierung, nicht in ein quadratmetergroßes Brikett zu investieren. Ich vergleiche sie mit meiner jetzigen Brille und so immens sind die Unterschiede an den entscheidenden Stellen nicht. Ein ungewisses Restrisiko gehe gern ich ein, denn ZWEI Palisander finde ich richtig gut.
Ich übernehme die Werte aus meinem Brillenpass, die Pupillendistanz muss ich beim Optiker nachfragen. Der ist überhaupt nicht begeistert, dass er damit einem Konkurrenten zuarbeitet. Ich spüre eine erste Branchenpanik vor Verdrängung durch Onlineanbieter und bedanke mich, als er mir »viel Spaß mit Ihrer Internetbrille, Sie ruinieren mein Geschäft« wünscht. Eine gut designte, preiswerte Brille habe ich in den Sortimenten der stationären Optiker mit ihren Herstellerkollektionen noch nie entdeckt. OWL Optics hat genau, was ich will: Fassungen, die groß sind und reduziert im Wesen, so wie ich.
Die Farbe habe ich mir letztendlich weniger matt vorgestellt, die Struktur vielleicht ein wenig kräftiger, aber an meiner Verzücktheit ändert das nichts. Die Fassung ist wunderbar, die Qualität prima, die Brille passt gut und ich kann alles sehen. Zum Freuen auch: Das Auspackerlebnis, Apple kann einpacken.
Eulenpower!

Meine grauen Haare

sind dicker als die anderen, dunklen und durch Knoten gegliedert wie ein Grashalm. Eigentlich sind sie auch nicht grau sondern farblos. Wenn das Licht hell auf meinen Schopf fällt, kannst Du sie gut sehen. Regellos verteilt in mehreren Reihen, in mehreren Schichten, Apartheid meiner toten Zellen. Jetzt sind sie nur ein paar, bald werden es mehr und irgendwann werden sie alle sein. Die bleiben da, wo sie sind, die werden nicht angemalt oder ausgerissen. Denn so ist das.

Kirmes mit mit

Wir waren da. Viermal Karussell gefahren, ne Tüte gebrannte Mandeln geschmaust, von einem Verehrer ein Schießbudensouvenir abgestaubt, mit klebrigen Fingern, glücksverschmiert anschließend auf dem Weg nach Hause: »auf die tirmes dehen wir jetzt jeden tad, mama.«

Kirmes mit ohne

»alle tinder in tinnerdaten dehen zu der tirmes! die dehen da morden hin. haben die heute desat. haben wir heute drüber desprochen. tann ich auch?«
»Jaa, die Kirmes. Hmm. Stimmt, die fängt morgen an, ne?«
»lana deht da hin, lara deht da hin, laura deht da hin.«
»Jaa, morgen. Morgen wollten wir doch grillen, stimmts?«
»joel deht da hin, leo deht da hin, der andere leo deht da hin.«
»Grillen mit Würstchen! Du darfst auch eins essen und Ketchup!«
»tobias deht da hin, josy deht da hin, tarl deht da hin.«
»Und Oma kommt und und wir backen einen Kuchen und ich geh mit Dir aufs Trampolin!«
»fabrizio deht da hin, tessa deht da hin, jason deht da hin.«
»Wir könnten in den Tierpark fahren und den Bären besuchen.«
»marie deht da hin, anton deht da hin, philip deht da hin.«
»Und danach fahren wir zum Segelflugplatz! Schauen wir mal, ob die Flieger da wieder an einem Faden hochgezogen werden, ja?«
»sophia deht da hin, jannis deht da hin, mattis deht da hin.«
»Ok, wir gehen ins Hallenbad! Kennst Du das noch? Kannst Du Dich daran erinnern? Da waren wir schonmal, das ist super. Da warst Du noch in meinem Bauch.«
»laurin deht da hin, lauren deht da hin, justin deht da hin.«
»Ein Kleinpferd?«
»frieda deht da hin, theo deht da hin, lutas deht da hin.«

Gibt es ein Menschenkinderrecht auf Kirmesbesuche? Habe ich die moralpädagogische Pflicht, meiner Tochter begleiteten Zugang zu kommerzialisiert hedonistischen Massenveranstaltungen im Rauschmittel- und Messerstecherkontext zu ermöglichen? Wenn Dr. Schmotzen am Montag nicht mitreden kann, wird das gruppendynamische Folgen haben, deren Kosten höher sind als das Überwinden meiner lähmenden Abneigung gegen Jahrmärkte? Wenn das was genetisches ist, warum dann rezessiv?

In Ruhe sein

Durch die Wälder streifen, übers weite Land ziehen, auf Wasser schauen, das Gesicht in die Sonne halten, in Bächen laufen, auf kleine Berge steigen.
Mit den Vögeln den Mogen beginnen, auf Firsten sitzen, verschränkte Arme, rote Jacke, und anlachen unsere Wege in den Tag. Dann weiter stromern, Steineflitschen, Bälle finden, spielen. Kartoffeln essen, einschlafen unter einem Baum, in Ruhe sein, fliegen. Draußen, immer draußen. Eine Rindenhaut bekommen.

In bed with A.

Seit ich für Familie Bertelsmann arbeite, habe ich mitarbeiterrabbattierten Zugriff auf dort verlegte Medienprodukte. Ich könnte die komplette Zeitschriftenlandschaft preislich vergünstigt erhalten, allein, ich lese keine Magazine, denn ich mag sie nicht (sobald Medien flüchtig werden, verlieren sie meinen Aufmerksamkeitssammelpunkt ans Internet). Außer Geo Epoche. Mag ich, lese ich aber auch nicht. Im Geo-Abo haben wir bisher drei Ausgaben geliefert bekommen: Rom zwischen siebenundzwanzig vor und vierhundertsechsundsiebzig nach Christus, Napoleon, das osmanische Reich. Anzahl gelesener Seiten: Null.
Heute lag Hitler zwischen neunzehnhundertdreiunddreißig und sechsunddreißig eingeschweißt im Briefkasten. Ich habe die besten Vorsätze. Das Kind pennt, der Mann in der Uni, Adolf und ich im Bett.

Der Mann und das Kind sehen sich nicht

Es ist ein Semester übler Sorte, das Monsieur LeGimpsi erwischt hat. Über dreißig Wochenstunden stehen auf seinem Plan. Jeden Tag fangen die Veranstaltungen um acht Uhr an und hören um achtzehn Uhr auf oder manchmal auch um zwanzig. Wenn Du auf dem Land wohnst und eine bummelige Regionalbahn nur einmal in sechzig Minuten Richtung Unistadt fährt, schleppst Du viel Zeit mit Dir rum, in der Du in der Uni auf den Vorlesungsbeginn oder eben auf die Bahnrückfahrt wartest. Wenn der Monsieur bis achtzehn Uhr im Seminar sitzt, ist er um neunzehn dreißig zu Hause. Wenn er um zwanzig Uhr die Uni verlassen kann, um einundzwanzig dreißig. So oder so, das Kind liegt im Bett und schläft. Morgens verschwindet er um halb sieben in die ländliche Dunkelheit, da schläft Dr. Schmotzen noch.
In diesem Semester werden das Kind und der Mann sich an genau zwei Tagen in der Woche sehen, Samstag und Sonntag. An acht Tagen im Monat. Dass Studenten Eltern sind, die besonders viel Zeit haben, dass das Studium eine gute Gelegenheit der Familienplanung ist, hat in Bologna aufgehört wahr zu sein.

Leseträge

Puh, das hat gedauert, aber jetzt ist es vorbei, denke ich.
Ich konnte in den letzten zwei Monaten nicht lesen. Klappte überhaupt nicht. Die Leitung zwischen visuellem Sinnesorgan und informationsverarbeitendem Hirnteil war verstopft. Meine Augen nahmen nichts auf, wenn ich sie über die Buchstabenreihen schickte. Es fing damit an, dass ich für ein Magazin diesen Krimi lesen musste. Der hat mir nicht gefallen und während ich in ihm steckte und die Seiten zählte, die hinter mir und vor mir lagen, freute ich mich auf gute Bücher und überlegte, welches als nächstes auf meinem Nachtisch warten würde.
»Swamplandia« von Russell lag moorhaltig, voller Geister und Alligatoren vor mir. Ich bestellte es, nachdem ich »Tschick« sehr gern gelesen und Lust auf einen weiteren pubertären Erzähler hatte. Doch, ach, es ließ sich nicht gut an. Sprachlich nicht besonders besonders, inhaltlich eher woodoolastig. Trotzdem habe ich über die Hälfte gelesen, bis ich einsumpfte und prinzipienlos mit einem anderen Buch begann. »Die Selbstmordschwestern«, denn Eugenides mag ich. Aber auch hier, nein es funkte nicht, irgendwie zu neunziger Jahre. Das zweite Buch abgebrochen, wie ein Schlendrian gefühlt, einen Vormittag frei und allein in der Buchhandlung, »Gegen die Welt« für seinen typographisch ansprechenden Prolog eingekauft. Das Vorwort war in der Tat ziemlich gut, dann drifteten meine Gedanken fort und ich ergab mich, leerte den Bücherplatz an meinem Kopfende, beurlaubte meinen Lesegeneral und wandte mich dem Lichtspiel zu. Der abendlichen Privatvorstellung der Seifenoper »Battlestar Galactica«, ein endloses Bangen um die menschliche Zivilisation, das sich nach kürzester Zeit in ein Hoffen auf ein möglich rasches Ende, egal zu wessen Gunsten, kehrte, sollten doch alle Menschen von Raptoren und Toastern gefressen werden, wenn es mir die restlichen siebenundachtzig patriotischen Folgen ersparte. Allein die Bekanntschaft zu Gaius Baltar hat mich tatsächlich gefreut.
Nun ist auch dies vorbei, Mensch und Maschine haben sich auf friedliche Koexistenz im Universum geeinigt, der Abend ist wieder Hauptlesezeit geworden und ich bin bei amerikanischer Gegenwartsliteratur gelandet. Die zog mich zuverlässig aus der Leselethargie heraus. »Ed King« hat einigermaßen komplexe Figuren, hier nervt mich ein wenig die schlechte Recherche, anscheinend hat Guterson noch nie mit Babykindchen, denn das ist laut Dr. Schmotzen die korrekte Bezeichnung für Säuglinge, zusammengewohnt. Der Part mit den super schlafenden Zweimonatigen und den durchorganisierten Tagen ist ein wenig am Leben vorbei, auch im Dienste des Werks nicht nötig, aber ich sehe darüber hinweg und mag es, wie mich ein Text wieder durch den Tag begleitet, im Hinterkopf die gemeinsame Zeit am Abend.
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Edit: Wer hätte das gedacht: Isabel Bogdan kennt das Problem auch und verlinkt auf andere Lesefaulpelze. Ich bin viele.