Drei Wochen

Morgen sitze ich wieder am Schreibtisch, schreibe Mails, mache Pläne, lege Dinge ab, koordiniere Kram und bekomme Geld dafür. Aber heute noch nicht, heute ist Urlaub. Letzter Tag nach drei sehr nötigen, außerordentlich nötig gewesenen Wochen Auszeit.

Woche eins

Der Urlaub startete direkt mit Geburtstag. Erst wurde das kleine Kind sechs und ein paar Stunden später ich siebenunddreißig. Beides sehr angenehme Ereignisse, die Tochter freute sich über Bücher, Musik, eigens angefertigte Kleidung und Raupen, die wir beobachten bis sie Schmetterlinge werden und dann hier rausschmeißen bzw. selbstständig wegfliegen lassen. Näher kommen wir an Haustiere nicht dran.
Ich freute mich über Konzertkarten für Oktober 2022, ein selbstproduziertes Video, in dem Notting Hill als Cartoon nacherzählt wird, Blumen, einen Gutschein für einen 1a Italiener und eine Salzmühle, die ich mir selbst schenkte und mit Salz, Tomaten, Thymian, Chili und Knoblauch (alles getrocknet und kleingeschnitten) füllte. Ab jetzt schmecken Tomaten NOCH besser.

Dann wurde renoviert: Das große Kind fragte für das eigene Zimmer einen neuen Anstrich und einen neuen Schreibtisch an und konnte durch erfolgreiche Sparmaßnahmen beides problemlos selbst finanzieren, da kann man dann auch nichts machen. Und so hat sie nun einen anderen Arbeitsplatz und eine grüne Wand. Und weil sie das Zeitalter des Teenietums so gut wie erreicht hat, stellten wir noch einen Sessel davor, da sitzt sie bei Bedarf nun drin und kann sämtliches elterliches Unrecht, das ihr in den folgenden harten Jahren der Pubertät sicher häufig zustoßen wird, verarbeiten und ihre konstruktiven Schlüsse daraus ziehen (zB dass sie niemals und unter keinen Umständen so werden wird wie wir).

Und weil die kleine Tochter nun bald zur Schule kommt, haben wir bei ihr auch ein wenig umgeräumt und den alten Schreibtisch der großen Schwester platziert. Und da sitzt nun sie und wartet auf bildungsinstitutionellen Input.

Zuvor hatte sie sich von der Kita verabschiedet. Und ich mich auch. Ich kann Abschiede nicht so gut und darum bin ich gerade immer noch ziemlich traurig, dass unsere Zeit dort nun vorbei ist. Wir hatten auch mit dieser Kita sehr viel Glück und ich bin dankbar, so gute Orte für unsere Kinder erwischt zu haben.
Die große Tochter wurde auch gegen Corona geimpft, zufällig am selben Tag wie Greta Thunberg. Sie war vierundzwanzig Stunden lang sehr schlapp und konnte leider nur im Bett liegen, Snacks angereicht bekommen und Filme schauen, aber darauf konnten wir uns gut einstellen, denn diesen Verlauf hatte sie auf Empfehlung ihrer bereits geimpften Freundin exakt so vorausgesagt. Ansonsten vertrug sie die erste Dosis gut. Somit sind nun 75 Prozent des Haushalts so wirksam wie aktuell möglich gegen das Virus geschützt. Das fühlt sich mit Blick auf den Herbst erstmal gut an.

Woche zwei

Monsieur LeGimpsi stieß nun zur Urlaubsgemeinschaft hinzu und wir fuhren für fünf Nächte in ein noch kleineres Kaff als letztes Jahr: nach Winsen. Da ist einfach mal gar nichts. Wir hatten ein Haus mit großem Garten gemietet und das reichte. Es gab dazu noch unerwartetes Bonusmaterial: Hühner, Schafe und eine Katze. Alle liefen frei übers Grundstück und sorgten für sehr viel optische Entspannung und Flausch.

Wir waren dann aber doch an drei Tagen ein wenig in der Umgebung: zum ersten Mal mit der kleinen Tochter im Kino in Peter Hase 2 (sie schien angemessen beeindruckt, vor allem von den Getränkehaltern an den Sitzen). Im Heide Park (joa naja tja). In Bergen-Belsen, in der Gedenk- und Dokumentationsstätte. Seit 2007 gibt es dort eine Dauerausstellung, die für Personen ab 14 Jahren empfohlen wird. Wir hatten beide Kinder dabei und vorab geschaut, welche Bereiche wir auslassen. Es werden Originalaufnahmen aus dem Gefangenen- und Konzentrationslager gezeigt und historische Gegenstände und Kleidungsstücke ausgestellt. Man kann sich Zeitzeug*innenberichte Überlebender anschauen und anhören. Das große Kind hatte bislang noch nicht so viele Berührungspunkte mit der Shoah und dem Faschismus dieser Zeit. Es hat Anne Franks Tagebuch als Graphic Novel gelesen und darüber dann Zugang zur Ausstellung gefunden, Anne Frank hat hier einen eigenen Bereich bekommen. Ich möchte noch einmal allein und mit viel Zeit dorthin fahren, alles in Ruhe lesen und im Anschluss ganz still über das Gelände gehen.

Woche drei

Und dann geschah etwas verrücktes: Die Kinder zogen temporär zu ihren Großeltern. Die große Tochter zu Monsieur LeGimpsis Eltern nach Frankfurt, die kleine zu meiner Mutter. Und da sind sie nun.
Keine Kinder weit und breit. Keine aktive Elternschaft. Es ist unglaublich. Einfach nur rumdödeln, Zeit verplempern, nichts zu tun haben, kaum angesprochen werden, keine externen Anliegen beantworten, keine Lösungen liefern, keinen Streit schlichten, keine tausend verschiedene Mahlzeiten für alle Essensvorlieben gleichzeitig kochen, kein Vorbild sein, keine Angebote machen, einfach nur in der Geschwindigkeit leben, die ich am besten finde: Schnecke.

Spazieren, im Park rumliegen, in der Badewanne rumliegen, Bücher lesen (erst Seth Rogen, dann Andy Weir), stricken, puzzeln, Podcast hören, kochen, dabei alte Folgen Biolek schauen und wenn alles zu anstrengend wird: schlafen. Wobei stimmt nicht, ich war auch unterwegs. Und habe eine Freundin in Hannover besucht und gestern waren Monsieur LeGimpsi und ich abends auf einer kleinen Geburtstagsfeier mit Alkohol und echten Menschen und wir waren erst nach Mitternacht zurück, aber wir hätten auch theoretisch bis jetzt bleiben können, weil:
Wir haben derzeit keine Kinder.

Danke, lieber Urlaub, du warst sehr gut zu uns.