Bov Bjerg: Auerhaus


Wurde vom gesamten Literarischen Quartett empfohlen, sogar Maxim Biller fands gut. Der hat ja eigentlich mit aufgeplusterter Geste immer ne andere Meinung als der Rest.
Also ich hab Auerhaus gern gelesen. Das flutschte ohne seicht zu sein, das hat ne gute Sprache und nen guten Ton. Ich mag aber eh Erzähler in der Adoleszenz. Die haben meistens noch nicht so nen abgestumpften, kaputten Blick auf alles. Beziehungsweise zeigen einem, was für nen abgestumpften, kaputten Blick man selbst hat. Eher so.
Handwerklich fand ich den Text manchmal ein wenig angestrengt. Er ist in viele kurze Kapitel aufgeteilt. Die Stimmung ist so gut, wie sie sein kann in einer Wohngemeinschaft aus hauptsächlich Schülern. Auf dem Dorf. Im letzten Sommer vorm Abschluss. Mit suizidalen Mitbewohnern. Leicht und schwer also.
Und dieses Leichte und Schwere und Ambivalente findet sich literarisiert vor allem in den Kapitelenden wieder, die auf den letzten Metern häufig Brüche haben und dadurch Tiefe erzeugen sollen.

Frieder sagte: „Du hast die Augen zu und treibst auf deiner Luftmatratze, ein sanfter Wind weht, und du denkst, geil, jetzt lebe ich für den Rest meines Lebens hier in dieser Lagune in der Südsee. Und dann machst du die Augen auf und merkst, es ist bloß ein Nachmittag am Baggersee, und zack ist der auch schon vorbei.“

Vielleicht liegts daran, dass ich zuvor Franzen gelesen hab. Der mahlt ja seine Sprache in feinste Partikel, alles ist ganz dicht und gefügig, alles wird erzählt. Das ist bei Bov Bjerg anders, der zeigt eher und nutzt die Sprache selbst als Mittel. Bietet sich bei einem Ich-Erzähler ja auch an. Ich mag diese Art von Literatur eigentlich sehr gern. Hier auch, ganz klar, aber manchmal war mir das ein wenig zu formelhaft oder zu konstruiert. Immer schön mit ner Pointe, ner Irritation oder nem Fazit rauszugehen, hält die Geschichte irgendwie auf Distanz. Der Erzähler hat sich dann beim Lesen oft in den Autor verschoben, das fand ich schade.
Trotzdem. Ich mag das Buch gern. Allein die Stelle, in der die enge WG-Küche von einem Polizeikommando gestürmt wird und der Einsatz fast am Platzmangel scheitert ist sehr, sehr komisch.

Bov Bjerg, 2015: Auerhaus. Blumenbar, 240 Seiten

Terézia Mora: Alle Tage

Ein Kreis aus Lesern
Götterfunken, ich bin Teil eines Lesekreises. So richtig wie damals als ich in Nordamerika war und die feinen Damen des Ostküstenortes sich einmal im Monat gegenseitig besuchten um über ein von Oprah ausgewähltes Buch zu sprechen und es eigentlich die ganze Zeit um Wohnzimmerdekoration, kohlenhydratarme Ernährungsweisen und republikanische Betrachtungen ging. Prinzipiell ist es bei meinem Lesekreis ähnlich. Wir suchen ein Buch aus, lassen es jeder durch uns durchsickern und verlieren dann kein Wort darüber. Wir könnten räumlich auch nur höchstkompliziert zusammenkommen, ein Drittel lebt im Ausland. Wer unbedingt möchte, kann aber in sein Internetweblog schreiben, was er vom Gelesenen hält. Das reicht dann.

Welches Buch haben wir gelesen?
»Alle Tage« von Terézia Mora, 2004

Und, wir wars?
Also Spaß ist anders. Das war eine durchaus anstrengende Lektüre. Schon noch lesbar, sprachlich hat sich da nichts irgendeinem Zugriff verwehrt, aber narrativ stellenweise durchaus am Rande der Gemütlichkeit.

Nennen wir die Zeit jetzt, nennen wir den Ort hier. Beschreiben wir beides wie folgt. (S. 9)

Terézia Mora erzählt von Abel Nema, der mit Anfang zwanzig sein Land verlässt nachdem dort sein Vater, sein Freund und der Frieden gegangen sind. Er kommt auf leisen Sohlen irgendwo neu an und beginnt, Sprachen zu lernen. Zehn Stück, akzentfrei und klinisch rein. Er erhält ein Stipendium und nutzt es als Eintrittskarte in Bibliotheken, dort verbringt er seine Tage. Zum Schlafen hat ihn eine Wohngemeinschaft gefunden. Sie ist die erste Station von mehreren und alle würden ihm Gewalt antun, wenn er sie ließe. Aber er lässt sie nicht, denn er wohnt da nur und lebt da nicht. Wo lebt er eigentlich? Später wird ihn eine Gruppe Musiker, ein Schlachter und ein Barbesitzer finden und er wird mitgehen. Und am Ende ist da noch eine Frau und ein Kind, aber mit denen passts auch nicht richtig.

Und so weiter. Er wanderte wie eine Stafette von Hand zu Hand, als wäre es irgendwo so abgesprochen gewesen, gut organisiert, es war immer einer da. (S. 340)

Und wie er so mitgeht und wie die Dinge es so mit ihm treiben, ist eigentlich die ganze Geschichte.
Sie ist in kleinen Episoden aufgeteilt, die nicht chronologisch aneinanderhängen und durch deren Lücken der Wind pfeift. Zusammen hält sie der Rahmen, wie Abel halbtot kopfüber an einem Klettergerüst baumelnd gefunden und seine Ehe mit Mercedes geschieden wird. Wie er dahin gelangt, wird auf ziemlich eindrückliche Weise erzählt.

(…) wollte sie ihm ins Gesicht schauen, musste sie immer wieder scharf stellen, wie in einem fahrende Zug, mir taten schon die Augen weh (S. 327)

Der Text wirkt mit seinen vielen von Klammern gehaltenen Einschüben und Kommentaren wie ein Kippbild. Man liest einen Satz und folgt dem Erzähler, bis eine zweite Erzählinstanz dazwischengrätscht und einen Bedeutungswechsel reinrieselt, der den Sinn erweitert. Das ist manchmal nur die Erwähnung von Charakteren, denen die letzten Sätze nachträglich zugeschrieben werden: »Draußen sammelte sich eine letzte Brüllhitze, als würde der scheidende Sommer mit hochrotem Kopf noch einmal das Maul aufreißen und einen (Mercedes, das ist ihre Assoziation) heiß und verächtlich anhauchen (…)« (S.11)
Dadurch wächst eine Metaebene, die eine unmittelbare Nähe zum Text empfinden lässt, als säße man in der Schaltzentrale des Erzählers. So entsteht eine ständige Spannung, immer wieder justieren sich die Orientierungspunkte um. Man stellt vor dem inneren Auge ununterbrochen scharf. Das ist anstrengend, verlangt ständige Wachheit, zieht aber auch wie nix in den Text rein. Ich kenne diesen Effekt eigentlich nur von der Dramenform.
Und zusätzlich taucht zu allem Übel andauernd ein Ich-Erzähler auf, der sich nicht immer direkt zuordnen lässt. Ich habs irgendwann aufgegeben, Leerstellen füllen zu wollen und mich einfach mitschleifen lassen. Von da an wars gut. Es lebe der Tod des Lesers, ha.

 Aber schließlich tat er doch nur das, was er in einem anderen Maßstab schon die ganze Zeit getan hatte. Er fuhr kreuz und quer durch Land, respektive die angrenzenden, soweit er eben kam, ohne den Pass vorzeigen zu müssen.

Ich mag die Auswahl an Charakteren in diesem Buch, die sind alle ein wenig kaputt. Manche haben eine narzisstische Störung, manchen fehlt ein Auge. Ich mag auch die Geschichte, wie jemand einmal keinen Platz in der Welt gefunden hat und sich fortan für nichts mehr wirklich zur Verfügung stellt. Am besten hat mir das Erzählen gefallen, das ist wirklich gut gemacht.

Wer sonst möchte was übers Buch sagen?
B.
ben_

Und als nächstes?
Welches Buch wir als nächstes lesen, steht noch nicht fest. Wer einen Vorschlag machen möchte, fühle sich eingeladen, die Kommentarfunktion zu nutzen.

Doppler und die Tüchtigkeit

Auf ben_s Empfehlung hin habe ich »Doppler« von Erlend Loe gelesen. Es geht um einen Norweger, der in Norwegen seine norwegische Familie verlässt, um fortan allein im norwegischen Wald zu wohnen. Norwegen an sich ist aber total egal, es könnte auch in Deutschland spielen oder in der Schweiz. An einer Stelle nennt er die Norweger »zugleich das netteste und das egoistischste Volk auf Erden«, das lässt sich prima auf viele Orte unter der Sonne übertragen.
Doppler steht also im Wald und bekommt Hunger. Er überfällt einen Elch und rammt ihm ein Messer in den Schädel. Das passiert gleich auf den ersten Seiten und ist so komisch, dass ich beim Lesen sehr lachen musste und das, obwohl neben dem Elch ein Elchkalb steht und auf der Stelle verwaist. Doppler nimmt das Elchfleisch und tauscht damit Lebensmittel und Gegenstände im Dorf. Und er nimmt das Elchkind, tauft es und macht es sich zum Zeltmitbewohner.

Wer ist Doppler und warum zieht er in den Wald?
»Ich bin Radfahrer. Und ich bin Ehemann und Vater und Sohn und Arbeitnehmer. Und Hausbesitzer. Und jede Menge sonst. Man ist so vieles.« Und neuerdings hat er eine Baustelle im Badezimmer, einen Ohrwurm, eine elbisch sprechende Tochter und einen toten Vater. Man hat so vieles.
Dann fährt er mit dem Fahrrad in den Wald, bleibt mit dem Vorderrad stecken und fällt ins Heidekraut. Dort liegt er dann einen Nachmittag lang und denkt nach und kommt zu der Erkenntnis, dass er die Menschen im Ganzen nicht mag. Er geht nicht mehr zur Arbeit und zieht auf unbestimmte Zeit in den Wald, wo er an seinem persönlichen Totempfahl arbeitet. Doppler ist also ein ganz normaler, tüchtiger Mensch, der plötzliche aufhört, zu funktionieren und sich einen Lebensgegenentwurf sucht. Das finde ich interessant. Zufällig behandelte mein zuletzt gelesenes Buch »Pferde stehlen« von Per Petterson ein ganz ähnliches Thema, ein Mann zieht in den norwegischen Wald, denkt über seinen Vater nach und arbeitet mit Holz.
Monsieur LeGimpsi und ich machen uns im Moment Gedanken darüber, wie wir leben wollen. Wie die Verteilung von Tüchtigkeit und Muße gleichmäßig möglich ist und wie man sich so ein Leben mit zwei schmalen Gehältern leisten kann. Gern, ohne, dass man aussteigen muss und im Wald wohnt. Wir sind noch zu keinem Schluss gekommen, es ist ja auch eine ziemlich schwierige Frage.
Ich habe das schmale Buch sehr gern gelesen. Erlend Loe mag ich für seine originelle, hagere Komik, in »Jens. Ein Mann will nach unten« hat sie mich bestens unterhalten, hier ein zweites Mal.