Das Jahr geht auf Abstand

Ich schmeiß Dich raus, 2011, am Ende doch noch ein wenig versöhnlich. Du warst nicht nur Scheibenkleister.
Du hast mir einen Schreibtisch gebracht, an den ich mich gern setze und arbeite. Um mich herum sitzen andere Leute und arbeiten und ich mag jeden von ihnen. Das ist ein großes Glück und mehr als ich gehofft hatte.
Du ließest Dr. Schmotzens Synapsen auf wundersame Weise wachsen und immer mehr von ihnen interagieren. Das war lustig. Sie hat das Bananenlied komponiert und gelernt, in den Kindergarten zu gehen. Sie dachte sich in Bücherwelten und erfand Krokodile in Zimmerecken.
Monsieur LeGimpsi imitiert nach wie vor jeden Morgen meine Räuspergeräusche und solange er das tut, ist alles gut. Außerdem hielt er eine Rede an einem Tag, den wir einem von uns geschenkt hatten, an dem uns viel gegeben wurde und der mit einem angebissenen Croissant auf einer herabgelassenen Urne endete.

Du kannst jetzt gehen, 2011, geh auf Abstand, das wäre richtig. Ich behalte Dich in Erinnerung.
(Zum ersten Mal habe ich am einunddreißigsten Dezember keine Furcht vor dem, was danach passiert.)

Herr Hunt jagt

Monsieur LeGimpsi und ich sind heute in ein Multiplex-Kino einmarschiert und haben einen Popcorn-Film geschaut. Genau das, was Du machen sollst, wenn Du einmal im Jahr zusammen ins Lichtspielhaus gehst. Das ist nämlich ein Ort, der sich nicht für Aufenthalte von dreijährige Mädchen und Jungs eignet. Du kannst mit einem Kind ins Restaurant gehen. Du kannst mit ihm bestimmte Sorten von Theatern besuchen und, wenn Du Zutritt ins Bühnenjenseits hast, ein Konzert. Aufs Kino muss Dr. Schmotzen aber noch warten und wir halt auch, es sei denn, sie verbringt die Zeit außerhäusig.

Jedenfalls haben wir uns einen Film angesehen, der für die großflächige Leinwand gedreht wurde. Tom Cruise spielt mit und darum heißt das Ding Mission Impossible vier. Hach, ich erinnere mich gern. Als Herr Hunt damals so am Felsen hing, hat mich das aus rein oberflächlich optischen Gründe erfreut. Generell hängt er ja viel in diesen Filmen, heute beispielsweise mit einer Hand am Burj Khalifa. Und ausgerechnet in dem Moment kam auch noch einer dieser unangenehmen Sandstürme angelaufen. Die gibts bei uns im Okzident ja gar nicht. Herr Hunt hat seinen Fall trotzdem gelöst. Dieses Mal sogar mit Humor, dazu später mehr.

Grob ging es, denke ich – denn um ehrlich zu sein, achte ich nicht umfassend auf die Handlung, nach dem zweiten Plot Twist schaltet sich mein informationsverarbeitender Rezeptionsapparat gewöhnlicherweise ab, da schaue ich einfach nur – es ging also um eine multilateral verzwickte Sache und bei Inhaltsangaben achtest Du bitte aufs Tempus (Präsens): Herr Hunt befindet sich plötzlich in der misslichen Situation, ohne sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu sein, da sein Arbeitgeber kurzfristig staatlich verleugnet wird und somit nicht existiert. Der Spezialagent muss mit seiner Truppe, bestehend aus verbalkommunikationsaffinem Computerfachmann, verwitwetem Hunt-Girl und konfliktverstricktem Double seiner selbst, ohne Arbeitsrechtsschutz und Spesenkonto die Welt vor einem nuklearen Gesamtdisaster retten. Gleichzeitig noch das russische Imperium von seiner Nichtteilhabe am Atomterror überzeugen. Hat er alles geschafft.

Wie gesagt, sogar mit Humor. Und Komik und ironischer Selbstreferenzialität. Gern ein Beispiel, Obacht vor Spoilerviren: Herr Hunt flieht aus russischem Gefängnis und Dean Martin singt dazu »Ain’t That a Kick in the Head«, nicht im Off, sondern als Handlungselement, fand ich lustig.
Oder: Physikalische und anatomische Grenzen sind in dieser Art Film ja dehnbar. Und sie steigern sich immer absurder. Eine nette Anspielung auf diese im Grunde autoaggressive Gewaltspirale ist dann, wenn der Agentenkollege vor einem wenige Meter tiefen Sprung auf Stretchübungen besteht.

Ebendieser junge Mann übernimmt in einer anderen Szene den Zuschauerstellvertreterpart und spricht Herrn Hunt auf seine mitunter etwas konstruierten Ablenkungsmanöver in brenzligen Situationen an, eigentlich pars pro toto auf das ganze Genre beziehbar. Die Antwort wie erwartet grobschlächtig, dafür großartig metamäßig: Alle unwichtigen Statistenrollen und Nebencharaktere sind einfach Deppen. Die Geschichte funktioniert nur, weil sie so im Drehbuch steht.
Oder: Nachdem Herr Hunt sich in der finalen Szene erfolgreich in einem Perpetuum-Mobile-Parkhaus mit einem Auto Stoßstange voran aus großer Höhe senkrecht ins Bodenlose stürzt, einzig auf die mildernde Wirkung des Airbags vertrauend, muss er unten angekommen gleich in vier Versuchen auf den bösen roten Knopf schlagen, um die Nuklearrakete zu inaktivieren. Und jedes Mal laut und artikuliert »Mission erfüllt!« aussprechen.

Ach, der Film war eine runde, kurzweilige Fahrt, die genau weiß, was sie ist: Ein zuckriges Stückchen leichte Unterhaltung in der gut gefüllten Popkulturauslage. Habs mir geschnappt, für den Moment gemocht und werds morgen schon vergessen.

Ratzfatz


Jemand hat sich fünf Stunden oder sechs Zeit genommen und Plätzchen gebacken. Hat Kinkel aus frischen Eiern gepult, oder wie nennst Du das, hat Teig geknetet, hat ihn ausgestochen, hat süße Masse auf einen Teil gestrichen und mit dem anderen zugedeckt, hat die Stapel in den Backofen geschoben, hat die heißen Taler am Rand mit flüssiger Schokolade überzogen und in Kokos gewälzt. Und dann verschenkt, an mich auch.
Dieses Werden und Wachsen in ihren Händen steht in zeitlicher Dimension antiproportional zum Sein und Verschwinden in meinem Besitz.

Der Baum steht

Vor dem vierundzwanzigsten Dezember.
Denn diese Weihnacht ist anders.
Dieses Jahr brauchen wir unseren Baum nicht als special effect bei der Anmoderation der Bescherung. Sie findet nicht statt. Bei uns. Die Bescherung findet in dem Raum meiner kinderlosen Zeit statt. Dort, wo ich selbst Kind war. Wo sich jemand anderes Gedanken um die Geschenke, das Essen, die Stimmung gemacht hat. Diese Weihnacht pilgern wir dahin und sind zusammen und einer fehlt und dafür wird die Beschissenheit dieses Jahres dabei sein und die ganze Schokolade kaputt machen.
Darum steht der Baum.

viel Glück, wenig Fliegen

Mein rechter, rechter Platz ist frei.
In der Fabrik ist die liebste Sitznachbarin mit schamanischer Grundeinstellung nach Mexiko ausgewandert. Und soll ich Dir was sagen? Sie hat mir ihre komplette magische Ausstattung überlassen. Den Glückszauberstab und den palliativen Fliegenmassageschläger.

Gebacken.

Kräfte sammeln als drei Freunde am Lieblingsfrühstücksort, denn heute wird gebacken.

Sobald das letzte Ei in die Schüssel fällt, möchte ich Vanillezucker und Haselnussmehl heraussieben und dem Teig zu einer großen Pizzakarriere verhelfen. Oder einem glücklichen Leben als Quiche oder Nudel. Für mehr Nahrhaftigkeit auf dieser Welt.

Du und das Licht

Wenn alle anderen im Wohnzimmer sind und leben und im Bad brennt Licht, bedeutet das, Du wäschst Dir gerade die Hände? Bedeutet es, Du bist auf der anderen Seite der Tür und freust Dich auf Deinen Feierabend? Bedeutet es, dass, wenn ich das Licht ausschaltete, Du erschrocken ruftest: »Hey! Was soll das? Licht an!«?
Und wenn ich es mir wünschte? Wenn ich vor dem Lichtschalter stände und mit ihm verhandelte? Wenn ich Deine Stimme so klar in meinem Kopf hörte, dass ihr Besitzer auf der anderen Seite der Tür sein muss. Wäre das dann nicht schon Wirklichkeit? Zählt das? Kann ich den Lichtschaltertest machen? Bist Du da?

Dr. Schmotzen immatrikuliert sich

Aktionsfeld im Adventskalender: eine Kurzreise an die Wirkungsstätte Monsieur LeGimpsis. Motivationstester auf dem Weg dahin: horizontaler Schneematsch.
Vorort hatte die Doktorandin meines Herzens glücklicherweise einen Sprechstundentermin frei. Sie und Dr. Schmotzen veranstalteten in der Mensa ein Symposium der Hochwissenschaftlichkeit, die beiden Elfenbeintümerinnen. Ich derweil unterhielt mich einvernehmlich allgemeinsprachlich mit meiner Gemüselasagne.
Nachdem das Kind jeden Schreibtisch und alle Stühle im Audimax für ihre einwandfreie Klappfähigkeit mit dem TÜV-Siegel markiert hatte und die Haupthalle des Universitätsgebäudes in ihrer Länge durchschritten wurde, befand sie den Ort, den ihr Spatzenhirn seit seinem letzten Besuch vor einem Jahr nicht abgespeichert hatte, für anregend und jederzeit besuchswürdig.

Das Geschenk.

An Heiligabend wird Dr. Schmotzen zur Puppenmutter gemacht.
Ja, das Kauferlebnis war, nun ja, es war. Ich stand vor einer Regalwand Babygesichter mit MakeUp-Kontakt. Eine pinke Vorherrschaft: die äußere Verpackung, die innere Verpackung, die Puppenklamotten, die beigefügten Breischälchen, Löffelchen, Babyklos, Schnuller, Fläschchen, Söckchen, Vespas, Jet-Skis, Quads, sogar die blauen Matrosenanzüge der paar männlichen Säuglinge. Dass es Matrosenanzüge überhaupt noch gibt.
Unser Baby hat einen schnullerkompatiblen Mund und verdaut ganzstufig Wasser. Leider kann es nicht mit den Augen klimpern, dafür war es preislich ermäßigt. Zum Glück ist es batterielos und somit still wie ein Bergsee.

Eine Vierteldrehung weiter rechts und die Barbiehölle beginnt. Bin dann bei der Holzeisenbahn raus.