Wir spielen Dialect und haben Reparaturzwang

Mit befreundeten Leuten ein Spiel gespielt, bei dem man gemeinsam Sprache entwickelt. Wir waren Roboter auf dem von Menschen verlassenen Planeten Erde und haben dafür gesorgt, dass er nicht von Aliens übernommen wird und außerdem recht hübsch bleibt, damit die Menschen irgendwann von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und zurückkehren können. Leichte Hausmeistertätigkeiten auf 450 EUR-Basis also. Und dabei haben wir unsere eigene Sprache entwickelt, das war der Kern des Spiels. Eine Sprache finden, sie mitzutragen und aktuell zu halten. Hat ganz gut geklappt, ist eine schöne Sprache geworden. schraub schraub heißt Freundschaft, cookie ist ein inspirierter Zustand, Rödelloop der daily grind und ein Drofjør bringt sonntags um 10 Uhr die Leute spirituell zusammen.

Am Ende kamen dann doch noch Aliens vorbei, die hatten Bock auf unsere Energie. Aber wir haben sie ausgetrickst und uns einfach mit ihnen angefreundet, eine Religion gegründet und das weitere Leben im gemeinsamen Rave verbracht. Die Erde gehört jetzt uns.

Was das Spiel zeigt: Zeiten ändern sich, Umstände auch, ist doch klar, dass Sprache gar nicht anders kann, als sich zu wandeln. Sie passt sich den Anforderungen an und bildet Realität ab. Alles andere wäre unpräzise und ineffizient. Das ist bei Robotern so, das ist bei Menschen so.

Ben schreibt über den gemeinsamen Abend und erklärt das Spiel.

Gestrandet

Wir sind hart mit dem Auto liegen geblieben und es war schlimmer als man sich sowas vorstellt und besser als man sich sowas vorstellt. Schlimmer als gedacht war, wie wirklich wenig Bock man auf ein Auto hat, das an der Kreuzung einfach nicht mehr anspringt, nichtmal das Warnblinklicht. Schlimmer als gedacht war, wie viele Kilometer zwischen kaputtem Auto und Zuhause liegen. Schlimmer als gedacht war der Wochentag, nämlich Sonntag mit seinen beschränkten infrastrukturellen Möglichkeiten, und das Wetter, nämlich heiß. Schlimmer war im Vorfeld weder dem ADAC noch sonstigen Versicherungen regelmäßig Wetteinsätze für Pannenfälle und andere Hilflosigkeiten überwiesen zu haben. Schlimmer war wie wenig man mit einem Auto anfangen kann, das einfach komplett aufgegeben hat. Wie lost man sich fühlt, wenn man merkt, dass man keine den Zustand überwindenden Serviceleistungen erwerben kann, die zwar teuer wären, aber sofort verfügbar. Wie kurz alles in einem unklar wird, wenn der ADAC-Mann sagt, das sei jetzt schon echt der worst case und er kann nichts machen und das Auto bleibt jetzt in dieser random Stadt bei Gießen stehen und wenn wir einige Zeit in die eine Himmelsrichtung laufen, kommt irgendwann ein Bahnhof und von dort fährt irgendwann eine Bahn zum nächst größeren Bahnhof und von dort hangelt man sich dann über einen längeren Prozess irgendwie nach Hause. Und wenn wir aber gar nicht vom Fleck kämen, würde er uns nach seinem Feierabend um Mitternacht auch selbst noch kurz zum Zug bringen. Wie sich das Hirn kurz weigert, die Situation als Realität anzunehmen und man es dabei beobachtet, wie es immer wieder vor dieselbe Stelle derselben Wand rennt. Irgendwann zu merken, dass die beiden Fenster vorn im Auto noch unten sind und nichtmal dieses kleine dafür zuständige Knöpfchen funktioniert. Den ADAC noch ein Mal anrufen und ihn bitten, zu kommen und die Überbrückungskabel anzuschließen. Zwei weitere Stunden Wartezeit bis ein Fahrer frei ist.

Besser als gedacht war, an einem heißen Sonntag auf den einzigen schattigen vier Quadratmetern weit und breit liegen zu bleiben, neben einer McDonald’s-Filiale. Satt auch. Besser als gedacht war, keine kleinen Kinder dabei zu haben, sondern große, die Kausalketten verstehen und Bedürfnisse regulieren können. Besser war, eine gerade noch akzeptable Anzahl an Kilometern entfernt vom Abfahrtsort zu sein und dort ein privates Ersatzauto abholen zu können. Glück zu haben, ein Taxi dorthin bezahlen zu können, nicht die dreistündige Fahrt mit den verschiedene Öffentlichen machen zu müssen. Noch mehr Glück, dass das letzte Taxi des Tages gerade noch zu haben war. Glück, dass der ADAC-Mann unser Auto neben eine Werkstatt geschoben hat. Glück, dass es offensichtlich ein Ding ist, kaputte Karren jederzeit vor Werkstätten abzustellen und den Schlüssel dort in den Briefkasten zu werfen. Einfach eine Uploadfunktion am Straßenrand für reparaturbedürftige Gegenstände.
Zu merken, dass es schrittweise immer weiter geht. Sidequest: Wir brauchen einen Stift, um der Werkstatt Infos und unsere Telefonnummer aufzuschreiben. Die Achtjährige hat nur einen vertrockneten Filzstift dabei, die komplette McDonalds‘s-Filiale ist digitalisiert. Aber eine Person leiht uns einen roten Kulli. Wie sehr kann man sich für etwas bedanken. Mission accomplished.
Eine ruhige Ecke finden mit Steckdosen an der Wand. Mein Handy lädt, die Achtjährige spielt, die Vierzehnjährige hat einen Livestream zu ihren Freundinnen, wir essen McFlurry und trinken Wasser und gehen aufs Klo und warten auf Monsieur LeGimpsi mit dem privaten Ersatzauto und den ADAC-Mann, damit unsere Fensterscheiben hochgefahren werden. Den Kindern anbieten, dass sie sich andere Eltern mit heilen Autos aussuchen dürfen hier bei McDonald‘s, aber die winken ab und meinen aktuell kein Bedarf, vielleicht später. Die Kinder beginnen Verhandlungsversuche, ob am nächsten Tag Schule unbedingt nötig sei. Sie machen sich Sorgen um ihr anstehendes Schlafdefizit und unterstreichen die Fahrlässigkeit und Sinnlosigkeit bei akuter Übermüdung am Unterricht teilzunehmen. Diese Ansätze mit Verweis auf Irrelevanz sofort ins Leere laufen lassen, nice try, little suckers. Die Erleichterung irgendwann im anderen Auto zu sitzen, das Gepäck quetschen wir rein, die Kinder auf die Rückbank, los gehts. Langsam wird es dunkel draußen. Die Fahrt ist lang, wir biegen falsch ab, die Fahrt wird länger. Aber wir kommen an und schlafen in unseren Betten und dann ist alles wieder wie immer. Das Gefühl, wenn man etwas hinter sich gelassen hat.

Badminton

Das Beste ist, wie der Körper sich an alte Abläufe erinnert.
Die Beine machen ihre Arbeit, der Schläger trifft, wo er soll, die linke Hand hält warum auch immer die Spannung.

Samstags spiele ich wieder Badminton. So wie früher, so wie in den Neunzigern, meine allererste Sportart. Und der Körper zieht nach dreißig Jahren eine Schublade auf, holt die alte Diskette raus, pustet einmal drüber und installiert 800 Stunden Training ins laufende System. Was natürlich nicht rund läuft, weil aus einem elfjährigen Körper ein neununddreißigjähriger Körper geworden ist und außerdem einige spätere Disketten so ziemlich viel überschrieben haben. Hat auch, glaub ich, öfter mal ins Laufwerk reingeregnet. Erst war Badminton, dann kam Tennis und hat meine Technik irgendwie komisch verschnörkelt und dann kam Volleyball und zieht mich dicht ans Netz. Aber Tennis hat mir auch Genauigkeit für den Treffpunkt des Balls gegeben und Volleyball das Gefühl für den Raum, wenn man sich das Spielfeld mit anderen teilt.

Immer samstags merke ich, ich habe mal etwas gründlich gelernt und gut gekonnt und auch wenn ich es eine Ewigkeit nicht angeschaut habe, es ist noch in mir und wenn ich will, kann ich mit ihm spielen. Es ist ein ganz verrücktes, interessantes Gefühl. Es ist, als hätte ich eine alte Spardose mit meinem Taschengeld gefunden und es gehört auf magische Weise noch mir und die Frau in der Bäckerei nimmt tatsächlich auch D-Mark und gibt mir zuckerhaltige Konsumgüter dafür. Es ist völlig nutzlos und macht so viel Spaß. Ich bin froh, dass ich viele vorpubertäre Montage und Freitage damit verbracht habe, hinter Federbällen her zu rennen und sie möglichst effizient mit einem Schläger zu treffen.

Ich kann immer noch den Ball mit dem Schläger vom Boden aufheben und das ist das beste Gefühl. Auch das beste Gefühl ist Techniktraining. Wenn wir immer wieder dieselben Schläge üben. Wenn man fünfzigmal einen kurzen Ball hinterm Netz mit der Rückhand lang nach hinten schlägt. Wie sich nach den ersten Bällen direkt ein Rhythmus einstellt und man einfach nur ein Körper ist, der immer dieselben Bewegungsabläufe wiederholt. Drei seitliche Schritte nach vorn, Ausfallschritt, mit dem Handgelenk zugreifen, nach oben ziehen, ich setze immer zu viel Arm ein, den Ball hoch und weit rausschlagen, drei seitliche Schritte zurück in die Mitte und direkt wieder zurück ans Netz. Wie der Kopf ganz leer wird und man nur noch atmet und läuft und schlägt. Wie schön Badmintonbälle fliegen, wenn man sie trifft. Wie schön eine Halle mit acht Feldern klingt, wenn alle dasselbe üben. Das beste Gefühl ist, einen Trainer zu haben, der Ansagen macht und korrigiert und regelt, wer mit wem spielt, wann gewechselt wird, wann getrunken, was trainiert, wer gegen wen. Der einfach alles vorgibt in einer klaren, zugewandten Art. Jetzt Drops machen, jetzt dreimal lang, zweimal kurz, jetzt die Bälle ausspielen, jetzt Taktiktraining. Ich gehe samstags dahin und mache das nur für mich. Ich bin nicht Teil einer Mannschaft, muss nicht gut fürs Team spielen, niemand erwartet irgendwas, meine Fehler interessieren keinen. Das beste ist, mit immer jemand anderem Doppel oder Mixed zu spielen. Immer wieder mit einer neuen Person rauszufinden, wie man sich organisiert, immer wieder neu zu gucken, wie gut die Raumverteilung klappt. Manche sind ganz lange dabei, manche noch ganz neu. Eine beißt immer zwischendurch in ihr Brötchen, neben dem Brötchen liegen Karotten und Äpfel, eine ganze Brotdose voll, so eine Art von Training ist das. Da sind Leute, die wollen einfach ein bisschen spielen und wenn man dabei auch mal gewinnt, ist das recht erfreulich, aber nicht entscheidend. Was auch stimmt: Wer am Samstagvormittag in der Halle steht, hat Bock.

Eigentlich spiele ich vor allem gegen mich. Gegen meine Erinnerung, wie es früher einmal war. Wie viel Kondition ich mal hatte, wie schnell meine Reaktion war und wie hart die Schmetterbälle. Wie die Schulter noch nicht weh tat und ich noch besser sehen konnte. Selbst wenn ich mich jetzt richtig reinhängen würde, käme ich da nicht mehr hin. Aber das ist ok, Akzeptanz wird mittrainiert.
Das beste Gefühl ist, meinen alten Schläger von damals, meinen blauen Schläger aus einem Guss, mit der Bespannung von damals, die ich nach jedem Ballwechsel zurechtziehen muss, in der Hand zu halten und die Person von jetzt zu sein.

Im magic loop

Guter Urlaubszustand im Kopf, ich habe wie immer in dieser Zeit die Kontrolle über die verinnerlichte Dauer von wiederkehrenden Intervallen, zum Beispiel Tagen, verloren. Alles eine Suppe gerade. Anfang der Woche haben wir den Keller ausgemistet und einen kleinen Haufen Sperrmüll identifiziert. Weil wir so gut im Anpackenmodus waren, haben wir uns direkt gekümmert, dass er mit bürokratischem Aufwand abgeholt wird.

Die Stadtverwaltungsfrau: Der nächste freie Termin wäre am dritten Januar.
Mein Gehirn: Oh super, das ist ja direkt morgen!
Ich: Oh super, das ist ja direkt morgen!
Die Stadtverwaltungsfrau: Der dritte Januar ist nächste Woche Dienstag.
Ich: Oh shit, Silvester war ja noch gar nicht.
Die Stadtverwaltungsfrau: Jep.

Im Moment stricke ich viel und zum ersten Mal sind es keine rechteckigen Gewebe aus rechten Maschen, die man auch Decken für winzige Menschen nennen könnte, sondern dreidimensionale Hohlkörper aus rechten Maschen, die man Socken oder Pulswärmer nennen könnte. Dazu schaue ich fachliterarische Videos aus der Knitting-Branche. Und dann habe ich plötzlich meine Haare geschnitten. Ich mach das seit ein paar Jahren immer selbst, mein Opa hat vor dem Zweiten Weltkrieg für ungefähr einen halben Tag als Friseur für Frauen- und Männerköpfe gearbeitet und so schwer kann das ja wohl nicht sein. Normalerweise geht es ganz gut, wenn ich Haarpartien waagerecht vom Kopf weghalte und denn absäbele. So entstehen unter Nutzung von Geometrie dann leichte Stufen. Am Ende mache ich einen Zopf und schnippele noch ein wenig in die Spitzen rein, das sorgt dann dafür, dass alles gleichmäßig schief aussieht. Das klappt hinlänglich erfolgreich, wenn man ungefähr vier Zentimeter kürzen möchte. Ich aber wollte einen völlig neuen Look. Und so hab ich dann einfach drauf losgeschnitten mit meiner alten Küchenschere und schon bei der ersten Strähne vorn links dachte ich: Oh shit, oh fuck, fuck me. Ist immer auch schön zu merken, wie Selbstwirksamkeit reinkickt, auch mal anders als erhofft. Aber ich habs durchgezogen und was soll ich sagen? Es ist absolut dilettantisch geworden und wie schwierig ist es, am eigenen Hinterkopf irgendwas planvolles zu veranstalten, aber unterm Strich regeln meine ein bisschen lockigen Haare das jetzt. Und außerdem kommts eh immer nur auf die innere Haltung zu den Dingen an. Man kann sich mit viel mehr durchs Leben bullshitten als man so denkt.

Es gibt nun ein Schlagzeug in dieser Wohnung. Das große Kind hat es ins Zimmer gequetscht und trommelt seither eigentlich ununterbrochen Linkin Park, was interessant klingt, weil sich klangmäßig alles in Kopfhörern abspielt, bei uns kommt nur die ganze Energie und Dramatik an, mit der rumgekloppt wird. Damit es reinpasst, haben wir ein paar Möbel gestapelt. Das Zimmer besteht nun eigentlich nur noch aus gedrungenen Gruppierungen von essenziell notwendigen Einrichtungsgegenständen, Duftkerzen (es ist eine Phase) und einem raumfordernden Musikinstrument.

Das kleine Kind kann nun schwimmen, somit habe ich alle elterlichen Pflichten erfüllt und verabschiede mich nun langsam in die Phase, in der man nur noch auf Enkelkinder wartet.
Wir haben einen Schwimmkurs gemacht und nachdem es eine Zeit lang ein wenig stagnierte und die Hemmschwelle überwunden werden musste, das Schwimmbrett abzugeben und Arm- und Beinbewegungen zu synchronisieren, hat es dann innerhalb von zwanzig Minuten plötzlich sehr beeindruckend so gut geklappt, dass auch der Korkengurt immer weiter auseinandergebaut und dann nicht mehr gebraucht wurde und sie einfach schwimmen konnte. Und wie eine kleine Berserkerin mit maximalem Körperseinsatz vom Rand, vom Startblock, vom Ein-Meter-Brett und vom Drei-Meter-Turm ins Wasser flog. Ich bin so froh, bei dieser Entwicklung dabeigewesen zu sein und freue mich schon, ihr diese Geschichte über Durchhalten und sich Unbekanntem aussetzen und den dahinterliegenden winkenden Spaß im Blick haben in den verschiedenen frustrierenden Phasen ihres Lebens erzählen zu können.
Gestern war ich mit ihr im Schwimmbad und nachdem wir ein wenig geschwommen waren, hat sie eine kleine Wasserbekanntschaft mit einem anderen Kind gemacht und ich hab mich auf die Wärmebank verkrümelt und die beiden in Ruhe ihre Unterwasserabenteuer durchspielen lassen. Da saß ich dann und es war warm und akustisch diffus und gedämpft und es roch nach Chlor und um mich herum sich bewegende Wasseroberflächen und ich trocknete vor mich hin und hatte nichts dabei, in das ich meinen Blick senken könnte, alles im Spind. Und so saß ich dann und verfiel in einen meditativen Zustand der temporären Mittellosigkeit und schaute einfach nur den Kindern zu und war frei von Gedanken.

Work, work, work

Morgen ist der 23. Dezember and I’m still working. Das gabs noch nie, normalerweise ist bei mir Mitte Dezember Schluss und ich fall in einen vorweihnachtlichen Modus der maximalen Passivität, der nur noch zulässt, in eine Decke gewickelt an die tausend Stücke dünner Presspappe so lange ineinanderzustecken, bis es einigermaßen passt und hübsch aussieht und dabei abmoderierende Grunzlaute von mir zu geben, wenn sich jemand nähert oder mich anspricht. Aber dieses Jahr nicht, oh no, dieses Jahr wird durchgearbeitet bis Mariah Careys Lieblingstag anbricht und außerdem Samstag ist. Was erstaunlich okay ist? Was mich daran denken lässt, dass eine Lektorin beim früheren Arbeitsplatz immer wollte, dass wir im Heft okay mit o.k. abkürzen, was schrecklich aussieht. Und was ich nie gemacht habe.
Jedenfalls habe ich in den letzten Monaten viel gearbeitet und viel über mich gelernt und viel übers Arbeiten gelernt. Ich habe mit dem neuen Job eine Arbeit erwischt, die aus einer Aneinanderreihung und Verschachtelung unendlich vieler wohlproportionierter Tätigkeiten besteht, die alle mittlerweile vertraut sind, aber immer auch ein wenig neuartig und sparkly. Es passiert ständig irgendetwas, das ich anklicken muss. Oder prüfen oder anfragen oder vorbereiten oder nachbereiten oder liefern oder annehmen oder beauftragen oder abnehmen oder sperren oder bestätigen und aktualisieren oder bestätigen ohne zu aktualisieren oder auswählen oder rückmelden oder durchdenken oder planen oder anbieten oder analysieren oder abschließen. Immer müssen Lösungen her und wenn ein Problem platt gemacht wurde, kommt schon das nächste. Was aber gut ist: Alle Probleme sind immer lösbar und mittlerweile weiß ich das auch und kenne mich schon ganz gut aus und darum passieren hormonell interessante Dinge. Dauernd die Schublade aufziehen zu können, sich ein kleines gut handelbares Problem rauszunehmen, es zu betrachten, zu lösen und wieder zurückzulegen, lässt das Dopamin nur so plätschern und ein angenehmer Flow stellt sich ein. Also an mittleren bis guten Tagen.

Ich arbeite in der language industry. In der language industry arbeiten eigentlich nur Drinnies. Übersetzer*innen und Lektor*innen sind Leute, die graben sich ein in Texte und Recherchen und Kommentare und Terminologien und Konsistenzen und Fachgebiete und Styleguides und Corporate Wordings und Dudenauflagen. Die wollen nicht am Telefon sprechen, die wollen ne Mail bekommen und ihre Ruhe haben. Die sind freiberuflich und sind schon im Ruhestand oder noch im Studium oder auf Weltreise oder in Elternzeit. Die reagieren auf Jobanfragen manchmal auch sehr aus dem Inneren heraus. Wenn sie lange nicht beauftragt wurden und es gerade schwer ist mit dem Geld. Oder wenn sie ihre Deadline nicht halten können, weil ihre Mutter ins Krankenhaus musste. Die Mutter von ihnen ist oft im Koma. Überdurchschnittlich häufig habe ich den Satz „meine Mutter ist leider ins Koma gefallen, kann ich den Text eine halbe Stunde später liefern“ gelesen im letzten halben Jahr. Das ist ok, ja klaro geht das. Einer hat mir geschrieben, dass es ihm emotional nicht gut gehe und sich eine schlimme Krise entwickelt habe am Morgen und er lieber zum Arzt will, statt zu übersetzen. Das ist doch ganz klar. Es ist selten, aber es kommt vor und ich mag, wie sie mir als Auftraggeberin zeigen, dass ihr Leben vorgeht und dass sie darauf vertrauen, dass es unsere Arbeitsbeziehung nicht stört. Aber auch schöne Dinge werden geteilt, Hochzeitsfotos. Ich habe ein Hochzeitsbild gesehen, da hat unser Übersetzer in Polen seine Frau geheiratet, mit der er nach Mexiko zieht und seine Mutter schaut so unglaublich mies gelaunt aus. Die Mutter von Leuten in der language industry, ich bekomme ungewöhnlich viel von ihr mit. Einer hat ein Lama gestreichelt und direkt ein Bild gesendet, jemand denkt sich privat gern Musikrätsel aus, schickt sie an einen riesigen Verteiler mit beruflichen Kontakten und verlost dann Gewinne. Aber allerallermeistens liefern sie einfach nur sehr gründlich und zuverlässig ab. Und fischen tonnenweise Rechtschreibfehler aus Ausgangstexten raus, nebenbei als Service. Ich mag die Menschen der language industry.
Hier erhält man einen kleinen Einblick, wie sie arbeiten und wie eine Übersetzung entsteht.

Der Urlaub war super, wir haben ihn abgebrochen

Wir haben Ende Mai gedacht, wir brauchen im Sommer außerhäuslichen Urlaub und haben geschaut, wo noch was frei war. Und vielleicht liegt da schon der Fehler. Bzw. fängt da schon unsere verhaltensauffällige Beziehung zu Urlaub an. Warum fällt uns das mit dem Urlaub immer erst zehn Minuten vor Abreise ein? Und dann müssen wir hektisch Airbnb durchwühlen und ärgern uns, dass schon alles ausgebucht ist. Warum können wir das nicht wie andere Leute schon im Winter vorher oder so erledigen?
Wobei, es war anders, wir haben geschaut, was noch wo frei war. Also was war wichtiger als wo. Eine Behausung mit Garten sollte es sein und ruhig. Und gern so groß, dass die Kinder in richtigen Betten schlafen und nicht im Wohnzimmer auf dem Sofa, das man dann jeden Tag umbauen muss. Wir haben auch was gefunden, sogar in neu, alles frisch renoviert und mit schönen Tellern, Tassen und Löffeln ausgestattet und das Waschbecken im Bad war auch sehr hübsch. Und sogar nicht in Doitschland gelegen und trotzdem recht fußläufig am Ende der A2. Wir haben uns sehr drauf gefreut und unser kleines Auto ganz voll gepackt und auch die Sommerreifen noch schnell draufgezogen. Und dann waren wir da und die Sonne schien und der Badesee war auf der einen Seite etwas klein, aber wenn man durch ein kleines Wäldchen ging, kam man an der anderen Seite raus, am Campingplatz, und da wars schön und da war nichts los und da gabs Schwäne, auf denen man über den See strampeln konnte. Das haben das große Kind und ich übernommen, hinten saßen die anderen beiden und haben entweder Stress gemacht wegen Haien oder wegen zu großer Langsamkeit.

Und dann sind wir ein paar Tage lang zum See gegangen und durch die Gegend gelaufen und waren im Supermarkt und im Garten und haben gegrillt und Cornflakes zu Kinderfernsehen gegessen und lagen rum und haben gelesen und mit Bällen und Ballsportgeräten gespielt und haben mit einem Gasherd gekocht und in heißen Zimmern unterm Dach geschlafen und dann hats uns allen gereicht und wir haben nach vier statt nach sieben Nächten unsere Sachen gepackt, aufgeräumt, sauber gemacht, das Auto beladen und sind nach Hause gefahren. Und wenn man dann dort ankommt und alles wieder auspackt und verräumt und wäscht (kaum schmutzige Wäsche natürlich) und dann fertig ist, fühlt es sich an, als habe man ein paar Bonustage geschenkt bekommen und gleichzeitig fragt man sich, ob man den größten Knall von allen hat. Dass man die Tage im Jahr, an denen man woanders sein kann und dafür ja auch viel Mühe und Mittel investiert hat, verschwendet, weil man sie nicht voll ausschöpft, sondern nur bis zu dem Moment, an dem es eben reicht. An dem man merkt, es zieht einen wieder nach Hause, wo alles ist, was man braucht und mag. Wo Spielsachen und Bücher und Spiele und eine eigene Zimmertür dafür sorgen, dass schlechtes Wetter komplett egal ist und gutes auch. Wo man einfach nichts machen muss, anders als an den allermeisten Tagen im Jahr. Nur sein.

Es ist ein bisschen so, wie eine top Pizza vom Lord aller Pizzen serviert zu bekommen und dann nach der Hälfte, die wirklich gut war, eine wirklich außergewöhnlich schön gemachte Pizza, zu merken, dass der Hunger weg ist und es eigentlich reicht. Und dann einfach aufhört, sich bedankt und geht. Klingt doch eigentlich ganz gut. Klingt ja fast schon nach achtsamer Urlaubsführung.

Zeit im Mai

Wenn man von morgens bis nachmittags frei hat, ist das ein sehr gutes Zeitfenster. Da bleibt eine gewisse Grundspannung bestehen und trotzdem fühlt es sich nach so angenehm unüberschaubar vielen Minuten an. Frei haben bedeutet: Die Kinder sind in der Schule, Erwerbsarbeit fällt aus (wegen Kündigung aus den richtigen Gründen. Gibts falsche? Ich weiß nicht, vielleicht schon. Ich hatte jedenfalls in Absprache mit meinem Wertesystem richtige und gute und ich ziehe also weiter und freue mich auf alles, was bald an neuer Stelle kommt. Aber bis dahin halt: Urlaubstage abbauen und Überstunden ausgleichen). Es gibt keine Termine und um die Steuererklärung oder das Badezimmer muss sich nicht so superdringend gekümmert werden, dass es nicht auch morgen noch reicht oder im Herbst. Es muss sich für sieben Stunden um so gut wie gar nichts gekümmert werden, wenn man atmen nicht als offenes to do begreift, und ich entscheide ganz allein, was ich in der Zeit mache. Erstmal Kaffee, O-Saft, Marmeladentoast frühstücken im Bett mit den Tagesthemen. Dann direkt liegen bleiben mit einer Folge The Office. Dann auf den Balkon umziehen und die Pflanzen anschauen, mit einigen ein paar freundliche Worte wechseln. Wie schön sie wachsen, dieses Grün, diesen Sommer haben wir Rosen, ich werde alt. Dann Podcast hören, anziehen und Zähne putzen. Dann eine Runde raus, spazieren oder mit dem Rad in den Garten fahren. Dort die Pflanzen anschauen, wie schön sie wachsen usw., eine Hütte wird gebaut. Dann zurück, ein bisschen was Leckeres kochen und auf dem Balkon essen. Dann auf der Bank dort lesen oder am Schal stricken und einen Kaffee trinken oder eine Limo. Dann kommt das erste Kind von der Schule zurück und es ist Zeit, aufzubrechen, um das zweite Kind von der Schule nach Hause zu begleiten. Das wars mit der Selbstbestimmung. Sieben Stunden sind genau die richtige Dauer, um nicht vollends zu versacken und gleichzeitig trotzdem richtig gut rumzutrödeln. Ich habe das nun ein paar Wochen so gemacht und stelle fest: Es geht mir so gut wie lange nicht, diese Leichtigkeit, warum geben wir sie so schnell her. Und in Woche zwei und drei hätte ich fast einen Hund gekauft. Leider gab es da im Tierheim kein Modell, das bestens erzogen, Kindern zugewandt, stubenrein, gleichmütigen Charakters, carearbeitsbegabt, arm an Körperausscheidungen, bewegungsfaul und auch sonst komplett anspruchslos war, darum hat das nicht geklappt. Daran anschließend habe ich mich dann mit Staubsaugerrobotern, die auch wischen können, beschäftigt und so einer wird’s wohl bald mal werden.

Trick

Dem Drinnie-Kind Bluetoothkopfhörer aufsetzen, den Hamilton-Soundtrack auf dem Handy starten, es in die Hosentasche stecken und nach draußen gehen.
Eine Runde spazieren und auf wundersame Weise folgt das Kind, tanzend sogar, und macht absolut gar keinen Stress.

Bei Trost

Ich hab jetzt einen Ordner auf meinem Handy eingerichtet, da lege ich Screenshots von Texten rein, die mindestens einer Ecke in mir gut tun und ich nenne ihn mental health. Mental health ist „be soft and kind but take no shit“. Mental health ist „is it cool if i misinterpret this through a distorted lens of anxiety“. Mental health ist „the bees. they know everything. be a person. be a person again“. Die Ecken in mir sind überall woanders, aber es sind im letzten Jahr viele geworden. Die Pandemie und einige andere Umstände haben diese dünne Haut verändert, die uns umgibt und die uns bei Laune hält, bei Verstand, die uns ermöglicht, vor die Tür zu gehen, ins Flugzeug zu steigen, uns ins Auto zu setzen, ins Konzert mittenrein zu gehen, keine Ahnung vielleicht auch einfach mit Skiern einen Hügel runter zu fahren, all die Sachen zu tun, die Menschen machen, weil sie sie erfunden und sich zu eigen gemacht haben, weil sie sie ausreichend gut beherrschen. Weil unser Hirn normalerweise ausblendet, wie verletzlich wir gebaut sind mit unseren ganzen Eingeweiden direkt unter der Bauchdecke und so. Weil das Gefühl getragen zu sein uns begleitet und davor schützt, zu viel Schutz aufzubauen, zumindest war es bei mir so und vielleicht ist das allein schon ein großes Glück gewesen, ein Privileg, das nicht selbstverständlich ist. Es ist mir ein wenig abhanden gekommen, die dünne Haut ist bei mir stellenweise durchsichtig geworden, glaub ich. Jedenfalls hätte ich manchmal gern einen Bunker. Und da würd ich dann mein Leben drin verwalten. Und dabei durchschnittlich alt werden und unterdurchschnittlich oft existenziell herausgefordert zu sein. Und das allein ist schon mal der dümmste Wunsch ever und er bringt mich direkt zu Gott herself, Denn Gott fände es vermutlich richtig mies von mir, mich einzubunkern und quasi die Schöpfung in Marmeladengläser zu füllen, nur damit bloß nichts passiert. Nur damit niemand vor der Zeit stirbt. Fuck off, das geht so nicht. Raus mit dir und du kannst eh nicht tiefer fallen als in meine Hand, würde sie sagen. Aber ich glaub halt nicht an Gott und das war bislang kein Problem für mich, aber nun merke ich langsam, dass es mich doch schon an den Rand von irgendwas bringt. Dass ich ein spirituelles Gesamtkonzept als Orientierungspunkt am Horizont jetzt vielleicht doch ganz gut gebrauchen könnte. Thea Dorn hat beim Alles gesagt-Podcast gesagt, dass es eigentlich nur rational und logisch ist, genau jetzt in dieser Pandemie als Antwort auf diesen ganzen globalen Abfuck gläubig zu werden. Dass Glauben den Trost spendet, der uns hilft, die Erkenntnis zu überwinden, dass Kontrolle eine Illusion ist.
Gut, also wollen wir’s auch mal nicht übertreiben. Ich kuratiere mir jetzt offensichtlich meinen eigenen Sprüche-Wandkalender in meinem Handyordner, das ist nicht nichts.
Mental health ist „everything you want is on the other side of fear“. Mental health ist „there is a crack in everything and that‘s how the light gets in“. Mental health ist „learn to sit back and observe. not everything deserves a reaction“.