Leseträge

Puh, das hat gedauert, aber jetzt ist es vorbei, denke ich.
Ich konnte in den letzten zwei Monaten nicht lesen. Klappte überhaupt nicht. Die Leitung zwischen visuellem Sinnesorgan und informationsverarbeitendem Hirnteil war verstopft. Meine Augen nahmen nichts auf, wenn ich sie über die Buchstabenreihen schickte. Es fing damit an, dass ich für ein Magazin diesen Krimi lesen musste. Der hat mir nicht gefallen und während ich in ihm steckte und die Seiten zählte, die hinter mir und vor mir lagen, freute ich mich auf gute Bücher und überlegte, welches als nächstes auf meinem Nachtisch warten würde.
»Swamplandia« von Russell lag moorhaltig, voller Geister und Alligatoren vor mir. Ich bestellte es, nachdem ich »Tschick« sehr gern gelesen und Lust auf einen weiteren pubertären Erzähler hatte. Doch, ach, es ließ sich nicht gut an. Sprachlich nicht besonders besonders, inhaltlich eher woodoolastig. Trotzdem habe ich über die Hälfte gelesen, bis ich einsumpfte und prinzipienlos mit einem anderen Buch begann. »Die Selbstmordschwestern«, denn Eugenides mag ich. Aber auch hier, nein es funkte nicht, irgendwie zu neunziger Jahre. Das zweite Buch abgebrochen, wie ein Schlendrian gefühlt, einen Vormittag frei und allein in der Buchhandlung, »Gegen die Welt« für seinen typographisch ansprechenden Prolog eingekauft. Das Vorwort war in der Tat ziemlich gut, dann drifteten meine Gedanken fort und ich ergab mich, leerte den Bücherplatz an meinem Kopfende, beurlaubte meinen Lesegeneral und wandte mich dem Lichtspiel zu. Der abendlichen Privatvorstellung der Seifenoper »Battlestar Galactica«, ein endloses Bangen um die menschliche Zivilisation, das sich nach kürzester Zeit in ein Hoffen auf ein möglich rasches Ende, egal zu wessen Gunsten, kehrte, sollten doch alle Menschen von Raptoren und Toastern gefressen werden, wenn es mir die restlichen siebenundachtzig patriotischen Folgen ersparte. Allein die Bekanntschaft zu Gaius Baltar hat mich tatsächlich gefreut.
Nun ist auch dies vorbei, Mensch und Maschine haben sich auf friedliche Koexistenz im Universum geeinigt, der Abend ist wieder Hauptlesezeit geworden und ich bin bei amerikanischer Gegenwartsliteratur gelandet. Die zog mich zuverlässig aus der Leselethargie heraus. »Ed King« hat einigermaßen komplexe Figuren, hier nervt mich ein wenig die schlechte Recherche, anscheinend hat Guterson noch nie mit Babykindchen, denn das ist laut Dr. Schmotzen die korrekte Bezeichnung für Säuglinge, zusammengewohnt. Der Part mit den super schlafenden Zweimonatigen und den durchorganisierten Tagen ist ein wenig am Leben vorbei, auch im Dienste des Werks nicht nötig, aber ich sehe darüber hinweg und mag es, wie mich ein Text wieder durch den Tag begleitet, im Hinterkopf die gemeinsame Zeit am Abend.
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Edit: Wer hätte das gedacht: Isabel Bogdan kennt das Problem auch und verlinkt auf andere Lesefaulpelze. Ich bin viele.

6 Replies to “Leseträge”

  1. „dass ich für ein Magazin diesen Krimi lesen musste“ … das ist ein verblüffender Satz!

    Magazine wollten von mir bisher immer nur, dass ich sie lesen, oder schlimmsten Falls abonniere. Aber ein Magazin hat von mir bisher noch nie gewollte, dass ich einen Krimi für es (dass man Dinge für „Es-e“ machen muss klingt etwa gruselig, fast schon krimihaft) lese, wollte es noch nie. Wenn ich Du wäre, würde ich möglicherweise die Auwahl der Magazine, die ich lese vielleicht überdenken wollen.

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    1. Ich lese gar keine Magazine. Ich mag sie nicht, bei denen habe ich immer das Gefühl, ihre Halbwertszeit wird in Sekunden gemessen. GEO und seine Geschwister sind die Ausnahme, aber die lese ich aus anderen Gründen nicht.
      Allerdings werden dort, wo ich arbeite, Magazine gemacht. Von vorne bis hinten in allen Stufen und mit tausendkanäligem online-Begleitschutz. Und eins von ihnen ist ein Krimimagazin, dafür habe ich ein Buch gelesen und kurz was dazu geschrieben. Kommt vielleicht wieder vor.

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      1. Ah. Oh. Ja. Logisch. In dem Sinne gibt es ja auch Magazine, die von mir etwas wollen, meistens, dass ich ihnen Webseiten baue, hehe. Aber für ein Magazin Bücher lesen und eine Rezension schreiben und dann dafür bezahlt werden … das ist ja wie Bloggen, nur dass man keine Rechtschreibfehler machen darf. Sehr spannend.

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  2. Ach und: So ging es mir nach dem Literaturwissenschaftsstudium mehrere, sehr dunkele Jahre lang. Nicht beneidenswert. Gar nicht. Gut, dass das bei Dir schneller wieder vorbei ging!

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    1. Ich habe das öfter, manchmal für ein paar Tage, als ich schwanger war permanent (so viel Zeit zum Lesen haben und dann nicht in der Lage sein), nachdem mein Vater gestorben war für ein paar Wochen. Jedes Mal ein wenig kurios, ich entschuldige mich dann bei den Büchern, die ich abbreche und sage ihnen, dass es allein an mir liegt und sie einen besseren Leser verdient haben. Meistens wenden sie sich dann für immer von mir ab.
      Meine Güte, was hat die Wissenschaft mit Dir getan? Wurdest Du die professionelle Lesehaltung nicht los?

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      1. Hmm … ich könnte nicht mal wirklich behaupten, dass es eine Grund-Folge-Beziehung zwischen dem Studium und dem Keine-Bücher-lesen gab. Der Großteil des Hauptstudiums bestand eh aus Sekundär- und Meta-Literatur. Und nach dem Studium stand dann erstmal jenes „Leben“ an, für das wir angeblich immer gelernt haben, das Arbeitsleben und das bestand zunächst aus viel Arbeit und die wiederum aus viel Programmieren. Da standen dann Bücher eine ganze Weile hinten an. Vermutlich eher natürlich.

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