Montag bis Donnerstag

Seit ich bis in den Nachmittag hinein arbeite und gegen halb vier zu Hause ankomme, hat sich mein Gefüge verschoben. Ich muss das erst lernen. Dieses tägliche fünfundsiebzigminütige Plus an Mehraufwand beschert mir einen latenten Zeitumstellungsschwindel. Ich mache während ich im Büro bin keine Pause. Das hat zeitgeizende Gründe. Ich esse eine Stulle während ich einhändig Exceltabellen ausfülle. Ein Tag mit Excel ist das schlimmste, was mir passieren kann. Excel macht mich fertig. Sehr, ich habe mir geschworen, es niemals so gut zu beherrschen, dass ich den mattesten Glanz seiner Schönheit erkennen könnte. Excel und ich: nicht. Die Kollegen verabreden sich für die Mittagspause. Sie essen in der Kantine, deren Koch ein Michelinstern besitzt oder drüben im Möbelhaus, das am Schnitzeltag die besten Umsätze nicht mit Sofas macht. Von oben kommt ein Redakteur und sammelt die Grafikerinnen ein. Hintereinanderher gehen sie raus aus dem Gebäude und rein in die Stadt, rein ins Bistro ran an den Dönerstand. In meinem Großraumbüro kehrt für die Dauer einer Pausenschnittmenge Ruhe ein. Ich habe dann Platz für mich allein. Ich mag das sehr gern und ich freue mich, sobald die ersten wieder zurückkehren und sich beschweren über zu kleine Portionen an Sättigungsbeilage des Sternekochs. Manche bringen Mandarinenschmandkuchen mit oder Eis für sich selbst. Früher war das der Zeitpunkt, an dem ich nach Hause gefahren bin. Ich habe die zweite Hälfte des Arbeitstages nicht mitbekommen. Jetzt schwimme ich mit ihnen noch in den Nachmittag hinein. Ich merke, ob die Tage der anderen gut sind oder schlecht. Ich bin dabei, wenn nervige Kundentermine zu Ende gehen. Ich habe das kleine gegen das mittlere Stimmungsbild eingetauscht. Wenn ich fahre, stehen die meisten am Rand ihres Nachmittagstiefs. Ein paar Mütter würden jetzt über die Ladentheke gehen, wenn sie gegen den Schluss meiner Geschäftszeiten eingetauscht werden könnten. Halbe Stelle, halbe Kohle, sage ich ihnen. Wenn ich nach Hause komme, koche ich. Um viertel nach vier esse ich zu Mittag. Wenn ich um viertel nach vier zu Mittag esse, ist das meistens auch mein Abendbrot. Fünf Minuten später ist es acht Uhr. Dr. Schmotzen liegt im Bett und ich bin zeitgeizig. Ich schenke dem Schlaf keine überflüssige Minute. Ich lese und bin mit Monsieur LeGimpsi und reibe mir die Augen und nur noch fünf Minuten, so früh will ich noch nicht schlafen, ich bin doch eben erst heimgekommen. Und am Morgen stehe ich eine dreiviertelstundelang auf und mein erster Gedanke: Heute gehe ich um sieben ins Bett und für den Rest der Woche nehme ich mir Urlaub. Dann steig ich mit Dr. Schmotzen ins Auto und wir grüßen die Kühe auf Englisch guten Morgen, die Kindergärtnerinnen sind bestens gelaunt, ich komme ins Büro und wir gehen alle gemeinsam Kaffee holen und ich trinke keinen und nehme nur Wasser und die Wassermaschine ist kaputt. Wir machen Witze und ich freue mich auf die Stunden, die vor uns liegen.

2 Replies to “Montag bis Donnerstag”

  1. Obschon es in meinem Leben noch keine Dr. Schmotzen gibt, die morgens in der Kindergarten gebracht und abends abgeholt werden mag; und obschon bei mein Job meist am frühen Nachmittag noch der Großteil des Tages vor mir liegt; obschon mein Alltag also eigentlich ganz ander aussieht, kommt mir das schwer bekannt vor. Vielleicht ist das ein Teil der ostwestfälischen Seele.

    Direkt nach dem Abi habe ich ein paar Monate bei Bertelsmann gesjobbt. Es gab nicht genügend Rechner, weswegen ich erst anfangen konnte zu arbeiten, wenn die ersten gingen. So gegen 16 – 17 Uhr. Dann bliebt ich bis 22:00, 23:00 Uhr. Ab spätestens 21:00 Uhr hatte ich ein 200 qm Großraumbüro für mich alleine ich habe nur meinen Arbeitsplatz beleuchtet, 1Live gehört und sehr zufrieden meine 16 Stelligen Nummern in den PC gehackt.

    Was Excell angeht: Du tust gut, ihm zu misstrauen. Excell mutiert die Gedanken. Excll verändert die Weltsich. Es heißt, wenn man nur einen Hammer haben würde, sähe nach einer Weile alles aus, wie ein Nagel. Für Excell gilt das gleiche. Wenn man zuviel damit arbeitet, wird langsam, unmerklich alles zu Tabellen, man selber wird Buchhalter. Ist unvermeidlich.

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  2. Absender unbekannt verzogen 21. Mai 2012 at 14:18

    Wird Dir die Pause nicht ganz automatisch gemäß Arbeitszeitgesetzt berechnet, unabhängig davon, ob Du sie machst oder nicht?

    Ritter des Rechts, ist dem nicht so?

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