Was fast 2jährige Mädchen so brauchen können

frage ich mich (die Lebkuchentürme im Einkaufsladen bringen seit Wochen schon den inneren Weihnachtscountdown in Position). Dr. Schmotzen wird diesen Advent nämlich ihren ersten Kalender bekommen. Selbstgezimmert, -gestrichen und -genäht. Und: gefüllt. Füll mal 24 Säckchen mit Mädchen-Schnickeldi, das nicht zu klein ist, nicht zu groß, nicht zu scharfkantig, nicht zu kompliziert, nicht zu teuer, nicht zu zuckrig und trotzdem Freude bereitet. Eben, kannste mit der Nachdenkerei nicht früh genug anfangen.

Gartenarbeit

und mein Nachbar fährt mit seinem Traktor über die Felder und beschallt uns mit Johnny Cash.

Das Haus meiner Oma

Ich wohne im Haus meiner Oma. Mein Opa hat es gebaut. Es waren die Fünfziger, er stammte aus Thüringen, fand hier die Liebe und brauchte einen Ort für seine Frau und was noch kommen möge. Als die Liebe ging, ging mit ihr mein Opa. Er hatte sie woanders neu entdeckt. Meine Oma blieb. Sie ließ die Traurigkeit mietfrei wohnen und lernte Autofahren.
Wenn ich auf dem Sofa sitze, weiß ich, an dieser Stelle ist Mama geboren. Wenn ich im Büro von Monsieur LeGimpsi stehe, weiß ich, hier sind wirklich gute Pickerts entstanden. Wenn ich in Dr. Schmotzens Zimmer bin, weiß ich, hier stand ihr Bett, hier habe ich bei ihr geschlafen, unter großem Grusel unter dem Kruzifix.
Sie ist krank, meine Oma. Zuerst verließ sie die neueste Erinnerung, dann die ältere. Sie vergaß, zu schlafen, sie vergaß, sich zu waschen, sie vergaß, zu essen, sie vergaß, damit aufzuhören, sie vergaß die Namen ihrer Kinder und deren Gesichter und dann war es nur noch ein kleiner Schritt und sie vergaß auch sich selbst.
Wir haben ein paar Wände eingerissen und die Türen sind neu. Alles ist heller und leichter. Wenn ich im Wohnzimmer bin und stricke, weiß ich, genau hier hat auch sie gesessen und gestrickt und das ist ein wirklich schönes Gefühl.

Where children sleep

2004 begann James Mollison die Zimmer und Schlafstätten von Kindern auf der ganzen Welt zu fotografieren. 50 dieser Porträts stellt er in seinem Bildband Where Children Sleep vor. Dokumentarisch und entlarvend. Spielzeugexplosionen neben Miniaturdesignermöbellandschaften neben abgerissenen Couches neben nichts.


(Süddeutsche Zeitung Magazin Nummer 40, 8. Oktober 2010)

Monsieur LeGimpsi schimpft

Monsieur LeGimpsi ist ein sehr unterschiedlicher Mensch. Zu mir. Wenn er sich etwas vornimmt, macht er eine sorgfältige Planung, Tage zuvor. Niemals käme ihm um vier Uhr nachmittags in den Sinn, den Rasen zu mähen. Impromptu. So etwas legt er sich zurecht und fügt es in einen Zeitplan ein, den er in Gedanken stets bei sich trägt. Er sagt dann: Am Samstag gegen elf werde ich den Rasen mähen. Und dann macht er das auch. Jeden Morgen fragt er mich Was hast Du für den Tag geplant? Ich gebe dann schnell eine relativ vage Antwort Ich werde heute mein Buch lesen. So fällt nicht sofort auf, dass ich keine Pläne mache. Ich bin anders. Ich sage zu Dr. Schmotzen Lass uns in den Garten gehen. Und dann fange ich an, Staub zu saugen. Natürlich werde ich mit Charlotte in den Garten gehen, nur ist mir eben kurz etwas dazwischen gekommen. Das treibt Monsieur LeGimpsi in den Wahnsinn und sorgt bei ihm für eine Grundnervösität. Er sagt Du solltest Dr. Schmotzen nicht mit widersprüchlichen Informationen speisen. Ich finde, das tue ich nicht. Dr. Schmotzen kann sich darauf vorbereiten, in einem Zeitfenster, das die nächsten zehn bis sechzig Minuten umfasst, mit mir in den Garten zu gehen. Das muss solch ein kleiner Kinderkopf erstmal verarbeiten. Womöglich bildet sie auch noch Vorfreude, das ist doch etwas Gutes.

Unantastbares Middlebrow

The Sopranos, Six Feet Under, Dexter, Californication, The Wire, neuerdings Mad Men.
In den USA laufen sie unter dem Gattungsbegriff Middlebrow.
In Deutschland steht man wort- und ratlos vor der Vermarktung dieser sorgfältig produzierten amerikanischen TV-Serien, an denen jegliche Versuche der Synchronisation und Einverdeutschung scheitern müssen. Wie auch nicht?
Hierzulande hapert es bereits an der eigenen Genrebezeichnung.
Middlebrow ist andersartig. Es vermischt Hoch- mit Popkultur, referiert durch intertextuelle Verweise auf Kultur, Geschichte und Politik. Ein ironischer, kulturell verankerter Subtext, der nur im Originären bleiben kann, unantastbar.
Deutsche Fernsehmacher sind beeindruckt von hohen Zuschauerzahlen im Produktionsland, kaufen die Lizenzen und bearbeiten. Neben die der üblichen Übersetzungsproblematik geschuldeten Bedeutungsverschiebungen gesellt sich eine angreifbare, kostengünstige wie unsensibel geführte Synchronisation, die das Material angreift, die eine neue Lesart erzwingt. Die den Wert nimmt.
Dem Konsumenten bleibt die DVD mit der Originalversion als Ausweg.
Wir sollten lernen, unsere eigenen kulturellen Kontexte künstlerisch zu verdichten. Bleiben wir diesmal bei uns, erschaffen wir aus uns, versuchen wir nicht, andere Erfolge deutsch anzustreichen, sie gehören uns nicht.
Dominik Graf hat es geschafft: Ach, Marek, Grischa, Wodka!