Tiefe Bauchatmung

Neulich sind Monsieur LeGimpsi und ich durch den Wald gegangen und haben über Generation Z gesprochen und wie sie auf Tiktok niemand mehr versteht. Wobei es eigentlich Quatsch ist, weil Tiktok vor allem ihre eigene Plattform ist. Bleibt also, dass niemand sie versteht. Was auch Quatsch ist, weil ihre Freund*innen und Familien und Lehrer*innen und Soziolog*innen und später dann Historiker*innen sie bestimmt wohl verstehen. Bleibt also eigentlich nur, dass ich sie nicht so richtig verstehe, weil ich eigentlich auch niemanden der Gen Z kenne. Dafür die Alphas dann wieder, denn zu denen gehören meine Kinder. Was nicht ganz korrekt ist, wie ich gerade feststelle, denn nur meine kleine Tochter ist eine Alpha, die große eine Z Und die verstehe ich schon noch und auf Tiktok ist sie aber bislang nicht, da wäre es jetzt schon interessant, zu überprüfen, ob ich sie und ihr Zeichensystem dort verstehen könnte. Aha. Gut, dass das nun geklärt ist. Wo doch so vieles weiterhin im Vagen bleibt. Wo sich die Dinge neu ordnen. Wo ich nur denken kann: Akzeptieren, akzeptieren, akzeptieren. Wo ich doch mit Unsicherheit und dem Wegfallen von Kontrolle einfach überhaupt nicht klarkomme offensichtlich. Nicht mal die Illusion von Kontrolle, hab ich noch. Die ist mir zuletzt weggebröckelt, so wie Personen, von denen ich dachte, sie seien gesund, umkippen und dann sind sie entweder gar nichts mehr oder erstmal sehr deutlich nicht gesund. Und dann das Pandemielife und seither identifiziere ich mich einfach nur als Ball in einer Lotteriescheißetrommel und machmal werden Bälle neben mir rausgenommen und ich merke sofort, wie stochastisch bedrohlich es wird und manchmal werden Bälle hinzugegeben und das Aushalten wird leichter. Das waren zwei disruptive Jahre, die haben was mit mir gemacht. Mich das Fürchten gelehrt. Sie haben mich weicher und härter werden lassen. Weicher mit mir selbst und härter gegen andere. Was nicht schlecht ist. Die meiste Zeit meines Lebens war es genau anders rum. Aktuell bin ich innerlich ein Smoothie, in den von außen aber niemand seinen Strohhalm reinhalten kann. Grundsätzlich erstmal nicht verkehrt. Ich hab viel über mich gelernt in den letzten Monaten. Was hilft, wenn ich mal nicht klarkomme (und boy, ich komm oft nicht klar): Spazieren gehen, etwas mit den Händen machen, puzzlen, putzen, kochen, baden, aufräumen, etwas planen, etwas anders als sonst machen, mit jemandem sprechen, feel all the feels, Musik hören, arbeiten, alte Serien schauen, den Parasympathikus seine magic machen lassen, tiefe Bauchatmung, weitermachen. Weitermachen eigentlich unterm Strich. Immer weitermachen. Das Machen ist nicht mein Problem, das kann ich gut. Gestalten, was gestaltet werden kann. Keine Leichtigkeit erwarten, keine Fröhlichkeit. Eine schwere Zeit erkennen, wenn sie mir über den Weg läuft, mich unterhaken und Erwartungsmanagement betreiben.
Auf jeden Fall bin ich aktuell schon wieder viel älter als biologisch vorgesehen. So wie mit Mitte zwanzig, als ich Mutter wurde und über Nacht für sehr lange Zeit Anfang dreißig war. Jetzt bin ich Mitte dreißig, fühle mich aber wie Ende vierzig. Damn it.

I’ve saved every letter you wrote me

Weiterhin Hamilton hören all day every day. Ich trag so nen kleinen Lautsprecher mit mir von Zimmer zu Zimmer und treibe den akustiksensitiven Monsieur LeGimpsi damit an den Rand der Scheidung (egal, Washington is on my side). Seit ich mit dem kleinen Kind schwanger war, kann ich Hitze nicht mehr leiden. Darum den Tag in der abgedunkelten Wohnung verbracht und aufgeräumt. Echt nicht so viel macht so viel Spaß wie Sachen aufräumen. Ich räum so gern Sachen auf. Noch besser: Sachen ausmisten. Alles einmal in die Hand nehmen und gucken, ob’s noch gebraucht wird. Und vor allem: Gucken, ob’s ein besseres Ordnungssystem gibt. Es handelt sich um eine wohltuende Parabelbewegung. Erst wirds unglaublich chaotisch und dreckig und Dinge stapeln sich um einen herum und man denkt, das passt unmöglich alles wieder in diese Kiste rein und dann beginnt man die Lage zu sondieren und merkt sofort, richtig viel braucht man einfach nicht mehr und bekommt direkt ein kleines hellblaues Gefühl und wischt die Kiste einmal flott aus und ab diesem Punkt befindet man sich auf süßer Talfahrt und was bleiben darf, wird zurück in die nun geräumige Kiste gelegt und das wars an der Stelle. Alles kommt an seinen Platz und dort liegt es dann, bis es das nächste Mal wichtig wird. Gestern beim Einschlafen dachte ich, morgen wird ausgemistet und dann ohne Scheiß hab ich die halbe Nacht wachgelegen, weil ich mich so drauf gefreut und jede Schublade schon mal geistig vorsortiert habe. Ziel ist immer, in der Wohnung einen topaktuellen Zustand zu haben. Also alle Dinge, die hier mindestens einem Kind nicht mehr passen, in den Keller zu bringen oder langfristig loszuwerden. Dass wir nur das um uns haben, was wir brauchen (und achttausend selbstklebende Wackelaugen in unterschiedlichen Größen nur für den Fall natürlich). Guter Tag.

That Would Be Enough

Diese drei Tage ohne Kinder sind das erholsamste, was ich seit 2008 gemacht habe. Mein Leben besteht aus Hamilton hören, Ottolenghi kochen, lesen, schlafen, stricken und Podcast hören, alte Obama-Videos schauen, Fahrrad fahren und mit Monsieur LeGimpsi durch die Gegend laufen. Regel: Dabei tragen wir Kopfhörer und sprechen nicht. Zusammen sein und trotzdem kann jeder machen, was er will. Wir haben dieselbe hohe Schrittgeschwindigkeit und meistens laufen wir komplett synchron. Ich komme mir dabei vor wie ein zeitreisender militärischer Zombie (ich bin komplett abgespalten von meiner Umgebung und höre am liebsten Right Hand Man und Guns and Ships).

Mein Nachbar

Der Mann meiner Nachbarin ist gestorben. Mein Nachbar also. Sie wohnen noch nicht lange bei uns im Haus und wir kennen uns nur aus der Ferne. Aus der Ferne sehe ich, wie der eine Mensch plötzlich fehlt und der andere sein Leben verloren hat. Meine Nachbarin sieht aus wie jemand mit großen Schmerzen. Wie nach einem Verkehrsunfall, wenn verschiedene Arten von Schmerz miteinander um die Wette brüllen und mal der eine, mal der andere führt und man selbst aber eigentlich gar nichts mehr zu melden hat. Wie jemand, der gerade erst begonnen hat, zu trauern und ahnt, wie tief der Brunnen sein wird, in den er gefallen ist. So eine Art von Trauer kenne ich nicht selbst und wenn ich meine Nachbarin sehe, habe ich nichts als Respekt für sie. Für das, was sie trägt und wie sie versucht, die Last auszubalancieren und wie sie manchmal daran scheitern wird.

Ich wundere mich immer wieder, wie schnell ein Mensch in diese Lage geraten kann. Wie dünn die Haut ist, die uns zusammenhält und warum wir nicht über dieses Wissen verrückt werden. Wie leicht es sich verdrängen lässt und mich glauben macht, mein größtes Problem derzeit sei, dass ich bald einen Kindergeburtstag für lauter Fünfjährige ausrichten muss.

Ich denke an meine Nachbarin und denke an mich selbst. Ich treffe meine Nachbarin auf der Straße und möchte ihr sofort von meiner Trauer erzählen und wie ähnlich das mit dem Tod in mein Leben kam und denke, das wird ihr ja sicher helfen, mich zu hören. Und ich treffe sie und sage nichts, denn wir sind nicht allein und der Moment nicht da. Und hinterher fällt mir ein, wie andere mir damals ihre Geschichten erzählt haben, wie sie ihre Pakete bei mir abgeladen haben, weil man anscheinend zur allgemeinen Lieferstelle wird, wenn man etwas erlebt, das im Alltag sonst nicht weiter besprochen wird. Wie sie vor mir standen und gesagt haben: Ich weiß was, ich weiß was. Und ich mich wie ein Gefäß, wie eine Vase gefühlt habe, in die jeder seine verdorrten Blumen stellte. Bloß dass ich eine Vase war, die gerade einen Verkehrsunfall hatte und in tausend Stücke zersprungen und von sehr vielen Pflastern gehalten wurde. Also mehr ein Haufen Glassplittermatsch, als herkömmliche Vase. Und da habe ich mich erschrocken, denn fast hätte ich das nun auch gemacht.

Dabei sollten wir unsere Geschichten teilen können, denn offenbar lebt in uns das Bedürfnis danach. Vielleicht nicht mit den frisch Betroffenen, die wir nur aus der Ferne kennen, die haben vom Leben für die nächste Zeit genug Input bekommen. Aber im Alltag. Mehr vom Tod sprechen, ihn mehr reinholen und ranholen zu uns, in unsere Gespräche. Mehr zeigen, was wir wissen. So vielleicht: Also die Erdbeeren diesen Sommer schmecken allesamt irgendwie etwas gummiartig, findest du auch? Mein Vater hat die ja geliebt, der konnte ständig Erdbeeren essen. Der ist eines schönen Tages einfach umgefallen und war sofort mausetot, verrückt oder? Naja, jedenfalls sind mir Erdbeeren deswegen immer äußerst sympathisch, egal ob gummiartig oder nicht.
Oder so ähnlich halt.

In Unkel sein

Also wir waren in Unkel.
Hä, fragte jeder, dem wir davon erzählten. Ja Unkel halt, kleines Örtchen am Wasser, umgeben von Weinbergen, oben in Rheinland Pfalz, nah am Siebengebirge, sagten wir. Achso ok, sagte jeder. Und: Na dann. Und wir sagten, aber wir bleiben nur für vier Nächte, erstmal nur mal gucken, wie es da so ist. Und dazu sagten die meisten: Ja klar. Und damit war eigentlich alles gesagt und das Erwartungsmanagement für den Sommerurlaub dieses Jahr für alle Beteiligten eingetütet.

In Unkel ist es eigentlich ganz schön. Wirklich netter historischer Ortskern direkt am Rheinufer. Dort lag auch unsere Ferienwohnung, die ebenfalls uralt war, mit passend mitgenommenem Holzfußboden und viel Geknirsche. Das Beste an ihr war aber die umfassende Bibliothek an Büchern, Spielen, Puzzlen und Hörbüchern. Da waren die Kinder natürlich sehr begeistert und vier Tage haben lange nicht gereicht, um sich alles in Ruhe anzuschauen. Vier Tage ist eh eine gute Zeitspanne, wenn man vorher nicht so genau weiß, was einen erwartet und was für eine Art von Urlaub das nun wird. Ankommen, drei Tage dort sein, wieder fahren. Lässt die gefühlte Zeit ganz dicht werden.

Was haben wir also gemacht außer Bodendielen gestreichelt und Hörspiele gehört? Der ideale Urlaub sieht in meiner Vorstellung so aus, dass ich drei Wochen lang in einer einsamen Hütte in Schottland mit einem Zentner Bücher und höchstens noch Monsieur LeGimpsi zusammenlebe und den ganzen Tag über nichts mache außer zu lesen und in sitzender Position in meiner näheren Umgebung rumzugucken, manchmal etwas zu essen zubereite und ansonsten schlafe und spaziere. Da das mit zwei Kindern aber nunmal zu reizarm und realitätsfern ist, haben wir uns für jeden Tag einen kleinen Ausflug überlegt. Wir waren mit der Drachenfelsbahn auf der Drachenfelsburg, wir waren im Zoo und im Freizeitpark. Und zwischendurch saßen wir am Rheinufer vor der Haustür und haben gespielt, haben andere Identitäten angenommen (Monsieur LeGimpsi war irgendwann Rüdiger Unbeteiligt und hat sich aus der Sache rausgezogen) und haben unterschiedliche Wasserfahrzeuge mit ihren jeweiligen Absichten angeschaut. Jetskis zum Beispiel waren offensichtlich immer auf der Flucht.

Zoos sind keine guten Orte. Ich denke das jedes Mal, wenn ich in einem bin und nach diesem Zoobesuch will ich es mir endlich merken. Und wenn sie die Nebenfunktion haben, gefährdete Tierarten zu erhalten, dann kann man sie auch besser erfüllen, als in zwanzig Quadratmeter großen Käfigen. Freizeitparks hingegen können gute Orte sein. Also zumindest der, in dem wir waren. Da war ich doch angenehm überrascht, wie wenig dort aus Pappmaché besteht und wie sorgfältig ausgestaltet jede Ecke ist.

Ich hab ja schon nach einem Purzelbaum schlimmen Drehschwindel und so war ich angemessen stolz auf meinen tollkühnen Mut, direkt zu Beginn mit dem kleinen Kind an der Hand dem großen Kind und Monsieur LeGimpsi (sowieso war das unsere intuitiv erfolgreiche Aufteilung im Park: Großes Kind und er, kleines Kind und ich) in ein geschlossenes Gebäude zu folgen und mich in so einen Sitz festschnallen zu lassen, eine 3D-Brille aufzusetzen und dem leicht verunsicherten kleinen Kind gegenüber souveränen Optimismus auszustrahlen. Und boy, did we have fun. Es stellte sich nämlich heraus, dass wir in einer Tortenbäckerei gelandet waren und wir mit munitionsgeladenen Spritzbeuteln Mäuse in die Flucht schlagen mussten während wir auf Schienen von Raum zu Raum sausten. Ganz ohne Loopings. Vergnügungsparks, tihi. Es ist schon ein wenig merkwürdig, einen Haufen Geld zu bezahlen und dann Eintritt zu einer kompletten Künstlichkeit zu erhalten, die einzig zu dem Zweck gestaltet wurde, dass Leute eine endorphinreiche Zeit haben. Und wie gut das Design in diesem Fall ist, wie gut es funktioniert.
Drachenfelsburg ist auch ein schöner Ort.

Das waren schöne vier Tage. Wir hatten eine hohe Quatschigkeit und einen guten Flow. Ich mag diesen Haufen, der wir sind, sehr.
Aber wir saßen auch jeden Tag im Auto und haben viel Geld ausgegeben. Ausflugsdichte Urlaube sind schlecht skalierbar, wir brauchen mittelfristig also eine Mischung. Nächstes Jahr dann. Vielleicht schaffen wir es ja mal, uns vor Mai mit dem Thema zu beschäftigen und können so richtig losplanen.

On and on and on

Die zweite Woche war besser. Wir sind einfach die ganze Zeit zu viert in der Wohnung. Jeder Tag hat dieselbe Struktur. Bis 13 Uhr kümmern sich hier alle um Erwerbsarbeit, Schularbeit und Verwüstung des Kinderzimmers. Zwischendurch Bildschirmzeiteinheiten. Dann gibts Mittagessen und die Töchter und ich schließen uns zusammen und gehen eine Runde nach draußen. Danach Eis ausm Tiefkühlfach, Kaffeepause auf dem Balkon und lesen, vorlesen, puzzeln, brettspielen, Aufräumarbeiten. Abends Fahrradfahren im Badezimmer und früh ins Bett. Heuschnupfen.

Ich habe einen riesigen Sitzball gekauft, damit ich beim Erwerbsarbeiten am Küchentisch nicht mehr so schnell Rückenschmerzen bekomme. Sobald ich aufstehe, um mal kurz das Telefon zu holen oder einen Tee zu kochen, wird der Ball sofort von anwesenden Kindern in Besitz genommen und nur nach längerer Verhandlung wieder freigegeben.

Kinder, die bei Videocalls wie hypnotisierte Kaninchen in die Kamera schauen oder neben einem stehen und abschätzig feststellen „Mama, du arbeitest ja gar nicht, du guckst ja nur“, gehören jetzt einfach eine zeitlang dazu. Ändern aber erstaunlich wenig an der Produktivität.

Monsieur LeGimpsi hat bemerkt, dass seine Kolleg*innen bei längeren Videoterminen von ihren Partner*innen regelmäßig mit Heißgetränken und Snacks versorgt werden und bemängelt meine fehlende Bereitschaft auf diesem Gebiet der partnerschaftlichen Zuwendung. Not gonna happen. Nope. Wir sind hier doch nicht im Kanzlerbungalow.

Eine aktuell sich doch häufiger aufdrängende Fantasie von mir ist, mir vorzustellen, Monsieur LeGimpsi und ich würden hier nur zu zweit in sozialer Isolation leben (die Pandemie mit all ihren Konsequenzen mal ausgeklammert, Infektionskrankheiten sind nicht Teil meiner Sehnsüchte). Wie viel einfacher das wäre. Ein Infinitypool der Ruhe, Langsamkeit und Selbstbestimmtheit, nur von bezahlter Arbeit unterbrochen.

Social distancing fällt introvertierten Leuten wie mir vermutlich sehr viel leichter. Ich spüre keinen Mangel.

Unter Wasser

Eine Ente sein. Jetzt eine Ente sein und den Kopf ganz lange unter Wasser halten. Nicht mal um nach Snacks zu suchen oder Fische zu befreunden, sondern, weil es so schön ruhig da unten ist.
Eine Woche ausgeprägte Häuslichkeit zu viert und ich träume also davon ein regionaler Wasservogel zu sein.

Was ich auf jeden Fall weiß, ist, dass wir gerade im Übergangsstadium sind. In dem sich alles findet. Neue Prozesse wohin das Auge blickt. Sozialverträge umschreiben, aushandeln, Kompromisse suchen, lösungsorientiert bleiben, sich den Bedingungen immer wieder neu anpassen, alle Läden am Laufen halten, alle Fäden in der Hand. Übergang ist immer anstrengend, find ich. Sogar Übergang in den Urlaub. Wenn wir am ersten Tag alle orientierungslos hin und her laufen, weil die Struktur fehlt. Und jetzt ist ja Gegenteil von Urlaub.

Dankbar sein für eine Wohnung, die groß genug ist, dass die Tür hinter sich schließen kann, wer möchte. Für einen Balkon, auf dem wir in der Sonne sitzen können. Für ein Fahrrad im Badezimmer. Für Jobs, die auch im Homeoffice funktionieren. Für Jobs. Für Mails von den Lehrpersonen der großen Tochter, die alle mindestens einen guten Satz in sich tragen („Hört jetzt einfach mal auf eure Eltern!“) und die das echte Anliegen zeigen, Schule auch jetzt am Leben zu halten. An den ganzen Einzeltischen in allen Kinderzimmern. Nicht wegen der Unterrichtsinhalte, sondern weil Schule ein guter, verbindender Ort sein kann. Für tausend neue digitale Kulturangebote, wie Lesungen aus dem Wohnzimmer und den Podcast der Stunde. Für Austausch mit den Nachbarn über gekritzelte Zettel im Hausflur. Für einen kurzen Moment in einer leeren Kirche, in der jemand irgendwas in Moll in die Orgel hämmerte und ich allein in der ersten Bankreihe auf den Ständer mit Kerzen für fünfzig Cent pro Stück schaute, die alle brannten. Für uns vier. Dass wir uns haben.

„Wenn alles vorbei ist, werden wir auf dem Schulhof singen und tanzen“, schrieb der Lehrer. Etwas haben, worauf man sich freut.

Morgen wieder

Also dieser Urlaub war eine richtige Zeitsuppe. Ganz und gar Pause, mit Stecker raus und alles auf null. Fast drei Wochen lang. Alle Maschinen runterfahren, auch die digitalen, vor allem die. Viel zu viert sein, viel auf dem Sofa sein, viel Tee trinken und lesen und vorlesen und Filme schauen. Wenig andere Menschen reinlassen. Still sein, neue Matratzen kaufen, dann auf ihnen liegen, dann auf ihnen schlafen. Viel schlafen. In anderen Städten schlafen. Spielen. Bei manchen Spielen die Regeln nicht verstehen. Eine Marsrakete bauen, einen Roboterarm bauen, eine Freiheitsstatue bauen. Einen Weihnachtsbaum bauen. Dem Eichhörnchen zuschauen. Wein trinken aus neuen Gläsern. Erhöhte Spülmaschinenaktivität. Und jetzt ist das vorbei und morgen gehts wieder los. Das andere. Die längste Zeit des Jahres.
Die Wochen im November und Anfang Dezember waren so voll und hektisch und am Ende herrschte im Büro das reinste Chaos. Also wirklich major fuckup. Ich habe mich so oft in diese Pause gedacht. Wie sie mich forttragen sollte. Nur noch das erledigen und das und das. Das hinter mich bringen und den Termin und den. Und dann war die Pause da und hat uns eingesammelt und mitgenommen und jetzt bleibt sie stehen und macht ihre Türen auf und sagt, allemann wieder aussteigen, raus hier, aber dallidalli. Und weil es aber so schön behaglich war, haben wir nur T-Shirts an und keine Schuhe und jetzt stehen wir an der Kälteschwelle und schlottern beim Blick nach draußen. Naja ok. Also. Naja. Ich würde diese Pause gerade halt so gern noch etwas festhalten und weiter in der Zeitsuppenblase schwimmen. Nur kurz, vielleicht ein paar Jahrzehnte. Dann müsste ich morgen im Büro nicht schauen, wo wir stehen. Und ich müsste auch nicht generell schauen, wo wir stehen. Und was eigentlich los ist und Dinge überprüfen und korrigieren. Aber naja ok. Also. Naja. Wie gesagt.

romjul

Ich bin in einem Hotelzimmer in Frankfurt. Hier gibt es einfach nur ein großes Bett und Monsieur LeGimpsi. Zwei der besten Dinge der Welt. Eben haben wir uns die Van-Gogh-Ausstellung im Städelmuseum angeschaut, dann eine freundliche Pizza gegessen, ein kleiner Rest in Servietten und Zeitungspapier gerettet in Reichweite, und jetzt liegen wir hier und gucken zwei Serien parallel: Immer abwechselnd eine Folge Wanderlust und drei Folgen Undone. Rechts neben dem Bett ist ein kleiner Balkon und dahinter der Fluss und die Stadt. Ein paar Meter über uns rauschen die Flugzeuge rein und raus. Sonst ist ganz still. Nichts passiert. Genau wie wir wollten. Ein leerer Raum zwischen den Jahren.

Das war eine anstrengende zweite Jahreshälfte.

Das große Kind geht nun auf die weiterführende Schule und ich schaue ihm so gern dabei zu. This kid.

Es gab da eine kurze Zeit von Sommer bis Herbst. Die war schwer. Also so, dass der Zoom nicht mehr zum Leben passt. Dass er immer wieder probiert, einen Fokus zu finden, immer wieder neu scharf stellt, abrutscht und man landet viel zu dicht dran oder viel zu weit weg vom eigentlichen. Sich selbst dabei zusehen, wie einem neue Gedanken wachsen. Und man denkt, is this real life? oder eben ah ja, so war das ja, alles nur aus dünnem Papier um uns herum. Ganz dünnes Papier. Jep, Körper hören manchmal einfach auf. Sie machen das, ich weiß. Seiner, deiner. Meiner dann also auch. Das war neu.
Aber dieses Mal nicht, diesmal ist alles optimal gut gegangen und wir wieder auf Spur und das ist ein großes Glück.

Wir haben jetzt ein Ergometer im Badezimmer. Sitzen und strampeln und schwitzen und grinsen.

Gute zwei Tage Pause gerade.

Die Tilda möchte mal so gern zu euch zum Spielen kommen.

Was ist eigentlich mit Kindern los, dass die sich nach über acht Stunden Kindergarten noch zum Spielen verabreden wollen? Die sind so merkwürdig. Aber das schlimmste: Weil sie noch so klein sind, in Begleitung der Eltern. Also ehrlich mal. Entweder die kommen allein klar oder sie warten, bis es soweit ist. Und ziehen bitte nicht Unbeteiligte und Uninteressierte wie mich mit rein. Warum sollte ich meine Nachmittage in den Wohnzimmern fremder Leute verbringen, mit denen mich nur der Zufall verbindet, dass unsere Kinder in dieselbe Kita gehen? Oder genau so schlimm: Sie kommen zu uns.
Das ist meine Zeit und ich habe absolut keine Lust auf diese Zweckzusammenkünfte, nur damit mein Kind Erfahrungen sammeln kann, die es genau so gut ein paar Monate später machen wird, wenn ihm ein wenig mehr Reife, Selbstständigkeit und Kommunikationskompetenz gewachsen sind. Ich meine das sehr ernst. Wenn mein Kind und ich sich gegenseitig ausschließende Bedürfnisse nach sozialer Interaktion haben, gehen meine vor. Weil ich bestimme. Ihm wird dadurch nichts vorenthalten, das ihm mittelfristig nicht möglich gemacht wird.
Bei Dr. Schmotzen damals. Da saß ich nie irgendwo rum, nur damit sie und ein anderes Kind in häuslicher Umgebung spielen konnten. Auf die Idee wär man gar nicht gekommen. Da gab es einfach keine Verabredungen und das war vollkommen ok (außer natürlich, die Eltern waren irgendwie befreundet). Zumindest nicht, bis sie alt genug war, um ohne Begleitung zu Leuten zu gehen und dort klarzukommen. Und das tat sie dann auch sehr ausführlich und hatte selbst auch viel Besuch und alles war überhaupt nicht meine Angelegenheit und komplett ihr Ding. Und sämtliche Bedürfnisse wurden erfüllt.
Ich verstehe diese verbreitete Haltung von Eltern nicht, Kindern so früh wie möglich Playdates klarzumachen. Und immer wieder anzufragen, wann man sich verabreden könnte, egal wie ausweichend man schon beim ersten Mal reagiert hat. Ich weiß, dieses Zeitfenster schließt sich bald. Das kleine Kind ist ziemlich bereit, anderen allein Besuche abzustatten. Bei seinen Freundinnen und Freunden ist es ähnlich. Ich hoffe, die Eltern kriegen die Kurve. Es gibt doch diese Klettergerüst-Regel. Wer nicht allein hochkommt, wartet halt, bis er’s schafft. Da kann schon mal ein Sommer dazwischenliegen. Man vertraut einfach aufs Wachstum. Können wir das für die Spielverabredungen nicht auch so machen? Ich jedenfalls schon. Weil ich einfach null Bock drauf habe, aber ich glaube, das erwähnte ich bereits.