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Auf meinem Balkon wachsen Erdbeeren. Auf meinen Balkon scheint lange die Sonne, von morgens früh bis bestimmt achtzehn Uhr. Immerzu werden die Erdbeeren von der Sonne beschienen. Sie wachsen ihr direkt entgegen. Mit ihren kleinen Tellerblättern sehen sie aus wie freundliche, zugewandte Strandtouristen. Ich passe auf, dass sie genug Wasser bekommen. Ich habe Dünger gekauft, ich meine es sehr ernst. Eine richtige Erdbeergluckenmutter bin ich in diesem Sommer. Mittlerweile kann ich jeden Tag eine kleine Hand voll pflücken. Sie schmecken süß und lustig.
Ich denke viel an Omis Garten. War sie nicht schon über achtzig und ist immer noch viele Jahre lang mit ihrem Fahrrad in den Garten gefahren? Über dem Schloss am Tor war ein gebogenes Stück Leder zum Schutz vor dem Wetter und der Schlüssel hing direkt daneben, so konnte sie ihn gut erreichen. Wie klein sie war. Es gab zwei Wasserpumpen, das Wasser floss direkt in blaue Regentonnen. Sie waren über Schläuche verbunden. Sobald in der ersten Tonne ein bestimmter Wasserstand erreicht war, floss es weiter in die nächste, ein wenig kleinere. Ich mochte das. Man musste ein paar Mal pumpen, dann schoss das Wasser los. Es war ganz kalt und kam mir unendlich tief vor. Ich habe in der Küche jetzt auch eine Regentonne. Ich sammele darin das Wasser für die Erdbeeren. Das ist wirklich praktisch. Sobald hier jemand sein Glas nicht leer trinkt oder halb volle Flaschen mit nach Hause bringt, kommt das Wasser in die Regentonne in der Küche. Sie fasst anderthalb Liter und wenn sie abends voll ist, bringe ich sie auf den Balkon und gieße die Erdbeeren. Die Regentonne ist eigentlich ein Messbecher, aber nicht für mich.
In einem Sommer haben wir in Omis Garten Sonnenblumenkerne in der Erde vergraben. Ich mochte Sonnenblumen damals schon nicht, aber wie groß sie dann wurden, fand ich schon gut.
Das Gemüse war in Reihen gepflanzt. Ich kann mich an Kartoffeln erinnern, die wir aus der Erde gesammelt haben. Und immer die Mutter bestaunt und beiseite gelegt. Und an Petersilie, an Rhabarber, an Möhren. Und an die Erdbeeren natürlich. Ich habe sie in der Regentonne gewaschen und mir in den Mund gesteckt. Erdbeeren wurden immer sofort gegessen.
Alles Liebe, hätte ich heute zu dir gesagt. Fuck, wie gern ich das heute zu dir sagen würde.

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