Turnstunde
Jeden Montag um zehn vor vier suche ich nach Gründen gegen das Kinderturnen. Jeden Montag um halb fünf fängt in einer kleinen Einfachturnhalle mit sechzig Jahre altem Holzboden Dr. Schmotzens Turnstunde an.
Die Tochter liebt die folgenden fünfundvierzig Minuten Singerei, Kletterei und Hüpferei. Ich nicht.
Schwitzende Kinder mit hängenden Strumpfhosen und verrotzten Nasen drängeln vor und spielen gegeneinander an vertauten Gerätschaften. Ihre Mütter stehen zusammen und unterhalten sich über Nachbarschaft und gemeinsame Bekannte. Manchmal fährt jemand mit dem Rollbrett über einen dreijährigen Finger oder übergibt sich in die Ballkiste.
Die Turnlehrerin ist auf zack und ein heißes Eisen. Die Dichte an mitturnenden Vätern ist in dieser Gruppe überdurchschnittlich hoch. Manche tragen ihre Thermolaufbekleidung mit Reflektorband und Trinkflaschenhalterung am Gürtel. Sie rufen ihren Söhnen genderformende Sätze zu. Immer montags gegen halb fünf erkenne ich den Unterschied zwischen Menschen vom Land und Menschen aus der Stadt besonders gut.
Ich sage mir, ich halte durch bis Dr. Schmotzen vier ist, dann wird sie upgegradet in elternfreies Turnen.
Warum sind hier nie die hübschen Bilder zu sehen, die ich im RSS-Feed sehe?
Und warum werden hier meine Illusionen vom beschaulichen Landleben zerstört?
Männo. :]
Lieber Ben, manche Artikel haben keine Bilder, weil sie inhaltlich keine verlangen. Geschichten über Turnstunden zum Beispiel.
Auf der Indexseite allerdings braucht jeder Artikel ein Bild, denn das ist die Regel. RSS mag diese Text-Bildverknüpfung anscheinend und trägt sie hinaus in die Welt. Falls Du irgendwann einmal das Internet so wenig magst, dass der RSS Reader verbannt wird, schicke ich Dir die Bilder gern mit der Post.
Ach, das Leben auf dem Land. Wenn die Menschen hier doch Bäume wären. Oder Spargel. Heute zum Beispiel: sehr schön draußen. Der Bauer stapft übers Feld, Kraniche fliegen vorbei, Dr. Schmotzen und ich sitzen auf der Treppe im Garten und reden über den Sommer. Die Luft ist einwandfrei.
Aber. Es geht ja nicht darum ob Texte nun Bilder verlangen. Kein Text verlangt ein Bild. Ein Wort sagt schließlich mehr als 1000 Bilder. Es geht doch um die Metaphern. Das ist doch das Wesen der Metapher. Zwei Dinge stehen nebeneinander, die einander nicht verlangen. Und doch. Weil sie nebeneinander stehen werden sie eins. Ein Größeres. Was kann es schöneres geben? Ok! Gespräche mit Dr. Schmotzen auf der Treppen im Garten über den Sommer. Das sehe ich sofort ein.
Nein, nein. Texte brauchen keine Bilder um größer zu werden. Gute Texte stehen allein. Gute Texte sind voll. Angekoppeltes Bildmaterial lenkt ab. Da richten illustrierende Metaphern Schaden an, sie inspirieren nicht, sie schlucken Freiraum. Gute Texte sind bildlos. Bilder sind Krücken für transportlahme Texte.
Nur Text. Den Rest machen wir. Prinzip Buch, kennste, oder?
(Ich brauche mehr Bilder hier)
(geflüstert) psssst … aber niemandem verraten, ja?! … ich überlege ja, ob ich mein Blog per richtiger Post verschicken soll … jeden Monat eine Ausgabe oder so … das würde sicher sogar auf’s Land geschickt.
(ganz normal geschrieben) so richtig mit Aboprämie und IVW-Listung? Klebebindung, 100 g/m2-Umschlag und Vierfarbdruck? Zum Anfassen, Umknicken und Draufkrümeln?
Lieber Ben, ich bin dabei!
eine bessere beschreibung des kinderturnens in unserem dorf könnte ich nicht liefern:)) allerdings fehlen bei uns die männer. ich regel das hier mit suggestivfragen: „sacht ma, is doch echt schönes wetter! wollt ihr etwa wirklich zum turnen? schaut mal kekse und sonne auf der terasse…na? NA?“
klappt immer :))
in unserem turnverein gibt es eine mechanik: wer öfter als viermal hintereinander fehlt, fliegt aus der turngruppe. das hält mich einigermaßen bei der stange. naja und natürlich des kindes unverständliche freude an weichbodenmatten und rollbrettern.