Über diesen Sommer

Also in diesem Sommer ist ja alles etwas komplizierter bei uns, etwas schwieriger unter den Hut zu bekommen.
Das kleine Kind wechselt die Kita, weil es aus der alten rausgewachsen ist. Nun macht die alte Kita in den ersten drei Sommerferienwochen dicht und die neue in der zweiten Hälfte der Sommerferien, somit tut sich die häßliche Fratze einer sechswöchigen Betreuungslücke vor uns auf. Und außerdem startet die neue Kita natürlich auch mit einer Eingewöhnung, die dauert vermutlich zwei Wochen. Wir haben also insgesamt acht Wochen abzudecken, die wir mit so vielen Urlaubstagen wie möglich bewerfen. Haben wir uns aufgeteilt. Monsieur LeGimpsi übernimmt die ersten drei Wochen der Sommerferien. Die sind jetzt schon vorbei. Das war schön.

Wir sind für ein Wochenende zu seinen Eltern gefahren in die Nähe von Frankfurt. Dort waren wir im Senckenberg Museum (Monsieur LeGimpsi hat Fotos gemacht) und haben uns eingelegte Zungen in Gläsern angeschaut und zwei mumifizierte Kinderleichen und sehr viele ausgestopfte Tiere in Glasvitrinen. Weil das alles Naturkunde ist, war das ein überhaupt nur sehr wenig verstörender Museumsbesuch. Und wir haben an einem riesigen Konsolentisch Weltzerstörung abwehren gespielt und es ist uns schon im ersten Level nicht gelungen.

Am Sonntag haben wir dann Dr. Schmotzen zurückgelassen und sind ohne sie nach Hause gefahren. Zwischen uns lagen zum ersten Mal fast vier Stunden Autofahrt. Sie hat eine Woche mit ihren Großeltern und der Tante und dem neuen Hund verbracht und das war eine sehr tolle Zeit. Leben in einer Bibliothek, Hörspiele, Freibad, Hundeschule, Mondfinsternis, Kakao, Kakao, Kakao und eine ICE-Fahrt zum Schluss. Außerdem kann sie jetzt Kaffee kochen und ist einige Zentimeter gewachsen, auch innerlich.

Die nächsten zwei Wochen werden Monsieur LeGimpsi und ich beide arbeiten. Damit das klappt, passt meine Mutter auf die Kinder auf. Die Töchtern und ich sind in der Zeit bei ihr auf dem Land und freuen uns auf den Garten und Dr. Schmotzen sich auf ihre Freundinnen von früher.
Und dann habe ich drei Wochen Urlaub. Letzte Sommerferienwoche und Eingewöhnung in die Kita.

Das ist ein komischer Sommer. Er hat eine ganz zerfaserte Struktur, er strengt an. Wir haben keine gemeinsame Zeit, alles fühlt sich einfach nur nach Alltag an. Nach Alltag mit erhöhtem Organisationsaufwand. Für das Magazin habe ich neulich einen Text über Pause machen geschrieben. Pausen sind wichtig, Familienpausen auch. Diesen Sommer haben wir keine. Diesen Sommer ist das so. Die Herbstferien haben wir uns auch aufgeteilt, weil wir die Schließzeiten der neuen Kita nicht kennen. Weihnachten dann. Da sind wir wieder zusammen, da machen wir Pause.


drei!

Es ist kompliziert. Eigentlich hatte das kleine Kind ja bereits am 23. Juli Geburtstag, das ist in der Regel jedes Jahr so. In diesem war zu dem Zeitpunkt aber die große Schwester abhanden gekommen. Die verbrachte eine Woche bei den Großeltern in der Nähe von Frankfurt und darum hatte der kalendarisch verständige Teil der Familie beschlossen, die innere Distanz des kleinen Kindes zu kulturellen Realitäten zu nutzen und den Geburtstag einfach auf die Zeit der Wiederankunft des großen Kindes zu legen. Und weil dieser Sommer eh ein organisatorischer Flickenteppich ist, wurde also heute ganz offiziell jemand drei, der eigentlich schon ein paar Tage lang nicht mehr zwei ist. So. Und weil das ganz gut funktioniert hat, werden wir Dr. Schmotzens zehnten Geburtstag dieses Jahr auch nicht am 29. Oktober feiern, denn da ist sie auf Klassenfahrt, sondern am 01. November, wenn sie wieder bei uns ist und außerdem haben wir es dann mit einem Feiertag zu tun und was kann es besseres geben, als an einem Feiertag Geburtstag zu haben.

Schönes Foto von Monsieur LeGimpsi

In Jade

Huch, ein Strand.

Die Kinder und ich waren ein paar Tage an der See und weil das ja nie vorkommt, haben wir uns darauf geeinigt, die ganze Veranstaltung unbedingt Urlaub zu nennen und als solchen zu betrachten. Ehrfürchtig also. Monsieur LeGimpsi musste arbeiten und so war das eine rein weibliche Angelegenheit. Das fanden wir alle schade und aufregend gleichermaßen, denn so war das Besondere ja noch besonderer.
Montag gings los. Ziemlich spontan haben wir eine freie Unterkunft in Jade erwischt. In einem alten Rathaus war unterm Dach noch Platz für uns. Was für ein Glück wir hatten, was für ein schöner Raum. Ich habe mehr Fotos vom Fußboden gemacht, als vom Strand, aber das ist allein mein Problem. Die Kinder haben den Holzdielen keine weitere Beachtung geschenkt. 

Abends Hasen füttern und Apfel essen.

Dafür aber dem Hasen. Den gab es dort nämlich auch und er hat für einige von uns eine große Rolle gespielt. Das kleine Kind entwickelte nach dem ersten Kontakt mit dem Watt („Ihh! Ganz ekelig! Alles pitschenass hier! Alles vollgekleckert!“) sofort eine große Abneigung gegen sämtliche Ausflüge, gegen alles Unbekannte des Nordens. Es litt fortan unter stärkeren Anpassungsstörungen, saß im Auto und wollte nicht aussteigen, wollte zum Hasen. Saß im Strandkorb und wollte nicht spielen, nicht lesen, nicht essen, wollte nur zum Hasen. Saß im Freizeitpark und wollte nicht Tiere gucken, nicht Marienkäferkarussell fahren, nicht in die Eisenbahn, wollte nur zum Hasen. Saß im Freibad, wollte nicht die Badebuchse anziehen, nicht ins Wasser, nicht auf die Liege, wollte nur zum Hasen. Eigentlich wollte es die ganzen Tage über immer nur beim Hasen sein, den es „mein armes Kind“ nannte, dem es Löwenzahn anreichte.

Während das große Kind seit mehreren Stunden nicht länger als für ein paar Atemzüge über der Wasseroberfläche gesichtet wurde, hatte das kleine Kind am Ende des Tages immerhin einen Zeh befeuchtet.

Dass wir Ausflüge in den Tierpark und ins Freibad gemacht haben, war nicht geplant. Eigentlich dachte ich, wir fahren jeden Tag nach Dangast und verbringen all unsere Zeit im Strandkorb. So, wie Urlaub halt ursprünglich auch mal erfunden wurde. Aber dann stiegen wir am Morgen des ersten Tages übern Deich und schauten auf ein riesiges Feld voller Matsch. „Ekelig!“, sagte das kleine Kind. „Wann kommt denn das Meer zurück“, fragte das große Kind. Und da wurde es dann lustig. Wir hatten nämlich überhaupt nicht nachgeschaut, wie sich die Herrschaften Ebbe und Flut die kommenden Tage ihre Googlekalender untereinander aufgeteilt hatten und naja, Ebbe hatte sich für die Schichten tagsüber eingetragen und Flut dann eher so nachts. Hm. Sollten wir also den ganzen Urlaub über im Grenzgebiet zu sehr viel Schmodder verbringen. „I don’t think so“, sprach das große Kind und „this is fucked up“, das kleine. Und so brauchten wir ein richtiges Programm.

All day every day.

Ein fester Tagespunkt waren auf jeden Fall Pommes. Frittierte gesalzene Speisen helfen immer und gehören zum Kindergeburtstag dazu, denn dort war ich nach der Verbannung aus dem easygoing Strandkorbparadies irgendwie gelandet.

Meins! Naja, das kleine Kind hat auch reingebissen.

Es waren schöne Tage. Anstrengender, als ich dachte. Das kleine Kind mit seiner Spaßverweigerung und Hasenfixiertheit, das große Kind mit Spaßfixiertheit und Hasenverweigerung und ich immer um Ausgleich bemüht dazwischen. Das große Kind hat neue Freiräume bekommen. Eigentlich hat es sie sich genommen und weil ich das kleine Kind und eine Ikeatasche voller Tagesproviant nicht ständig durch die Gegend tragen wollte, habe ich sie ihm gegeben. Am Strand machte es einen Spaziergang allein, im Freizeitpark flitzte es in dem Areal zwischen Teppichrutsche und Orcakarussell selbstständig hin und her und im Freibad sah ich es stundenlang nicht, weil ich mit dem kleinen Kind draußen auf einer Decke saß, während das große Kind drinnen mit offenen Augen tauchte und die Riesenrutsche runtersauste.

Als das kleine Kind im Schlund eines Haies von einer Wespe gestochen wurde. Nee, nix passiert.

Doch, ich glaube, ich möchte das jetzt jedes Jahr machen. Nur ich und die Kinder und sehr viel Pommes.

Am Samstag und am Sonntag in der Früh

Abends schon verabreden sie sich für gleich nach dem Aufwachen. „Bauen wir eine Höhle?“, fragt Dr. Schmotzen. „Höhle bauen“, ist die Antwort.
Ich krieg das gar nicht so genau mit, wann Spartacus sich morgens aus dem Bett schleicht. Mittlerweile versucht sie schon gar nicht mehr, mich zum Aufstehen zu bewegen. Sie weiß, das wird eh nichts.

Seit ich denken kann, ist der Morgen für mich die allerallerschlimmste Tageszeit, die je erfunden wurde. Weltweit. Seit 33 Jahren kriege ich morgens nicht die Kurve. Struggs to func is what it is. Naja. Die Töchter wachsen nun halt mit diesem zu bestimmten Uhrzeiten merkwürdig verballerten Elternteil auf, kennen es nicht anders und haben sich damit abgefunden. Wie so kleine Wüstenbewohner, die es in kargen Landschaften zu einigem Erfindungsreichtum gebracht haben, nutzen sie den Dämmerzustand der Mutter und verwandeln den Flur mit allen zur Verfügung stehenden Textilmitteln in eine riesige Deckenlandschaft. Höhle bauen. Da lesen sie dann und spielen mehrmonatige Floßfahrt. Ihre Erzählungen schwappen rüber zu mir. Kleine schallgeschobene Wortfetzen transportieren diffusen Sinn durch meine Gehörgänge direkt ins Traumzentrum und vermischen sich mit meinem eigenen Material zu rasanten Kamerafahrten. Ehrlich, die Träume kurz vorm Aufstehen, wenn der Verstand die Brücke schon wieder übernommen hat und es zu Störfeuern zwischen den Bewusstseinsstufen kommt, sind die besten.

Irgendwann während den mehrmonatigen Floßexpeditionen bricht der Lagerkoller aus und dann wird die Mauslampe an die Krokodile verfüttert und darüber gab es im Vorfeld aber keinen Konsens und darum ist das Geschrei dann sehr konkret und mein Traum augenblicklich vorbei und ich beginne den Tag mit der Stärkung meiner Wadenmuskulatur, wenn ich über mehrere Meter weichbodenmattendicken Bodenbelag stolpere. Dann Kaffee.

Sie und ich, die Bahn und der Zug

In den ersten sechs Monaten unserer gemeinsamen Pendelei, war sie immer eher still und beobachtend in der Bahn und im Zug. Seit ein paar Wochen fühlt sie sich dort richtig wohl. Ich glaube, sie hat diesen Teil des öffentlichen Raumes als ihr Privatzimmer mit anderen Menschen drin eingeordnet. Viele von ihnen kennt sie mittlerweile. Immer dieselben, die morgens mit uns auf den letzten Drücker in die Bahn springen, immer dieselben, die auf dem Weg in die andere Stadt bei uns im Fahrradabteil sitzen. Immer dieselbe Routine aus Geruckel, Deckel runterschrauben von der Flasche, Wasser trinken, Deckel wieder draufdrömeln, dabei hakts, neu ansetzen, rein in den Tunnel, Haltewunschtaste drücken, Fahrstuhl fahren, an den orthodoxen Christenmenschen mit ihren Plakaten vorbei, Fahrstuhl fahren, Kaffee trinken, Buch vorlesen, Tauben füttern, manchmal Glück haben und mit einem Freund weiterreisen, ICE aus Berlin anschauen, Geräusche nachmachen, rein in den Zug, kurzes Handgemenge um einen Sitzplatz, gewinnen oder verlieren, bei Erfolg aus dem Buggy aussteigen, Monatskarte zeigen, dabei je nach Gemüt des Schaffners Spielfahrkarte ergattern, Buch vorlesen, Deckel runterschrauben von der Flasche, Wasser trinken, Deckel wieder draufdrömeln, dabei hakts, neu ansetzen, rein in den Buggy, aussteigen, Fahrstuhl fahren, durch den langen Tunnel laufen, den Mond im Blick behalten, vom vielleicht mitgereisten Freund verabschieden bis er nicht mehr zu sehen ist, an der Ampel warten und schauen, ob schon jemand vor der Kita steht, rein in die Kita, Lage checken, spielen, spielen, spielen. Und mittags denselben Weg wieder zurück.

Nicht mehr lang, dann sind die zwei Stunden Hin- und Hergondelei am Tag vorbei. Dann reichen ein paar Schritte aus der Haustür, um in der Kita zu sein. Da freue ich mich für sie, dass sie sich so lange Anfahrten sparen kann. Und ich freue mich für mich, dass ich Zeit allein habe. Vorsorglich habe ich in einem günstigen Moment schon mal Monsieur LeGimpsis alte Kopfhörer in meinen Besitz gebracht. Aber vermissen werde ich sie schon. Langweilig ist mir nie mit ihr. Sie ist eine außergewöhnlich gute Reisegefährtin, würde ich sagen.

Mit den Raben

Im Moment verbringe ich regelmäßig Zeit in einem Raum im vierten Stock. In einem, der bauchnabelaufwärts nur aus einfachverglasten Fenstern besteht, der Wind ist immer laut, immer zieht er scharf vorbei. Ganz karg liegt der Asphalt unter uns. Raben bauen ein Nest zwischen den Stockwerken. Diese großen groben Vögel schleppen unaufhörlich Zweige an. Sie machen das auf eine wütende Weise, schlagen mit den Flügeln gegen das Glas, knallen ihre Krallen gegen den Rahmen, pressen das Holz in die Ritzen. Diese nachlässige Dramatik, was werden das für Eltern. Dazu kann man gut erzählen.

Es ist schön dort und gute Dinge passieren.

Am Bahnsteig

Heute um 07.15 Uhr auf dem Bahnsteig die Durchsage empfangen, dass unser Zug um 07.27 Uhr ersatzlos ausfällt und Reisende die nächste Verbindung um 07.59 Uhr nehmen mögen. Und weil wir Reisende sind, saßen wir dann bei minus drei Grad auf der Bank und warteten.
Letzte Woche waren wir in derselben Situation bei minus sechs Grad und das Kind fand alles völlig inakzeptabel. Es brüllte und bäumte sich auf in der Karre und weil es eine tiefe Abneigung gegen Handschuhe hat, schrie es immerzu aua, aua und alle anzugtragenden Leute, die mit uns auf den gottverdammten Zug warteten, denn nur diese Art von Mensch fährt vor acht Uhr Regionalexpress, verliehen mir im Stillen die Ehrennadel sozialer Schande als schlechteste Mutter und überhaupt, was soll dieser Lärm. Und so dachte ich, wenn ich hier nun schon die Persona non grata bin, kann ich auch das einzig zuverlässige Mittel sämtlicher Eltern dieser Welt anwenden, nämlich Bild und Ton kombinieren und so holte ich das Handy raus und zeigte dem ausrastenden Kind Videos von sich selbst. Und wie zu erwarten besserte sich die Lage schlagartig und schon bei der vierten Wiederholung des Blockbusters, wie ich der Tochter mal die Mütze ins Gesicht zog, lachte das Kind begeistert über sein komisches Talent, war völlig fasziniert von der eigenen Leinwandpräsenz und wollte unbedingt ein Selfie machen und dann kam auch schon der Zug.
Irgendwo zwischen minus sechs und minus drei Grad liegt die Toleranzgrenze, was Kälteempfinden in den frühen Morgenstunden im öffentlichen Raum angeht. Denn heute war die Tochter völlig entspannt. Sie schob ihre Hände unter die Oberschenkel und schlug vor, ein Buch zu lesen. So lasen wir von Tomte und dem Fuchs und wie sie sich Grütze teilten und keine Hühner gefressen wurden. Und weil der Grützehaufen so illustriert war wie Milchreis, kam das Kind auf die Idee, dass jetzt doch eine gute Gelegenheit für ein Frühstück sei. Und da aß es ein halbes Käsebrot aus seiner Frühstücksdose und ein halbes aus meiner und trank mein Wasser und zwar so, dass ich die Reste im Büro wegkippte, weil dort überall kleine Brotklumpen umherpaddelten und ich zur Sicherheit noch ein paar Mal nachspülte. Und dann schauten wir uns noch ein wenig die Tauben an und alles war friedlich und schön. Und auch wenn ich mich immer über außerplanmäßige Qualitätszeit mit der einen oder der anderen Tochter freue, so dachte ich doch, dass ich die Dreiviertelstunde Warterei auch einfach schlafend hätte verbringen können, wenn es halt irgendeine Art von Technologie, was für ein unlösbares Hexenwerk könnte das wohl sein, gäbe, die einen frühzeitig informiert, wenn der Zug ausfällt. Und dieser sinnlos verschenkte Schlaf hat mich ein paar Minuten lang sehr traurig gemacht.

Dr. Schmotzen wurde heute auf dem Schulhof umfassend zu Harry Potter Band sechs und sieben gespoilert. Von einem Erstklässler, was die Sache noch schlimmer macht. Sie weiß jetzt alles und Monsieur LeGimpsi, der sie beim Lesen von Band sechs eigentlich psychologisch betreuen und auffangen wollte (davon sprach er seit wir damals erfahren haben, dass wir ein Kind bekommen werden, denn dass er live dabei sein werde, wenn dieses Kind dann irgendwann mal alphabetisiert wäre und mit beeindruckbaren, frischen Kinderaugen Harry Potter lesen würde, hat ihn mit am meisten gerührt), weil ja nunmal Dumbledore stirbt, und das ist der mächtigste Zauberer weltweit, ist entsetzt und sprachlos und sicherlich ebenfalls sehr traurig.

Und die Tatsache, dass uns die verpasste Aussicht auf eine zusätzliche knappe Stunde Schlaf und das durchgestochene Ende eines bedeutenden Kinderbuches der Gegenwart uns so anfassen, zeigt doch, dass es uns dann doch eigentlich ziemlich gut geht.

No more tickets. Yay.

IMG_1036

Ich habe vorgestern mein Auto verkauft. Eigentlich gehörte es Monsieur LeGimpsi und mir, aber seit er ein eigenes hat, nenne ich es nicht mehr das Auto, sondern mein Auto, damit jeder weiß, um welches von beiden es sich handelt. Außerdem saß er dort immer nur auf dem Beifahrersitz. Es war mein Auto.

Als wir es vor acht Jahren gekauft haben, weil wir aufs Land gezogen sind, kannten wir uns überhaupt nicht mit Autos aus. Wir kennen uns auch immer noch nicht mit Autos aus, aber damals eben fühlte sich das noch unwissender an und darum hatten wir Hilfe von erfahrenen Autobesitzern. Sein Vater und mein Vater haben nach passenden Gebrauchtwagen geschaut und nach einigen Wochen haben wir eine Testfahrt im Skoda gemacht und er fuhr, genauer konnten wir das nicht beurteilen, und da haben wir ihn gekauft. Eigentlich wollten wir nicht mehr als fünftausend Euro für einen Gegenstand ausgeben, der uns fortlaufend Geld kosten würde, aber der Händler bestand auf über sechstausend Euro und weil wir schon fünftausend nicht hatten, war uns dann auch egal, dass es noch teurer wird.

Auf dem Land brauchten wir das Auto. Zur Kita, zur Arbeit, zum Einkaufen, zu Verabredungen, für jede denkbare Strecke brauchten wir ein Auto. Nur den Altkleidercontainer haben wir zu Fuß erreicht. Aber der ist ja bloß äußerst selten mal interessant.
Jetzt in der Stadt stand es nur rum. Alle zwei Stunden musste ich runter zum Straßenrand und die Parkscheibe weiterdrehen. Trotzdem klemmten ständig Strafzettel hinter den Scheibenwischern.

Im April wäre der TÜV abgelaufen, der Motor machte komische Geräusche und die Bremsen schleiften. Wann der letzte Ölwechsel war, weiß ich nicht mehr. Die Scheiben waren von innen immer beschlagen, die Klimaanlage funktionierte schon lange nicht mehr, die Lautsprecher hatten einen Wackelkontakt. Eine Scheibe fiel während der Fahrt andauernd in ihre Fassung, dann musste man anhalten, aussteigen und sie mit beiden Händen wieder hochziehen. Der Halbjahresbeitrag für die Versicherung stand auch an. Es wären teure Wochen geworden, vielleicht hätten wir am Ende gemerkt, das lohnt ja alles nicht.

Ich habe jeden gefragt, muss ich das vorher putzen, wenn ich es zum Verkauf anbiete. Sieht der Experte wirklich nicht durch Schmutz? Sind Autohändler so oberflächliche Menschen? Und alle haben gesagt, ja, putz das Auto, gib dir Mühe, das macht einen guten Gesamteindruck und einen guten Gesamteindruck kannst du gebrauchen mit dem Produkt, das du loswerden willst. Bin ich also durch die Waschstraße gefahren, habe ich gesaugt, ausgeklopft, geputzt, geschrubbt, Moos entfernt, Aufkleber abgeknibbelt, Polster gereinigt. Am Ende sah es sensationell aus. Es sah aus wie ein Tesla. Gut, das wird jetzt vermutlich einen hohen vierstelligen Betrag geben, dachte ich. So wie das glänzt, fabrikneu. Da wird sich der Autohändler aber freuen, dass ich jemand bin, der sich extra viel Mühe gibt. Da wird er direkt Respekt vor mir haben und nicht versuchen, mich über den Tisch zu ziehen.
Das erste, was der Händler meinte: Haben Sie vorher geputzt, ne? Hätten Sie nicht machen müssen. Wir bereiten das Auto nachher noch professionell auf, da hätten Sie sich das echt sparen können. Komisch, dass alle immer putzen.

Er hat meinem Auto direkt in die Seele geschaut und mir 700 Euro geboten. Für ein abgerocktes, altes Auto mit kaum PS. Ist ok.

Ich war dann doch überraschend wehmütig, als ich vom Hof ging und es dort einfach stehen ließ. Ich hätte es gern beim Sterben begleitet, sagte ich abends zu Monsieur LeGimpsi. Vielleicht hätte es aber auch dich beim Sterben begleitet, meinte er und damit hat er natürlich Recht. Und am Ende ist es ja auch nur ein Hilfsmittel, das ich viele Jahre brauchte und jetzt eben nicht mehr.

Ich hoffe, das war das letzte Auto in meinem Leben. Das letzte Mal, dass ich eines geputzt habe.

It’s a trap.

IMG_0769

So, hab ich mir das jetzt also auch mal angeschaut. Hab ich jetzt also die wichtigste Schuld meiner mittelalten Ehe erfüllt und das Machtgleichgewicht zwischen uns hergestellt und überhaupt kann Monsieur LeGimpsi jetzt nicht länger behaupten, ich sei kein vollständiger Mensch. Hab ich jetzt endlich auch Zugriff auf sämtliche intertextuellen Referenzen, die dieses popkulturelle Riesenwerk in den letzten 40 Jahren so hervorgebracht hat. Versteh ich jetzt endlich auch die ganzen Witze und Memes und Zitate. Hab ich jetzt endlich auch die Mutter aller Blockbuster gesehen, schlafe jede Nacht in Chewbaccabettwäsche, hab ich mich jetzt endlich mal sechs Abende lang hingesetzt und Star Trek geguckt. Und mit Star Trek meine ich Star Wars.

Holy, hat Monsieur LeGimpsi mir eben einen 1a Mansplainingvortrag über das gesamte Star Wars-Universum gehalten, der Abspann war gerade mal zur Hälfte gelaufen. Ich glaube, da hat er die letzten zehn Jahre dran gearbeitet, das klang alles ziemlich blankpoliert. Richtig runtergerattert hat er seinen Text, am Ende noch ein Paper verteilt und da hab ich ihm dann eine Note druntergeschrieben.
Ich wollte eigentlich nur wissen, welche Relevanz jetzt noch ein siebter Teil hat, wenn die Geschichte doch sehr klar auserzählt ist. Also welche stoffliche Notwendigkeit halt. Wirtschaftlich ist das natürlich keine Frage. Eigentlich war der Plan, dass wir nach Weihnachten Teil acht im Kino schauen. Aber jetzt nach Nummer sechs steig ich vielleicht aus. Also ehrlich, was soll das denn?

Wir haben die Teile in einer mir zunächst nicht einleuchtenden, aber laut Monsieur LeGimpsi einzig richtigen Reihenfolge geguckt: vier, fünf, eins, zwei, drei, sechs. Nach sechs ist alles aus. Was in sieben kommt, wird eine völlig andere Erzählung sein. Nicht mit mir. Darth Vader ist für mich völlig überraschend gestorben, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich dachte, die Skywalkers eiern jetzt noch bis Teil neun durch die Galaxis und beackern ihr innerfamiliäres Moralproblem. Und da wär auch noch narrativer Raum gewesen. Man hätte ja auch mal Leia noch sorgfältiger ausarbeiten können. Vielleicht einfach weniger Budget für diese ganzen ewig langen Formel 1-Rennen durch tausend hindernisreiche Landschaften verwenden und dafür mehr Dialogarbeit.
Aber dann war am Ende von Teil sechs schon alles geklärt. Luke ist true geblieben, Darth ist nicht mehr ganz der Arsch, der in seiner Jobbeschreibung steht, das Imperium kann in eine andere politische Ordnung überführt werden. Was das wieder für ein verwaltungstechnischer Aufwand sein wird allein die ganzen Formulare in den Bürgerämtern auszutauschen. Am besten hat mir gefallen, dass das ultimativ Böse nach all den Schlachten und Rebellionen zum Schluss vor allem auch mithilfe indigener Teddybären besiegt werden konnte. Was für eine schöne Vorstellung. Empfindsamer Flausch macht den Unterschied, empfindsamer Flausch setzt sich durch.