Beim Friseur

Heute habe ich etwas total abgefahrenes gemacht. Ich war beim Friseur.

Zum Friseur zu gehen ist für mich eine äußerst soziopathische Angelegenheit. Ich sitze dort mit angefeuchteten Haaren, großporiger Haut und ungleichmäßig roten Ohren vor einem überbeleuchteten Spiegel und betrachte das Jammertal meiner Erscheinung, während mir eine frisierte, schmuckbesetzte Person gestenreich erklärt, warum meine Vorstellung des neuen Haarschnitts, die ich auf mitgebrachtem Bildmaterial exakt visualisieren kann, nicht zur Kopfform passt. Dazu kämmt sie mir mit einem grobzinkigen Kamm energisch über den Scheitel, modelliert meine Haare als Zeichen ihres Inspirationsprozesses und verwendet mehrfach das Wort »Pflegekur«.

Ich meide den Besuch beim Friseur und schneide mir meine Haare selbst. Heute morgen allerdings bin ich dem barbierischen Dienstleistungsgewerbe wohlgesonnen aufgewacht und rief direkt im örtlichen Haarstudio an. Mir war egal, wer schneidet, nein, nicht waschen und nicht fönen. Gefönt zu werden macht mich wahnsinnig. Ich sehe danach aus wie Jennifer Aniston zu Beginn von Friends. Wenn ein Friseur mir die Haare trocknet, stelle ich mich gleich zu Hause, first things first, unter die Dusche. Zum Glück bekam ich gleich für Mittag einen Termin bei der Dame Beate.

Ach, ich würde gern einen Dokumentarfilm über den Alltag im Mikrokosmos »Frisurensalon Ella« drehen. Drei bis vier Damen verbringen dort ihr Arbeitsleben und schneiden am oberen Ende von Menschen herum. Dazu unterhalten sie sich über biografische Dramen Prominenter, arbeiten Freud und Leid ihrer Kunden auf und haben die Hoheit über mehrere krakenartige Handwerkerroboter. Ein Feuchtbiotop an Tönungsaromen und Lockenwicklerdämpfen. Und dann das ganze Haarspray in der Luft.

Ich reiche Beate das mitgeführte Frisurenfoto, sie nickt, streicht mir unauffällig ein graues Haar aus dem Gesicht und benässt meinen Kopf mit Wasser aus ihrer Sprühflasche. Sie beginnt, im hinteren Bereich herumzuschnippeln, ich senke den Blick und stelle mich ein auf eine unbehagliche Zeit. Der Plastikumhang sitzt zu fest am Hals, mein Ohr juckt. Ich versuche, mich zu kratzen, Beate korrigiert meine Kopfhaltung mit beiden Händen. Zügig arbeitet sie sich voran, zuerst schneidet sie die linke Seite, dann die rechte. Und während sie schließlich vollends in meine Sicherheitszone eindringt, um meine Haare vor der Stirn zu kürzen, weiß ich nicht mehr, wohin ich schauen soll. Es ist schlimmer als beim Zahnarzt, dort  gewährt das Muster in der Decke meinem Blick Einlass. Beate steht mit ihrem ganzen Oberkörper vor mir, ich schiele abwechselnd rechts und links an ihr vorbei und dann richtet ein Touretteimpuls meinen Blick kurz auf ihre Brust. Sie wippt im Takt des Scherengeklappers. Ich fühle mich wie ein verzweifelter Mann Ende vierzig. Ich fühle mich nicht nur optisch unvorteilhaft sondern jetzt auch noch pathologisch. Das hat sie bestimmt gemerkt, dass ich ihr auf die Brust geschaut habe. Als Zeichen meiner Schuld schließe ich die Augen und warte, dass die Haarbearbeitung vorbei ist.

Als ich bezahle, überreicht Beate mir ein Bonusheft. Einen Stempel bekomme ich, noch neunzehn leere Felder warten auf Entwertung, damit ich am Ende fünf Prozent Rabatt erhalte. Ein langer Weg, denke ich und schreibe meinen Namen auf den Umschlag.

 

3 Replies to “Beim Friseur”

  1. sehr sehr grossartig:)) ich kann im grunde jedes wort des ersten absatzes unterstreichen.
    ich bin nächsten donnerstag dran…….

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    1. Mein Friseur bietet Ponyschneiden kostenlos an.
      Weißt Du, wie oft ich ihn professionell für lau habe kürzen lassen, anstatt ihn mit einer stumpfen Papierschere selbst zu schneiden, bei der ich vorher wusste, dass das Ergebnis grauenvoll würde? Zero times.
      Ich weiß nicht, wie manche Menschen dort Entspannung und Erholung finden können.

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  2. Düsseldorferin 1. März 2012 at 07:11

    Oha. Jetzt gehen wir schon am selben Tag zum Friseur. Da hätten wir ja gemeinsam gehen können 😉

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