eine Stimme

Auf der Rückfahrt von der Fabrik las in der Radiosendung Kakadu eine weiche, helle Frauenstimme eine Kindergeschichte von einem impertinenten Jungen.
Bis dahin mochte ich ihn nicht, er beleidigt meinen infantilen Gerechtigkeitssinn, meinen Wunsch nach Ordnung und Vernunft. Ich möchte ihn an seiner Schraube packen und anbrüllen: »So geht das nicht, so geht das nicht, Du bist total verdreht! Spuck sofort den Kuchen wieder aus!«
Aber diese Stimme. Wie außergewöhnlich. Exotisch sprachmelodisch, mit wunderbar weichen stimmhaften Plosiven, jung und alt zugleich, durchlässig, klug und fein irgendwie. Ich könnte ihr tagelang zuhören, ich wäre getröstet. Würde sie meinen Menstruationskalender lesen, ich würde einen führen. Sie könnte alles von mir haben, wenn sie es nur läse.
Es war die Stimme von Astrid Lindgren. Neunzehnhundertdreiundfünfzig saß sie in Studio drei des Rias Berlin und las »Karlsson vom Dach«. Eben landete diese Aufnahme in einem digitalen Einkaufswagen, den habe ich schnell zur Kasse geschoben.

(Artikelbild: youstine)

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