Werdet wie die Steine

Jetzt ist Wochenende, jetzt bin ich müde. So sehr müde, ich würde am liebsten in eine Kiste voll Daunenfedern steigen, an blaue Himmel und Zeitlupentrampolinsprünge denken und meine Augen darüber schließen.
Als Dr. Schmotzen noch in meinem Bauch war und wuchs und ich im Gegenzug immer weniger wurde, weil schrecklichste Übelkeit und Mattheit sich zu mir gesellten und blieben, half nur liegen und konzentrieren. Das traf sich gut, denn zu mehr war ich nicht in der Lage. Ich habe in den ganzen zweitausendfünfundneunzig Monaten der Schwangerschaft genau eine halbe Seite eines Buches gelesen. Lesen, das war mir zu anstrengend. Die meiste Zeit lernte ich Konturen und Muster meiner unmittelbaren Umgebung auswendig. Ich weiß genau, welche Verästelungen der Baum vor meinem Fenster im Sommer 2008 nahm und kann Dir sagen, Ikea hat kein besonders komplexes Textildesign. Den Code hast Du in ein, zwei Stunden lethargischer Erkenntnisleistung geknackt.
Wenn alles besonders unaushaltbar war, visualisierte ich reizarme Kontexte. Ich habe den ultimativ aktionslosen Gedanken gesucht. Die Idee eines stillen Bergsees brachte Würgen. Die einsamste Vorstellung, der einzige Mensch auf der ganzen Erdkugel zu sein und unbeweglich auf einem Baum zu sitzen, machte mich schwindeln. Da war ja immer noch die Gravitation, die mich wie im Kettenkarussell fühlen ließ. Schließlich wurde das geistige Abtasten von Steinen mein Freund. Ich habe mich in sie hineingedacht, bin einer von ihnen geworden. Einer, der schon länger da war, länger als alles sonst auf der Welt. Der tief drin unter der Kruste vor sich hindämmerte. Der sich niemals bewegte, der keine Regung spürte. Ein Stein zu sein hat geholfen, in dieser unwirklichen Zeit.
Und dann, als Dr. Schmotzen die Welt betrat, entstand neben der ganzen angebrachten und üblichen Freude über diesen Menschen ein Moment, der meine Steinesammlung ordentlich verstaute und fortnahm.

One Reply to “Werdet wie die Steine”

  1. doch die Verpeiltheit ist geblieben!

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