was ich will

Gott gab mir Fleiß. Er gab mir Hirnschmalz. Er gab mir die Rechtschreibung. Er gab mir einen Abschluss. Er gab mir Ehrgeiz. Er gab mir Dr. Schmotzen. Warum denn Dr. Schmotzen? Ich will arbeiten. Ich will klotzen. Ich will Überstunden. Ich will Amphetamine. Ich will Geld. Ich will es mir verdienen. So viel, dass alles für Steuern drauf geht. Ich will nach oben. Ich will ein Leben am geistigen Limit. Wie soll ich ein Leben am geistigen Limit führen mit einem knapp zwei Jahre alten Kind? Und dann die Amphetamine? Was soll ich mit denen? Mein Leben mit Dr. Schmotzen ist ausgeglichen und beschaulich, es fühlt sich gut an, es könnte immer so sein. Gib mir noch ein Kind und noch eins und dann, wenn möglich, noch eins. Ich will Gemüse pflanzen und Socken stricken und Kastanienmännchen basteln. Ist nicht bald Weihnachten? Lass mich Christbaumkugeln nähen. Und eine Pute. Ich will schmierige Kinderpatscher von den Fensterscheiben wischen und Milchzähne putzen. Ich will diesen Frieden. Geistiges Limit? Literatur! Philosophie! Die VHS! Beleg einen Abendkurs. Ich will ein Büro. Ich will einen Chef. Ich will die Freiheit meiner Generation ohne ihren Druck.

2 Replies to “was ich will”

  1. Grossartiger Text! Das knüpft ja direkt an die Themen vom letzten Wochenende an und ist so herrlich nicht-prosaisch, um nicht zusagen: lyrisch. Für mehr Lyrik in Blogs! Für Kommentarfelder, die auch nach 3 Jahren noch offen sind. Für mehr Abende an Küchentischen. Für die Literatur der Kastanienmännchen. Für die Philosophie der schmierige Kinderpatscher. Für ein besseres Morgen!

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    1. Wenn Du darin Lyrik oder andere sprachliche Dichte siehst, dann ist das lyrische Ich ausdrücklich nicht mit der Verfasserin zu verwechseln. Die hat mittlerweile einen Job gefunden. Der bringt sie zwar nicht an geistige Limits und Überstunden und Geld kommen auch nicht großartig vor, füllt aber eine Lücke, die 2010 noch schmerzlich klaffte.
      Unglaublich, wie Arbeit verändert. Ich bin richtig pragmatisch geworden, fällt mir auf, wenn ich das so lese. So biedermeierlich genügsam, wo wir wieder beim Küchentischabend wären. Gebt mir noch ein bis zwei Kinder, weiterhin einen Teilzeitjob, von mir aus auch mit Excel-Schnittstelle, und mehr brauch ich nicht. Häuslichkeit und Sicherheit. Meine Elterngeneration lacht sich tot über Leute wie mich, ich kann es ihr nicht verdenken.

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