Die Möglichkeiten der Literatur

Jonathan Safran Foer hat ein neues Buch geschrieben. Wobei Schreiben in diesem Fall ein relativer Begriff ist. Basteln wäre für das höchstspannende Projekt vielleicht treffender: Tree of Codes.
Ich mag Foer sehr. Everything Is Illuminated und Extremely Loud & Incredibly Close haben schöne Dinge mit mir angestellt.
Das neue Werk beeindruckt mich allerdings bereits schon vor dem Lesen. Das hat zwei Gründe:
Erstens schätze ich Foers Spiel mit dem Visuellen. Bei Extremely Loud & Incredibly Close ist ihm das äußerst gelungen. Seither habe ich einige Autoren gelesen, die diese Technik aufgriffen, bei denen die Kommunikation zwischen Text und Illustration aber anders als bei Foer nicht wechselseitig funktioniert.
Bei Foer begleiten Illustrationen und Fotografien die Handlung und schaffen dort Bedeutung, wo die Sprache nicht hinreicht.
In Tree of Codes lotet Foer nun das Zusammenspiel von Literatur und ihrem Medium Papier aus.
Er nimmt die 2008 erschienene Publikation von Bruno Schulz The Street of Crocodiles und generiert aus diesem vorhandenen erzählerischen Material eine neue Geschichte. Dazu stanzt er sich den Text so zurecht, dass ein eigenständiger, kohärenter Roman entsteht. Tree of Codes erscheint visuell als Fragment der ursprünglichen Geschichte und ist inhaltlich doch originär.
Der zweite Grund schließt an dieser Stelle an. Ich finde Tree of Codes auch deshalb so bemerkenswert, weil es einen interessanten Autorbegriff in den Raum stellt. Der Autor ist hier sehr nah an einigen Aspekten Roland Barthes Theorie vom Tod des Autors. Literatur entsteht in diesem Fall aus Literatur. Der Autor, bei Barthes lediglich der „Schreiber“, kombiniert aus einem „Gewebe von Zitaten“, das bei Foer so eng ist, dass er selbst im Hintergrund bleiben muss. Der Mythos vom Autoren als schöpferischem Sinnstifter bleibt somit unbedient, der Autor tritt als Handwerker, Produzent auf.
Abschließend noch ein ordentlicher Fußballvergleich: Günter Netzer hat bei der Weltmeisterschaft über Mesut Özil gesagt, er schaue ihm deshalb so gern zu, weil Özil ständig überrasche. Er sei ein origineller, intelligenter Spieler, der den Fußball vorantreibe. Foer schreibt, wie Özil spielt.

(via stromzufuhr)
Außerdem mag ich reaktionäres Ding, dass Tree of Codes nicht als Hörbuch und nur bedingt als eBook funktioniert.

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