Wir spielen: Die vergessene Stadt

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Was mich ja wirklich stresst, ist, dass es beim Spielen immer einen Gegner gibt. Das macht das Ganze so schrecklich kompetitiv und belastend.
Ich verliere Monsieur LeGimpsi als Mitspieler meistens aus dem Blick, ich nehme den dann nur noch peripher wahr, wenn ich spiele. Weil ich sehr mit mir selbst beschäftigt bin und mit den ganzen Spielregeln und Möglichkeiten und Mechanismen. Und dann dauerts auch immer eine Weile, bis ich mir eine Strategie für die Partie zurechtgelegt habe.
So passiert es sehr häufig, dass zu vorgerückter Stunde einer am Ende des Tisches irgendwelche Bärengeräusche macht und rumbrüllt, dass er der Größte sei und ein Genie und das erinnert mich daran, dass ich ja nicht allein spiele, sondern da noch jemand ist, Monsieur LeGimpsi nämlich, und dann hat er aber auch schon gewonnen und das Spiel ist vorbei.
Ich schaffe es also nicht, alle Fäden in der Hand zu behalten und gleichzeitig ein wachsames Auge auf des Gegners Machenschaften zu werfen, um ihnen ordentliche Paukenschläge entgegenzusetzen und ihn seelisch zu zermürben. Dazu reicht mein Hirn nicht. Ich vermute, dazu wird es nie reichen.

Darum hat es mich sehr gefreut, als Mann und Tochter eines Nachmittags das Spiel Die vergessene Stadt auspackten und unter Einsatz großer Freude aufbauten. Denn Die vergessene Stadt ist ein Kooperationsspiel. Da sitzt man nebeneinander und spielt gegen das Spiel. Das Spiel ist der Feind. Das ist das beste überhaupt! Da macht es auch viel mehr Spaß, zu gewinnen, weil dann hinterher keiner allein traurig ist. Oder man verliert, dann ist man gemeinsam traurig und lästert über das Spiel in seiner gesamten Doofheit und Arroganz.

Die vergessene Stadt ist mit seiner Ausstattung ein ziemlich nerdiges Spiel, würd ich sagen. Das sieht man daran, dass Monsieur LeGimpsi voll aufs Equipment abgeht und ich nicht so. Sogar eine Vorgeschichte gibts, die ist echt dramatisch: Eine Expeditionsgruppe ist vom Himmel gefallen und in der Wüste aufgeprallt. Alles ging drunter und drüber! Die Aufgabe ist nun, die im Sand verschollenen Wüstenschiffteile zu finden, die dann so montiert werden, dass das Wüstenschiff wieder funktionstüchtig wird und als Transportmittel zur Abreise taugt (wer will schon mehr Zeit als nötig in der Wüste verbringen?). Sandstürme und schrumpfende Trinkwasserreserven erschweren die Bergung natürlich erheblich, das kannste dir ja vorstellen.
Die Spielfiguren sehen aus wie Miniaturwüstenreisende oder eben Universalabenteurer. Die sind eigentlich ziemlich gut und detailreich gemacht, so richtig mit individuellen Outfits und Ausrüstung, je nach Spezialfähigkeit. Jede Figur hat nämlich eigene Kompetenzen. Es gibt zum Beispiel die Wasserträgerin, die kann ihr Trinkwasser mit anderen teilen. Oder den Bergsteiger, der kann über Dünenberge laufen, ohne sie vorher abtragen zu müssen. Vor dem Spiel beraten Monsieur LeGimpsi und ich uns immer, welche Figur sich jeder aussucht und basteln so unsere Grundstrategie zurecht.

Ich mags ja eigentlich lieber simpel, schlichte Holzzylinder in unterschiedlichen Farben zum Beispiel reichen mir vollkommen als Distinktionsmerkmal. Aber bei diesem Spiel ist das wirklich charmant gemacht. Da sind nämlich nicht nur die Spielfiguren aufwändig gestaltet, sondern auch andere Elemente, also die Teilziele und das Hauptziel. Wüstenschiffteile und Wüstenschiffrumpf. Das sind richtig kleine Propeller und Motoren, die eigentlich überhaupt keine eigene Funktion haben und die von mir aus auch gern im Karton bleiben könnten oder direkt beim Hersteller im Nachttisch. Aber mein Mitspieler freut sich jedes Mal wie ein Eichhörnchen über sie. Daran erkenne ich, dass sie eben doch funktional sind, sie sind nämlich Spielfreudegeneratoren. Die ziehen Leute wie Monsieur LeGimpsi ins Spiel rein und sind damit sinnstiftend.

Das Spiel besteht eigentlich nur aus Schiebungen. Man schiebt so vor sich hin. Das Spielfeld ergibt sich aus Plättchen, die im Quadrat gelegt werden und die Wüste darstellen. Unter diesen Plättchen liegen die Wüstenschiffteile verborgen, auf ihnen türmen sich Dünen. Weil sich die Plättchen dauernd nach links oder rechts oder oben oder unten bewegen, verändert sich das Setting ständig. Man muss sich immer wieder neue Wege überlegen, die Teilziele zu erreichen. Als wäre das nicht schlimm genug, schließlich bin ich geistig nicht besonders rege, baut das Spiel einen wachsenden Zeitdruck auf, indem nach jedem Zug Mechanismen greifen: Dünen bauen sich auf, die das Vorankommen erschweren, und Trinkwasser geht verloren. Ist hier schließlich eine kritische Menge erreicht, endet das Spiel. Es gilt also, alle Wüstenschiffteile in möglichst kurzer Zeit zu finden und zu bergen und gleichzeitig darauf zu achten, genug Trinkwasser vorrätig zu haben. Anstrengend! Zum Glück stellt das Spiel dann und wann Aktionskarten zur Verfügung. Da darf man dann etwa mit dem Raketenrucksack auf dem Spielfeld herumfliegen. Oder mit dem Vorwerk-Sandsauger größere Mengen an Dünen wegsaugen.
Hat man es dann allerdings geschafft und das Wüstenschiff just in time zusammengeschraubt, stellen sich je nach Spielerpersönlichkeit Satisfaktion bis Endorphinausschüttungen ein, die einen glauben lassen, man sei tatsächlich knapp mit dem Leben davongekommen. Und dann trinkt man erstmal nen Liter Wasser.

Ich finde, dieses Spiel ist pulstreibend.

Kategorien: Kooperationsspiel, Strategiespiel, Kommunikationsleistung, Materialliebe, Zeitdruck, Todesangst
Dauer: genau richtig
Frustrationstoleranz erforderlich: ja (zu viel Sand! zu wenig Wasser!)
Anzahl der Spieler: zwei bis fünf
Was machen Kinder solange: spielen ihr eigenes Abenteuer mit den übrigen Spielfiguren

One Reply to “Wir spielen: Die vergessene Stadt”

  1. Jaha … Kooperationsspiele sind der neue Hice Shice. Prominentestes Beispiel sind die „Legenden von Andor„, die es letztes Jahr sogar zum „Kennerspiel des Jahres“ gebracht haben. Ich spiele gerne auch mal „Todesengel“ und ganz neu bei uns im Haus das „Pathfinder Abenteuerkartenspiel“. Wobei ersteres knallehart ist. Und bei beiden letzteren kann man als einzelner Spieler auch vor dem Ende ausscheiden. Eine Scheißhausidee der Angelsachsen, die man bei „german-style board games“ nur sehr selten findet.

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