Kinderbücher, gute und ungute

Das Kind erhält außerhalb des Geburtstags- und Weihnachtsturnus so gut wie nie Spielzeuggeschenke. Aber was es uneingeschränkt häufig bekommt, sind Bücher. Bücher haben für mich keinen Geschenkstatus im eigentlichen Sinn und sind damit nicht mit Exklusivitätsmarker versehen, sondern Lebensmittel. Also Mittel zum Leben. Gedankenvergrößerer, Weltenentdecker, Abgleichsangebote, Wachstumstreiber, Versunkenheitslotsen. Bücher sind das beste, was es gibt. Ein Mensch mit einem Buch ist nicht einsam. Also, ich mag Bücher.
Und das Kind eindeutig auch und darum hat es Zugang zu vielen.
Wenn ich mein nun fast fünfjähriges kinderliteraturorientiertes Mutterleben so anschaue, fällt auf, dass es einige Bücher gibt, die ich sehr, sehr gern und gut vorlese und einige, die ich äußerst ungern und unlustig vorlese. Und das hängt weniger mit Handlung und Figuren als mit der Sprache zusammen.
Es gibt eigentlich genau zwei auf den ersten Blick oberflächliche Kriterien, die für mich entscheidend sind, wie gut, und damit wie literarisch, ein Kinderbuch ist: wie viele Adverbien und Adjektive ein Text hat und wie semantisch aufgeladen die Verben, besonders diejenigen, die Sprechakte ankündigen, sind. Je schlichter die Sprache, desto mehr Literarizität lautet meine einfache Formel, die sich bislang bei jedem Buch bestätigt hat. Es macht nämlich einen Unterschied, ob es heißt »…, triumphierte der kleine Rabe frech« oder einfach »…, sagte der kleine Rabe«. Der Inhalt, also in diesem Fall das Gesagte sollte auf sprachlicher Ebene stark und sorgfältig genug gestaltet sein, dem Leser zu vermitteln, dass es eben frech war. Der Leser erschließt sich den Text auf diese Weise selbst und bekommt ihn nicht vom Erzähler erklärt. Texte, die sich selbst erklären, sind immer schwächer und mit weniger Deutungsspielräumen versehen, als Texte, die erzählen und den Leser ermutigen, aktiv zu werden und Informationen sinnstiftend zu verknüpfen. Und Adverbien und Synonyme für »sagen« beschlagnahmen in Kinderbüchern, in denen per se alles schon reduziert und wenig komplex gehalten ist, eben eine große Freifläche an Eigendenkleistung und Vorstellungsvermögen.
Dass man beim aktiven Lesen auch mal scheitert, ist gut. Ich mag scheitern als Konzept eh. Scheitern hilft, denn scheitern ist ein einwandfreier Lernmotor. Kinder können also durchaus mal eine Weile leicht überfordert von einem Text sein, irritiert, sie können sich ruhig nach ihm strecken. Irgendwann haben sie ihn erreicht und füllen ihn mit ihrer eigenen Deutungsdichte aus und nebenbei sind Verknüpfungen und neue Denkwege in ihren Köpfen entstanden.
Meiner Meinung nach schaffen das am besten die Klassiker: Pettersson und Findus, Willi Wiberg, Janosch, Bücher des Aufbauverlags und von Betz und Gellberg.
Unser persönliches nächstes großes Ding wird Narratologie sein. Die stand bei den Kinderbüchern offensichtlich nicht an erster Stelle. Bislang waren Bilder und Illustrationen wichtig, die dem Kind eine Verständnishilfe gaben und die Handlung unterstützten. Textblöcke sind zudem kürzer, wenn auf der Seite noch ein großformatiges Bild platziert ist. Nun befinden wir uns seit einiger Zeit an der Schnittstelle zu Lesebüchern. Da sind dann schonmal illustrationsfreie Doppelseiten dabei, bei denen das Kind einfach nur lauscht und nicht schaut. Die Geschichten werden komplexer, Handlungen, Charaktere, Schauplätze rücken in den Vordergrund. Da werde ich meine zwei sprachorientierten Regeln erweitern müssen, um das gute Zeug vom unguten zu unterscheiden.
Ich merke in diesem Zusammenhang im Moment, wie unfassbar gut Astrid Lindgren ist. Unbesiegbar. Sie hat eine Million verschiedene Settings erfunden und jeden einzelnen Kosmos trägt eine eigene Stimmung, die ihn unverwechselbar macht. Je nachdem wie nah die Übersetzungen am Original sind, lese ich mit steter Freude die Texte einer großartigen, eleganten Handwerkerin vor. Auch in Sachen Sprachrhythmus und Satzstruktur lässt sich die Lindgren sehr angenehm vortragen.
Ach, Dr. Schmotzen hats gut. Noch eine ganze Kindheit voller Geschichten vor sich. Eine Fünfjährige müsste man sein.

6 Replies to “Kinderbücher, gute und ungute”

  1. Ich lese sonst eigentlich immer nur still und heimlich hier mit. Aber ich dachte, heute sag ich auch mal was.
    Kennst du „Das entschwundene Land“ von Astrid Lindgren? Wenn ich mich recht erinnere, erzählt sie darin auch einiges über Kinderbücher und sieht das mit der Einfachheit eines Textes so ähnlich wie du. Außerdem ist es eine sehr schöne und einfache Liebesgeschichte, die da geschildert wird.
    Wenn ich mich an meine Kindheit zurück erinnere, besteht ein Großteil der Bilder aus Bullerbü-Häusern und Ärger in der Krachmacherstraße. Ich bin fast 30 und sehe noch alles detailliert vor mir. Ich hoffe ich hab auch irgendwann mal eine Dr. Schmotzen, der ich vorlesen kann.
    Mein Lieblingsbuch ist übrigens „Ferien auf Saltkrokan“.

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    1. Hallo Nb, ja! Sag gern immer was!
      Astrids entschwundenes Land lese ich unbedingt, das hört sich prima an.
      Als Kind mochte ich Pippi Langstrumpf gar nicht so besonders. Die hatte diese Superkräfte und den Spunk und Fantasy war irgendwie noch nie so meins.
      Ich fand auch die Krachmacherstraße toll, vor allem, als Lotta zu Tante Berg zog und den Korb an der Leine durchs Fenster ließ. Und die Gemeinschaft aus Bullerbü mochte ich auch gern.
      Och, auch ohne Kind kannst Du ruhig mal wieder Deine Nase in die alten Geschichten reinstecken.

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  2. und ich schreibe gerade an meiner hausarbeit und lese: „aus der lesesozialisationsforschung ist bekannt, dass die familie den allergrößten einfluss auf die leseaktivität und leseentwicklung des kindes hat. […] kinder, die in entsprechend fördernden Familien aufwachsen, haben die allerbesten chancen, früher oder später selber kompetente und souveräne leserInnen zu werden.“ (bertschi-kaufmann, andrea: offene formen der leseförderung. In: bertschi-kaufmann (hrsg.): lesekompetenz, leseleistung, leseförderung (2007). seelze- velber: klett. S. 165 – 175.)

    ich mach mir da gar keine sorgen!

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    1. ja, so ums lesen mach ich mir auch keine sorgen. eher um die vermittlung anderer kompetenzen. haushaltsführung, schwimmen, bürgermeisterkandidaturen, da wirds halt eng.

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  3. Deiner Meinung, wie so oft, echt langweilig. Was ich Euch wirklich empfehlen möchte (vielleicht kennt Ihr es schon?) ist „Morgen, Findus, wird’s was geben“. Falls Euch die Sache mit dem Weihnachtsmann nicht besonders heilig ist (er wird darin in Frage gestellt, OMG), kann man es gut als Adventskalender vorlesen. Es gibt immer noch viele Bilder, wartet aber schon mit deutlich mehr Text auf als die Kinderbücher.
    Grüße zu Euch,
    Nike

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  4. Gute Idee, vielen Dank dafür!
    Ich dachte erst, Du meintest das Buch »Pettersson kriegt Weihnachtsbesuch«, eine ereignisreiche Geschichte mit überzeugendem Weihnachtsbaum.

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