Verkaufstricks

Seit das Kind krankheitsbegründet vor ein paar Wochen einige Nächte in unserer Mitte schlief, macht sich nun im wieder ausgegliederten Zustand abends mitunter eine leichte Nervenschwäche bei ihm bemerkbar.
Es liegt dann im eigenen Bett, die Rituale sind abgearbeitet, Papa aufs fürchterlichste verabschiedet, nämlich zunächst leise anschleichend und dann größtmöglich laut und bedrohlich die Bürotür aufreißend, um »duute nacht, papaa!« brüllend die letzten Worte des Tages an ihn zu richten. Dann marschieren wir ins töchterliche Zimmer, sie sucht ein Buch aus, sie sucht ein Stofftier aus, sie legt sich ins Bett, sie hört der Geschichte zu, sie erklärt die Spielregeln für die Kussabfolge, »otee, vier tüsse, wir zählen mit, zuerst du, dann ich, dann wieder du und dann wir beide zusammen« und hält sich dann nicht dran, sie sagt, »dute nacht, mamaa, tür anlassen, licht auflassen«, wir lachen beide verschwörerisch, ich sage, »ja, gernee« und dann gehe ich und sie schläft ein. Sobald sie atmet wie es ein alter Seefahrer in unser aller Vorstellung macht, schleiche ich in ihr Zimmer und schalte das kleine Leselicht über ihrem Bett aus, das Nachtlicht im Flur bleibt an.
Seit das Schlafpraktikum in unserem Bett stattfand, schiebt sich immer häufiger eine weinerliche Episode nach der Quattrokussverabschiedung ein. Sie nennt mich Mami, woher kennt sie dieses Wort, es gehört zu meiner Top fünf der meistgehassten Lautabfolgen. »mami, bleib bei mir, mami, ich will bei dir sein, mami, mama«, sie sitzt dann aufrecht im Bett und steigert sich langsam rein.
Nun ist das Kind viereinhalb Jahre alt, durchaus fähig, allein zu pennen und ein sehr gewohnheitsliebender Mensch. Wenn ich zum Beispiel nachgäbe und bei ihr bliebe bis sie einschliefe, müsste ich das fortan bis an ihr Lebensende so halten. Standards bilden sich sehr rasch bei Dr. Schmotzen. Weil ich aber nicht möchte, dass meine physische Präsenz eine abhängige Variable in ihrem lebenslangen Einschlafprozess wird, gehe ich nicht auf ihr Anliegen ein. Was nie klappt, ich aber trotzdem jedes Mal versuche, ist, in ihrem hundertsechs Zentimeter langen Körper einen Rest Vernunft zu finden und ihn zu adressieren. Das ist Teil meines ethischen Protokolls und wird bis zu vier Mal innerhalb fünfzehn Minuten vergeblich probiert.
Dann kommt mein schmieriger Verkäufertrick.
Das Kind verweilt in diesem Zustand in einer sehr müden Phase, es möchte unbedingt schlafen und findet keinen Frieden. Es steckt schon zu tief in der akuten, konkreten Verzweiflung, die beiden haben sich ineinander festgebissen. Ich muss Dr. Schmotzen da raushelfen, ohne ihrem Antrag stattzugeben. Ich erfinde also eine Maßnahme, die ihr das Gefühl gibt, sie kann mir nahe sein, auch wenn ich nicht bei ihr bin. Und weil bei ihr nur noch die Emotionen regieren, braucht es die richtige Performance, eine vertrieblich angelegte Vermittlung, damit die kleinen aufgeregten, fix und fertigen Teilchen in ihr endlich Ruhe geben und Schlaf und Erholung finden.
Ich sage also mit ernstester, feierlich-offiziellster Masterplan-Stimme, »okay, Dr. Schmotzen, okay, so können wirs machen, Achtung. Hörst du zu?« Das Kind verstummt sekündlich und empfängt gespannt die rettende Lösung, »na gut, ich gehe jetzt duschen und ausnahmsweise, nur heute, können wir die Tür zum Badezimmer auflassen. Aber dann muss das jetzt hier auch tipptopp klappen mit der Schlaferei, copy that?« Und sie nickt als wäre sie Teil etwas ganz Großem und legt sich hin und schließt die Augen. Ein paar Minuten später kann ich das Leselicht ausmachen.
Ist natürlich Quatsch mit der exklusiv geöffneten Badezimmertür, ein Nonsensangebot, die steht andauernd auf. Aber dem Kind ist es eine Leiter raus aus der Grütze, weil ich sie präsentiere wie Schweizer Schokolade.
Manchmal bin ich eine Verkäuferin. Dann nutze ich Sprache und Sprechen, um das Kind zu lenken. Das klappt nur, weil es zu jung ist, um kritischer Konsument zu sein. Ein wenig erstaunt bin ich doch, dass das Kind noch so sanft und effektiv verschaukelt werden kann.
Aufgeklärt und sprachwirkungsmächtig wird die Tochter schon werden. Am ehesten ausgeschlafen.

2 Replies to “Verkaufstricks”

  1. Beeindruckend. Sie wird es Dir irgendwann bestimmt übel nehmen, dass Du sie so verschaukelt hast. Dann, Jahre später, wird sie sehr dankbar sein, und so gerührt wie ich.

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    1. Werde dann sofort auf Christkindkonzepte verweisen, die ja eine willkommene Verschaukelei waren. Gibt in dem Business also ganz eindeutig einen Graubereich, der Flunkerei im Falle des Kindeswohls rechtfertigt. Gut, dass wir das juristisch geklärt hätten.
      Und: Danke für das warme Wort.

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