Im Zweifel säge ich mir lieber einen Finger ab

Seit ich das Kind auf die Welt gebracht habe, das ist mehr als vier Jahre her, sollte also ein aussagekräftige Zeitraum sein, habe ich ein Schmerzverarbeitungsproblem.
Dr. Schmotzen aus mir heraus zu bringen, war körperlich das anstrengendste und zäheste, was ich in meinem Leben getan habe. Schlimmer als Gartenarbeit. Zuerst beeindruckte mich die Klarheit des Schmerzes, der sich wie Eisen anfühlte. Da steckt jemand einen zwei Meter langen Eisenbolzen durch meinen Bauchnabel in mich rein und der ist noch nicht mal angespritzt. Ich habe überlegt, wer hat sich das ausgedacht, warum ist die Menschheit nicht nach der ersten Geburt ausgestorben, sowas mach ich nicht nochmal mit, das nächste Kind wird adoptiert oder ist ein Hund, ich brauche was Starkes, Intravenöses. Dann wurds schlimmer. Dann habe ich aufgegeben.
Jedenfalls ist es seither komisch mit mir. Schmerz, der fremdverursacht ist, macht mir nichts mehr aus. Ich kann mir beim Renovieren die halbe Hand wegmeißeln, ich merke es nicht. Ich kippe mir einen Liter kochendes Wasser über den Arm, mir ist das egal, ich spüre ein wenig Wärme, fast angenehm. Heißes Fett spritzt auf nackte Füße, ich beobachte, wie die Haut sich aufplustert. Und dann denke ich, ist doch nur Schmerz, das vergeht.
Aber selbstausgedachte Schmerzen, solche, die mein Körper von sich aus entwickelt, bringen mich um. Die machen mich fertig. Magenschleimhautreizungen, meine Todfeinde. Früher hatte ich immer eine stoische Ruhe im Umgang mit ihnen. Ich habe mich ins Bett gelegt, wie ein Weinbergschneckengehäuse eingerollt und sie solange missachtet, bis sie gegangen waren. Ich war vollkommen geduldig. Ich habe keine Medizin genommen. Ich wollte sie ganz allein regieren, denn sie ergeben sich am Ende immer, sie sind dümmer als ich, da war ich mir relativ sicher.
Seit der Geburt ist das anders. Ich habe Angst vor ihnen. Die Kontrolle habe ich über sie verloren, sie kommen mich ja äußerst selten besuchen, vielleicht einmal im Jahr rennen sie mir Türen ein und dann bin ich sofort nervös und lasse sie einziehen und füttere sie mit meiner Ängstlichkeit, schaue immerzu, ob sie noch da sind und sie sich wohlfühlen. Ich überlasse ihnen das weite Feld und habe nichts entgegenzusetzen. Und sie bleiben dann etwas länger und werden von mir bekommuniziert, kann ich euch das bringen, braucht ihr dies, ist es recht bequem so. Dabei werde ich lauter und lauter, am Ende schreie ich sie an, ich kreische sie an. Immer engere Kreise ziehe ich um sie und den Rücken drehe ich ihnen nicht mehr zu. Dann kippe ich ein rezeptpflichtiges Ding in mich rein und der Schmerz zieht sich zu einer Kugel zusammen und dehnt sich sofort in alle Richtungen aus, so weit, bis er ganz lang und flach ist und immer weniger wird und dann ist er verschwunden und ich schlafe ein.
Das ist aus uns beiden geworden. Dabei endete der größte Schmerz vor vier Jahren ja mit was Gutem, mit was Schmotzigem. Ich werde ihm wahrscheinlich noch ein, zwei Mal wiederbegegnen. Einen Tag mit ihm verbringen zu müssen, nehme ich in Kauf. Jetzt kenne ich ihn ja. Vielleicht vertragen wir uns, wenn nur er und ich uns dann gegenüberstehen in einem Zustand mit viel Weißraum.
Schmerzen eben, weltlich bester Fußsohlenkleber.

2 Replies to “Im Zweifel säge ich mir lieber einen Finger ab”

  1. Hallo! Ich lese hier schon so lange mit und ich muss es jetzt einfach mal loswerden: Ich finde deine Schreibe ganz wunderbar. Sie gefällt mir, sie amüsiert mich, sie bewegt mich – je nach deinem Thema und nach meiner Laune. Manche Sachen verstehe ich auch nicht richtig oder bin nicht sicher, aber das macht nichts. Deine Texte machen was mit mir und das mag ich. Danke.

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  2. Hi! Das freut mich sehr, ich danke Dir vollständig.
    Weißt Du, manche Sachen verstehe ich hier auch nicht, aber das macht nichts. Solange sie irgendeinen Bereich in der Bauchgegend treffen, ist alles in Ordnung. Köpfe werden überbewertet.
    Liebe Grüße!

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