Julia Franck: Rücken an Rücken

Der unfreie Teil Deutschlands, 1961: Eine Familie, Mutter, Tochter, Sohn. Das sind drei, die zusammenleben und nicht zusammen gehören. Das sind Einsame in einem Land der Gemeinschaft.
Die Mutter: Käthe ist Bildhauerin aus jüdischem Bildungsbürgertum, stolz, nicht glücklich, mit ideologischer Rhetorik. Sie sagt: »Bin ich denn Mutter von Beruf?« und lässt ihre Tochter am Geburtstag einen Berg Zucker essen. Einmal verschwinden die Kinder und testen, wann Käthe zu suchen beginnt. SIe beginnt nicht.
Ella und ihr Bruder, die ziehen sich und tragen, was die Mutter nicht schafft.  Was Ella auf Erden nicht bekommt, sucht sie eben woanders. Sie verschiebt und spaltet und dann lebt sie plötzlich unter ihrem Bett.
Thomas ist intelligent und wird nicht gebraucht und dann trifft er eine, die das Leben auch liebverloren hat und sie entscheiden sich.
Ich mag Francks dichte, atmosphärische Sprache und ihre schlichte Narration. Wie in »Die Mittagsfrau« verwendet sie biographisches Material ihrer eigenen Familie. Vom Onkel Gottlieb Friedrich Franck stammen die zahlreichen lyrischen Textstellen, die sich zum Ende hin verdichten. Immer wieder stellt sie Thomas Textfragmente der historischen Person zur Verfügung und verwebt eigene mit fremder Literatur. Ein fiktives stößt auf literarisiertes Leben.

Schon beim ersten Schuss barst der gläserne Panzer, zersprang er in zigtausend Stücke, die Splitter lagen auf dem Schreibtisch, auf dem Boden und einige wenige steckten noch im Rahmen fest. Das Messing funkelte golden, in Ulbrichts Wange prankte ein Loch. Lass mich mal, Michael lachte und nahm Thomas das Gewehr ab. Der braucht kein Auge mehr. Michael traf die linke Braue. Sie zielten abwechselnd. (Seite einhundertvierundneunzig)

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