Die Korrekturen

Ich stellte jemandem Bens Blog vor. Und erhielt ein Verzeichnis der dortigen Rechtschreib- und Grammatikmissstände, es war lang.
An den Listenschreiber:
Ich bin ein richtiger Orthografieoffizier. In Büchern ärgere ich mich sehr über Fehler, manchmal korrigiere ich mit dem Fingernagel. Wenn ich redigierte, lektorierte Texte lese, möchte ich, dass sie vollkommen redigiert und lektoriert sind. Erstens bezahle ich dafür und zweitens bedeutet formale Sorgfalt Respekt gegenüber Leser, Autor und Werk.
Aber bei Ben. Am Anfang hat mich das auch gestört. Manche Stellen sind völlig unlesbar, Satzanfänge passen nicht zu -enden, nirgendwo ein Prädikat. Aber dann habe ich gemerkt, dass diese Textzustände ein Geschenk sind. Ursprünglich und unmittelbar, sie scheinen direkt aus dem Kopf zu strömen, vielleicht besteht ein Schwagerverhältnis zur écriture automatique. Wenn ich seine Texte lese, kann ich ihm beim Denken zuschauen. Ben denkt sehr schön. Ich bin mir sicher, irgendwo lässt sich ein Grundschulzeugnis von ihm finden, in dem genau dieser Satz in runder Grundschullehrerinnenschrift geschrieben steht.
Es gibt nicht viele Menschen, die so fein, breit und tief und verknüpft über Kunst, Kultur, Literatur, Musik, Filme, Gesellschaft, Informationstechnologie und Drachen denken, das aufschreiben und andere dann daran rumlesen lassen, einfach so.
Korrekturlesen kostet Zeit und ist nicht besonders effizient, will man Inhalte transportieren. Wenn es bedeutete, von Ben Texte mit stabilerem grammatikalischen Gerüst zu bekommen, dafür weniger an der Zahl, wäre das eine große Verschwendung. Wenn das die Währung ist: Flüchtigkeit für Gehalt, dann zahlt mein Offizier sie gern. Ausnahmsweise.

3 Replies to “Die Korrekturen”

  1. Man muss Reichhaltigkeit auch erkennen können. Und wenn ich nur ein Blog nennen dürfte, in dem sich diese zeigt in origineller und höchst eigenständiger, anregender Gestalt, dann wäre es Bens.

    »Jemand« sollte seine formalen Kenntnisse im Zaume halten und ihre nur letztlich eben doch nur dienende Funktion berücksichtigen, sonst verpasst »jemand« vielleicht glatt mal Wesentliches.

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  2. Vor allem anderen: Danke, aus meines Herzens Herzen, Danke!

    Dann aber auch schon: *rotwerd*
    Selten (vermutlich noch nie) hab ich mich gleichzeitig so schuldig und geschmeichelt gefühlt.

    Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Sowas. Daher vielleicht nur diese kleine Anekdote zur Entschuldigung für „jemand“ und den Orhtographieoffizier:

    Meinen Frieden mit meiner Rechtschreibung habe ich gemacht, als mein Professor (immherin für Germanistik Primarstufe!) bei der Nachbesprechung einer meiner Hausarbeiten zu mir gesagt hat: „Solange es für mich weniger Arbeit ist, Deine Fehler zu überlesen, als für Dich, sie zu korrigieren, ist alles in Ordnung.“

    @Hanjo: Auch Dir latürnich: Meinen Dank! Und das auch noch von einem Lehrer. Ich weiß gar nicht mehr, was ich sagen soll. Vielleicht nochmal dies: Danke!

    Hachzn.

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  3. Durch einen Blog sendet man seine Gedanken schutzlos hinaus in die kalte graue Welt. Wirft sie mutig der anonymen Menge zum Fraß vor.
    Natürlich kann man vorher jeden Text auf seine grammatikalischen Qualitäten hin überprüfen, bevor er ans Licht der Öffentlichkeit tritt – muß man aber nicht!
    Wenn Texte zu sehr geschliffen werden, glatt poliert durch Rechtschreibprüfung und ausschließlicher Verwendung korrekter Grammatik, dann funkeln sie nicht dadurch, sondern werden oft stumpf und leblos.
    Es wird ihnen der spontane Geist, der eigentliche Sinn eines Blogs genommen – die Momentaufnahmen seines Lebens, die jemand der Welt dann mitteilen möchte, wenn sie passieren. Weil sie einem wichtig sind.

    Diese dann kleinlich zu korrigieren und um Verbesserung zu bitten ist, wie wenn man einen Liebesbrief bekommt und diesen mit rot angestrichenen Rechtschreibfehlern zurücksendet.

    LG,
    Viola

    P.S.: Ich verneige mich davor, dass Du diese Kunst beherrschst – korrekte Grammatik UND lebendiger Text! Deinen Satzbau könnte ich stundenlang lesen. Vielen Dank dafür!

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