Hier

Frau tadellos fragt sich im ersten Absatz, warum wir durch die blanken Fensterscheiben der Muttiblogs stets auf manierliche Kinder, erfüllende Ehen und frisch bestickte Gardinen, rot mit weißen Punkten, blicken.
Ich habe keine Vorhänge, aber wenn ich über Dr. Schmotzen und den Monsieur schreibe, dann nur Gutes. Das hat verschiedene Gründe. Dieses Ding, in das ich schreibe, ist kein Tagebuch. Ich schreibe nicht, um zu dokumentieren, sondern zu verdichten. Schreiben bedeutet mir was. Ich mach das hier nur wegen des Schreibens. Auch wenn Du das nicht denkst, die meisten Texte sind ja saukurz. Ich schreibe lieber als.
Dr. Schmotzen heißt in Wirklichkeit anders, Monsieur LeGimpsi vermutlich auch. Sie sind auch anders, aber das interessiert mich nicht. Bei mir im Dings sind sie so, wie ich sie mache. Und ich mache sie gutartig.
Menschen, die uns gut kennen, lesen hier mit. Menschen, die uns nicht gut kennen, lesen hier mit. Menschen, die ich nicht so gern mag, Menschen, die ich mag. Mein Chef liest wahrscheinlich manchmal mit. Fragen wir ihn vorsichtshalber. Chef? Bist Du da?
Ich kann nicht schreiben: Ich hatte letzte Nacht einen Traum, in dem ich auf einem Fest war mit viel Fröhlichkeit und Tanz und plötzlich steht ein Schiri vor mir, pfeift mir ins Gesicht und sagt: Du hast keine Erlaubnis hier zu sein, Du bist verheiratet, und ich wache auf und denke: Frak! Wenn ich das schriebe, dann erlitt Monsieur LeGimpsi eine Verunsicherung, meine Mutter würde anrufen und diese sorgenvolle Stimme haben und darum schreibe ich auch nicht, dass ich kinderlose Andere manchmal unglaublich beneide und sie anschreien möchte: Du bist voll frei! Mach was Du willst! Genieß die Stille! Ich! will! Wenn ich das schriebe, dann wäre es eine Information, an der ich mich messen lassen müsste, sensibel genug.
Und mitnichten, ich muss es ja auch nicht schreiben, denn ich bin hier nicht auf Inhalte angewiesen. Ich kann blöde Birnen-Feta-Brot-Rezepte (die sind unglaublich wohlschmeckend, hast Du sie jetzt mal probiert?) und belanglose Konversationen mit dem Kind veröffentlichen, neurotisches Verhalten von mir und informationstechnologische Befindlichkeiten des Monsieurs. Alles ein wenig verfremdet, ein wenig durch meinen Kopf gezogen, mir ist das egal, ich schreibe von mir aus Einkaufszettel. Das hier ist meins.
Grundsätzlich, und da gebe ich tadellos sehr recht, bin ich für mehr entspannte Inhalte im Muttiblogland. Die Besucherstuben können sauber bleiben, die Teufel ungezeigt, aber gern weniger klassenbestleistend. Eure Kinder müssen sich mit fünf nicht für Politik und Wissenschaft interessieren. Eure Partner können euch Briefe schreiben, die auch mal nicht rumgereicht werden. Dieser oft totalitäre und alle anderen verdrängende Blick auf das Eigene ist der Grund, warum ich Blogs von Eltern über ihr Leben in der Familie nicht mehr lese. Petition für mehr Abstraktion, mehr Reflexion im unkommerziellen selbstpublizistischen Kinder-/Ehekontext!
Und von Tolstoi: Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; aber jede unglückliche Familie ist auf ihre besondere Art unglücklich.

3 Replies to “Hier”

  1. […] Tadellos hat einen beeindruckenden Text geschrieben, woraufhin Frau Fzerozero hat auch einen beeindruckenden Text geschrieben hat. Und obschon beide Texte ein wenig ins Ressort "Blogger bloggen übers Bloggen" […]

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  2. […] tadellos schrieb dies, Fzerozero schrieb darauf das, Ben beleuchtete einen künstlerischen Ansatz und ich wälze das Ganze seit gut einer Woche in […]

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  3. […] tadellos schrieb dies, Fzerozero schrieb darauf das, Ben beleuchtete einen künstlerischen Ansatz und ich wälze das Ganze seit gut einer Woche in […]

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