beseelte Zwiebeln

Die Beseelung der Dinge hat begonnen. Kein Zwiebelschneiden ohne Synchronquietschen meiner Tochter. Und wenn sie dann in der heißen Pfanne landen, spitze Schreie und Todesqualen. Eine ganze Lauchfamilie kämpft um ihr Überleben und wird von hinterhältigem Kochlöffel zunächst auseinandergerissen und später in Leblosigkeit gebracht. Zwiebelgerichte haben einen dramatischen Geschmack bei uns.

An der Wand

Die Phase, in der ich die Wände meiner Wohnung mit Bildern meiner Tochter zuscheiße, um meinem elterlichen Stolz Ausdruck zu verschaffen und zu zeigen, dass der künstlerische Output, auch wenn er fragwürdig ist, auf waldorfpädagogische, sich von rassistischen anthroposophischen Elementen distanzierende, Art gewürdigt wird, beginnt jetzt:

stüttebrot

Das Kind hat bis vor wenigen Tagen Brotartiges mit Belag, der weniger süß als Rübenkraut ist, verweigert. Dann griff ich zu einem billigen Trick.
Keksausstecher und ich bauten kleine künstlerisch hochwertige Amuse-Gueles. Das Kind nannte das Mahl stüttebrot, ein nettes Kompositum aus Stücke und Brot, und verweigert seither in barocker Vollendung alles, was die Natur formte.

Don’t fuck with Bild. Oder: Wie die Bildzeitung einmal den Bundespräsidenten erpresste, so, dass es niemand schlimm fand.

Bei Axel Springer steht ein Aufzug. Christian Wulff fährt gerade darin. Zunächst wurde er hochkutschiert, das hat ihn gefreut, jetzt bringt der Aufzug ihn runter, bloß viel weiter als dorthin, wo er eingestiegen ist. Er befindet sich aktuell unterhalb der Tiefgarage.

Verstehen wir uns nicht falsch. Der momentane Bundespräsident hat zugunsten eines hässlichen Hauses gemauschelt, darüber gelogen, er hat versucht, die Veröffentlichung der Mauschelei zugunsten eines hässlichen Hauses zu verhindern, darüber gelogen, und darüber dann, über die ganze Mauschelei und Lügerei und Verhindererei, darüber ist ihm schließlich das Instrument seines Amtes abhanden gekommen, es wurde immer geringer, immer ungewichtiger und dann segelte es einfach davon: Das Wort.
Und wie er mit seinen Affären umgeht, wie er, ein paar Monate nachdem ein anderer Politiker bewies, dass salamitaktisch nichts zu holen ist, genau die gleiche Linie fährt, wie er strategisch grobe Fehler macht, zeigt: Anscheinend ist er neben Vorteilnahmeaffinität und Vertuschungsinteressen obendrein auch ein wenig dumm. Ein Bündel unmoralischer Eigenschaften und kognitive Deckelung sind schlechte Bestandteile eines Bundespräsidenten.

Der Fall scheint also klar – und zieht einen problematischen Kollateraleffekt mit sich. Die Bildzeitung.
Die Bildzeitung hat mit dem Richtungswechsel von Wulffs rosiger Aufzugfahrt einen großen Schritt weiter in die Mitte der Gesellschaft gemacht. Denn da will sie hin. Sie will Relevanz. Sie will ihre Schmutzigkeit loswerden und eine Brustverkleinerung. So lanciert sie die Meldung über Wulffs Anrufbeantworterausbruch an Zeitungskollegen, anstatt sie selbst direkt zu veröffentlichen. Damit hätte sie dem gelernten aggressiven Bildzeitungskampagnenstil entsprochen und vielleicht wäre daraus bei Menschen und Medien Solidarität zu Wulff entstanden.
In 2011 war die Bildzeitung nach dem Spiegel das zweithäufigste Medium, das zitiert wurde und steigerte sich damit um dreißig Prozent. Die Bildzeitung versucht, sich als wertiges investigatives journalistisches Medium zu generieren, sie beansprucht in dieser Affäre sogar den Enthüllungsstatus eines Spiegels oder früheren Stern. Sie stellt sich geschickt an und doch ist ihre ganze, in ihrer Hässlichkeit Wulffs gemauscheltem Haus ähnelnde Macht zu erkennen. Ihr taktisches Platzieren von Informationen, ihr Abwarten, ihr Einheizen, ihr Erpressen und unter Druck setzen. Und was jetzt gerade in den Bildzeitungsschubladen liegt und auf Verfeuerung zur richtigen Stunde wartet, wer weiß.

Es ist ein Dilemma: Einerseits braucht kein Mensch einen Herrn Wulff in diesem Amt, die Medien haben das verstanden. Andererseits, was ist ein Rücktritt wert, erpresst durch ein sich profilierendes Boulevardblatt?
Am Ende des Tages braucht Wulff nicht als Sieger dieser Affäre hervorzugehen, die Bildzeitung aber auch nicht.

Im abnehmenden Licht

Eugen Ruge hat ein Buch geschrieben: »In Zeiten des abnehmenden Lichts«, ich las es gern. Stilistisch ist es eins der Besten. Eine deutsch-russische Familiengeschichte vom Beginn der DDR bis ins einundzwanzigste Jahrhundert.

Narrativ anspruchsvoll mit drei sich durchmischenden Zeitachsen, zwei von ihnen mit wechselnden Perspektiven, Protagonisten in vier Altersstufen. Ein Karussell an Erlebnisberichten, Färbungen, gegensätzlichen Wahrnehmungen, Generationskonflikten, Kulturunterschieden, politischen Ideologien und der sich über alles legenden geschichtlichen Entwicklung.

So wird erzählt ohne zu benennen, Wendungen und repetitive Elemente rücken zurecht, manche Lücken schließen sich, andere nicht, Geschichtsfragmente komponiert in einer langen eleganten Bewegung.
Das Aufbrechen der Chronologie bedeutet erzählerische Vorausgriffe, die das zeitlich vorgelagerte Geschehen in ihre Richtung ziehen. Das abschnittsweise Erzählen der Familiengeschichte beginnt in den Fünfzigern und wird unterbrochen von einem Tag im Jahr Neunundachtzig, dem neunzigsten Geburtstag des Großvaters. Es entsteht ein Spiel zwischen verschiedenzeitlichen Abschnitten und diesem Fixpunkt, in dem das Erzählte kulminiert, sich auflöst, oder der neue Impulse für weitere Erzählstücke gibt. Dieser Tag zieht und schiebt die Handlung rückwärts und vorwärts. Darüber gespannt ist die teils surreale Reise des Enkels durch Mexiko im Jahr Zweitausendeins.

Die Umsetzung ist in der Rezeption dann weit weniger kompliziert als meine verschwurbelte Beschreibung, das Buch liest sich leicht und schwungvoll. Es ist sprachlich bedachtsam und originell geschrieben. Es kommen keine Drachen vor. Eben darum: Ich las es gern.
(Was fast niemand weiß: Scrivener wurde für diesen Roman programmiert.)