Ahorn IV


Kaum sind drei, vier Monate ins Land gezogen, trägt er auch schon wieder Äpfel.

Wie Dr. Schmotzen einmal fast strafrechtlich auffällig wurde.

Dr. Schmotzen hat geklaut, erfolgreich. Eine Erklärung.
Sie ist eine Freundin des Käses. Und weil sie keine Freundin des belegten Brotes ist, mag sie ihn am liebsten pur. Sie erinnert mich an einen Mann fortgeschrittenen Alters. An jemanden, der sich die Freuden des herben Genusses über Jahre erarbeitet hat. Der anstelle des Käses den Status meint.
Jedenfalls isst Dr. Schmotzen am liebsten Camembert und hat auch keine Abneigung gegen Edamer oder Gouda. Weiter reicht die Produktpalette in unserem Kühlschrank dann auch nicht. Aber ich bin mir sicher, gäbe es Blauschimmel, er wäre bei ihr.
Gestern waren wir im Einkaufsladen und weil sie die Ressortleiterin für Milcherzeugnisse ist, betreut sie in diesem Bereich auch das Warenwirtschaftssystem. Da ist sie zuverlässig, da weiß sie genau, was gebraucht wird. Sie dirigiert mich von der Milchbar über die Sahneabteilung zum Butterfach und entscheidet, welchen Joghurt Monsieur LeGimpsi in der kommenden Woche am liebsten essen wird.
Dahinter dann liegt das Käsereich und Dr. Schmotzen ist seine Ehrenbürgerin. Ich schiebe da bloß den Wagen, sie prüft, sammelt und verwirft. Camembertaktien hatten gestern anscheinend guten Kurs. Sie ließ ihn nicht mehr los. Sie ließ ihn nicht los als ich ihr Produkte aus der Körperpflegeabteilung anreichte, sie ließ ihn nicht los, als ich die Dinge auf das Kassenband legte, als sie den kritischen Punkt des Kassierers erreichten, als ich sie vom Kassenband in die Tasche sortierte, als ich die Tasche aus dem Einkaufswagen ins Auto hob, als ich sie vom Auto in die Wohnung schleppte und als ich den Kühlschrank öffnete, um den Einkauf zu verstauen, da ließ sie den Camembert dann los und bettete ihn ganz vorsichtig neben die Butter. Und ich fragte mich, woher hat sie denn jetzt den Camembert, der ist ja ganz verformt und ein Blick auf den Kassenzettel zeigte: nichts.
Am Abend bat sie mich, ein gutes Stück von dem Käse abzuschneiden und freute sich mit triumphalem Blick an der Verspeisung ihrer Hehlerware.

Der Müll, der mich begleitet


Trägst Du Deinen Restmüll spazieren?
Ich schleppe meinen jeden Tag durch die Gegend.
Diesen Haufen hab ich nicht häßlichkeitswirksam drapiert. Genauso stapelt er sich in meiner Tasche, genauso ist er aus ihr herausgefallen. Die ganzen Krümmel sind natürlich sofort in alle Richtungen geflitzt. Die staubsauge ich dann morgen weg. Mein Frühstück aus der ersten Arbeitswoche habe ich gefunden. Das Knäckebrot kann man noch gut essen. Packe ich gleich wieder ein, werde ich irgendwann bestimmt brauchen. Diese vollgerotzten Taschentücher. Ändert das Bazillenmagazin mein Recht auf eine Krankenversicherung? Und wie verhalte ich mich angemessen gegenüber der Liebesgeschichte von Groschen und Zitronenklümpchen? Die beiden sehen so friedlich aus, wie sie verschmolzen sachte hin und her kugeln. Vielleicht beginne ich eine Sammlung? Darf ich Geld wegschmeißen? Das entscheide ich lieber später. Immerhin weiß ich jetzt, wo dieser eine Kontoauszug war. Den leg ich in die Schublade, da ist noch Platz. Das mache ich jetzt sofort.
Haste einmal ordentlich Klarschiff gemacht, gehts Dir gleich viel besser.

Was Du machst

Du fragst und telefonierst und arbeitest und kaufst und putzt und misst Fieber und zählst und machst lange Nasen und wischst und kletterst und hüpfst und krabbelst durch Tunnel und isst und beobachtest und schreibst und schläfst und legst Listen an und träumst und singst und reimst und spielst Klavier und mummelst und liest und backst und kochst und sammelst und ordnest und holst und bringst und leckst Deckel ab und Du wächst. Und heute Abend gehst Du das erste Mal zum Volleyballtraining.


(Bild via youstine)

It wasn’t me

Arbeit übers Wochenende mit nach Hause genommen. Kurz mal nicht aufgepasst. Heute morgen dann eine Projektmappe mit krakeligen Kringeln, fächerartigen Falten und Rübenkrautabdrücken zurückgegeben.
Habe ich aber superseriös überreicht, keine Wimper hat gezuckt.

Die neue Liebe ihres Lebens

Für den Fall, dass Du die liebe Frau Liebe nicht kennst, sage ich Dir: Sie hat einen ganz famosen Kopf/Hand Datentransfer. Der produziert Großartigstes. Zum Beispiel pädagogisch einwandfreies Spielzeug und Lernmaterial. Frau Liebe sammelt Ratgeberliteratur der 1950er und ist Vorstandsvorsitzende und Betriebsrätin in Personalunion der Stoffrotation. Sie hat einen Malte, in den sind wir alle total verknallt, und eine Badewanne voll Abfall, in der die Regenwürmer wohnen. Und jetzt, und davon hat sie einfach nichts erzählt, jetzt hat sie auch noch ein Baby. 
Und wie es so daliegt
, und sich selbst als diffusen Fleck im Spiegel betrachtet, sieht dieses ganze, neue Leben ziemlich willkommen aus.

Fass Mut und lass los

Du kannst frei sein. Sei frei. Los, lass los.
Du kannst alles sein und überall oder eben Du bist es nicht. Aber frei, das wärest Du in jedem Fall. Und wäre das nicht eine gute Sache, ein unermesslicher Gedanke? Traust Du Dich bis an den Rand, so weit vor? Mit Deinen Händen voll Absicht? Und den Füßen wieder auf Deinem Boden? Dieser eine Finger, er würde zeigen. Und dann los.
Wäre das nicht die Sprengung Deiner Insel? Versuch nicht zu schwimmen, bau Dir kein Boot, steig auf die Mauern und jage Dein Alcatraz in die Luft. In tausend Teile zerspringen soll es. So winzig, man soll sie nicht mehr kleben können, Kleinstteilchen, diese elenden Elementarteilchen.
Du würdest verglühen. Und nichts fassbares hinterlassen.
Und frei wärest Du. Wäre das nicht eine gute Freiheit? Ungewiss sicher, aber verheißungsvoll, nicht? Und hättest Du nicht Lust auf einen neuen Raum? Irgendwie wird er schon gestaltet sein.

Wäre der Anfang zu alldem nicht ein Kreuz auf der Stirn?