Heute vor zwei Jahren

haben Monsieur LeGimpsi und ich sehr gespannt gewartet. Mein hyperemesis gravidarischer Zustand dauerte mit diesem Tag genau neun Monate und sollte sich endlich selbst abschaffen. Ein ganzer Sommer lang war der 28. Oktober die Grenze zum neuen Leben. Alles würde sich an diesem Tag ändern: Von da an, sollte Dr. Schmotzen bei uns wohnen.
Nun gestaltete sich der 28. Oktober 2008 als sehr gewöhnlich. Keine hektischen Taxirufe in der Nacht, keine Fruchtwasserverluste bei Karstadt, kein Notkaiserschnitt im Treppenhaus: Wir waren keine Eltern.
An diesem Tag, abends, gingen Monsieur LeGimpsi und ich in den Park. Ich sprang von Bordsteinkanten und Mauern, lief vom einen Ende zum andern, bückte mich nach jeder Kastanie und erklomm später mehrmals den dritten Stock. Dann spazierte ich in die Stadt und investierte in Wolle. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich allein nach Hause ging, die kalte Luft um mich herum, Dr. Schmotzen in mir drin.
24 Stunden später dachte ich daran zurück und wusste, damals war das ein ganz anderer Mensch.
Am nächsten Morgen um fünf fing an, was der schlimmste und schönste Tag meines Leben werden sollte.

Ahorn

In unserem Garten steht ein Ahornbaum. Er hat so viele Blätter und ist so dicht gewachsen, dass, wenn man sich bei Regen unter ihn stellt, man nicht nass wird. Ich mag ihn gerne leiden. Vielleicht beginne ich eine Jahreszeitenchronik über diesen Baum und nenne sie Der Ahorn – ein Baum im Wandel der Zeit. Das hört sich schön nach 60er Jahre Industriestadtdokumentation an und ist schlimmer als Katzencontent. Es könnte jedoch mein Interesse an Botanik erwachen lassen. Möglicherweise finde ich dann sogar Gefallen an Rasenmähen, also das ist es auf jeden Fall Wert.

Stell Dir das mal vor

Dr. Schmotzen hat bald Geburtstag. Wenn man sagt: „Dr. Schmotzen, bald hast Du Geburtstag“, hebt sie Daumen und Zeigefinger und informiert gewichtig „jaje“, dass es sich bei dieser Angabe um Jahre handelt.
Dass es nicht einfach ist, einer fast 2jährigen Geschenke zu machen, sei bekannt. Und so haben Monsieur Le Gimpsi und ich uns geeinigt, ihr zwei klassische Gaben zu überreichen. Weihrauch und Myrrhe Ein Buch und eine CD. So kann jeder in seinem Ressort bleiben.
Monsieur Le Gimpsi wird den Sound seiner Kindheit Anne Kaffekanne schenken. Das weiß er schon ziemlich lange und freut sich, auf der Party in Dr. Schmotzens Kinderzimmer aufzulegen. Ich indes habe den heutigen Vormittag in der Buchhandlung meines Vertrauens verbracht und fand das so großartige wie neu erschienene Buch „Meine große kleine Welt“ von Marianne Dubuc.
Es kommt in handlichem Format daher, die Seiten sind stabil, kleine Kinderhände finden sich hier gut zurecht. Dubucs Buch ist eine Reise. Sie fängt an einem Haus an, führt in ein Kinderzimmer, in das hier befindliche Märchenbuch, von dort aus in einen Wald, in einen Berg, ins Weltall, aufs Meer, in den Zoo, in die Stadt und endet an bekanntem Haus. Dubuc wechselt vom Kleinen ins Große, vom Realen ins Phantastische, vom Hellen ins Dunkle und wieder zurück. Sie ist sparsam mit Text und Illustration und lässt dem Leser Raum. Auf jeder Seite entstehen neue Angebote, die Leerstellen mit eigenem Material zu füllen. Dubuc verflicht die Dinge, sie betrachtet Einzelnes und geht dann über eine Verbindung zum Nächsten. Eine Perlenkette von Begegnungen. Umblättern erhält eine besondere Funktion, wird zum Entdecken und somit Teil des Lesens.
Sie wird sich freuen, Dr. Schmotzen.

Freunde der Suppe

sind Dr. Schmotzen und ich. Und sobald Monsieur LeGimpsi das Haus verlässt, stürmen wir zum Gemüsefach, holen Zwiebeln, Kartoffeln, Karotten und Ingwer hervor und basteln daraus die unsägliche Möhren-Ingwer Suppe.
Für Kerstin Greiner das Sinnbild der Gentrifizierungsproblematik, der essbare Prenzlauer Berg. Für uns, fern von rosa gestrichenen Cafés und laptopbestückten Stuttgartern, der Blick auf die dampfenden Felder, die Wärmequelle des Tages.

An den Füßen meiner Tochter

Dr. Schmotzen pflegt einen Schuhtick, jedoch nicht im herkömmlichen Sinn. Ihre Füße haben eine sehr sensible Toleranzschwelle, die dazu führt, dass Dr. Schmotzen an ihrem unteren Ende am liebsten die freie Körperkultur zelebriert. Das ist problematisch, denn es wird Winter.
Socken kann sie akzeptieren. Allerdings nur zu bestimmten Tageszeiten. Im Bett werden die engen Stoffhüllen an ihren Füßen nicht geduldet, steigt sie aus dem Bett, herrscht eine 15 minütige sockenfreie Karenzzeit, dann gibt sie grünes Licht.
Betreten wir einen Schuhladen, ruft sie augenblicklich vobei, vobei! und signalisiert damit ihre Aufforderung zum sofortigen Rückzug. Niemals würde sie sich Schuhe in fremder Umgebung anziehen lassen. Selbst ich darf mir keine Schuhe mehr kaufen, ihr Stress ist zu groß.
Gummistiefel Anziehen gehört zu ihren allerschlimmsten Alpträumen. Der Anblick dieses langen, dunklen Schlunds ist unerträglich. So stapft sie mit ihren normalen Schuhen durch jede Pfütze und empört sich über die braune Brühe, die langsam ihre Socken erobert: Ohh, na__sss! ruft sie dann (und denkt, S-Endungen seien eigene Wörter) und weigert sich, nur einen Schritt weiter zu laufen mit diesen matschigen Klumpen.
Wir sind dazu übergegangen, ihr immer das gleiche Paar Schuhe in neuen Größen unterzuschieben. Da merkt sie nicht, dass ihre Füße in ungewohntes Gebiet dringen.

Stewie in meinem Kopf

Gegen meinen Willen haben Monsieur LeGimpsi und ich 5 Staffeln von Family Guy geschaut. Im Original, die deutsche Fassung ist ja die die Definition von Unlustigkeit. Was soll ich sagen? Ich bin infiziert. Stewie hat in meinem Kopf Einzug erhalten und kommentiert den Alltag auf sehr komische Weise. Zu meiner Überraschung hat er es vor allem auf Katzen und Männer in Anzügen abgesehen.

How you uh, how you comin‘ on that novel you’re working on? Huh? Gotta a big, uh, big stack of papers there? Gotta, gotta nice litte story you’re working on there? Your big novel you’ve been working on for 3 years? Huh? Gotta, gotta compelling protaganist? Yeah? Gotta obstacle for him to overcome? Huh? Gotta story brewing there? Working on, working on that for quite some time? Huh? Yea, talking about that 3 years ago. Been working on that the whole time? Nice little narrative? Beginning, middle, and end? Some friends become enemies, some enemies become friends? At the end your main character is richer from the experience? Yeah? Yeah? No, no, you deserve some time off.
(via)

Frische Federn

Das Bett ist frisch bezogen. Dr. Schmotzen half mir, die alten Laken abzuziehen und legte sie pflichtbewusst in den von ihr auserkorenen Wäschekorb. Heute war das der Puppenwagen.
Den ganzen Tag freue ich mich auf den Moment, in dem ich mich unter der jungfräulichen, duftenden Bettdecke vergrabe. Es gibt nichts besseres.
Als ich ganz neu mit Monsieur LeGimpsi zusammen war, die Aufregung noch groß, habe ich einmal eine Verabredung abgesagt, weil ich die Nacht lieber in meinem eigenen Bett verbringen wollte. Es war frisch bezogen.
Wie gut, dass wir jetzt ein gemeinsames Bett haben.

Gestern gingen wir ins Konzert

Monsieur LeGimpsi und ich. Die Klassische Philharmonie Bonn lud zu Gluck, Grieg und Beethoven. Monsieur LeGimpsi ist ein Kenner der Materie und wenn die Gelegenheit günstig ist, niste ich mich parasitär bei ihm ein und leihe mir seine Ohren. Gestern hätte er sie ruhig für sich allein haben können. Meine Hörgänge sind zwar untrainiert, trotzdem meine ich erkannt zu haben, dass die Damen und Herren des Orchesters leidlich unmotiviert bei der Sache waren und auch die Pianistin sich vor allem damit beschäftigte, eine Pianistin zu spielen.
Liest Monsieur LeGimpsi diese Einschätzungen, wird er mich mit jenem ernsten, bedenklichen Blick anschauen, den er immer dann trägt, wenn er meine Neigung zur Überheblichkeit betrachtet (zudem weiß er von diesem Blick nicht, was die Sache noch bedenklicher macht).
Eigentlich wollte ich von uns berichten. Von den Menschen im Publikum. Schlechterdings fühlen Monsieur LeGimpsi und ich uns sehr oft sehr alt im Vergleich zur Kontrollgruppe. Das mag daran liegen, dass wir ein Kind haben und aufs Land gezogen sind. Unsere Abendgestaltung beispielsweise hat FSK 0.
Gestern aber sind wir in einen Jungbrunnen gefallen. Das Durchschnittsalter betrug 71 Jahre und das auch nur weil vier greise Menschen von ihren Zivis getragen wurden. Über dem Saal hing ein 8 m² großes Kölnisch-Wasser-Duftbäumchen und durch die Luft schwirrten Begriffe in Sütterlin. Die alten Damen hatten sich in Schale geworfen und ihre besten Steppwesten angezogen. Die Haare lagen fluffig, gespannt wartete man auf die ersten Klänge. Ein männlich anerkennendes Raunen ging durch die Reihen als die dekolletierte Pianistin in roter Robe an ihr Instrument schritt.
Und dann begann es. Der Räusperer war sehr zaghaft, verhuscht. Sogleich gesellte sich ein stark verschleimter Rachen hinzu. Dankbar ergriff der trockene Reizhusten die Gunst der Stunde und bahnte sich den Weg nach draußen. Bonbontüten wurden aus Taschen gezogen, Nasen geputzt, jemand verließ den Saal. Allein, es fand kein Ende
Ich weiß nicht, für wen die Zuschauer beim Schlussapplaus ihre Beinchen so begeistert auf den Boden trommelten, vielleicht haben sie ihr überraschendes Überleben gefeiert. Ein Hörgenuss der Extraklasse war dieser Abend jedenfalls nicht.
Jetzt werde ich meine Oma besuchen. Ich mag alte Menschen, wirklich.
(Nichts für ungut, Herrschaften. We cool, right?)