Fährste Tunnelstraße

Heute vor fünf Jahren habe ich dich zum letzten Mal gesehen. Ich hab dich gesehen und wusste nicht, dass es kein weiteres Mal gibt. Kann man sich das vorstellen? Wenn man unsterblich ist, nicht. Und scheiß unsterblich waren wir nunmal. Da hatten wir ja auch keine andere Wahl.
Dass du einen Tag später weg sein würdest, einfach so abhanden gekommen, hätte sich so unwahrscheinlich angefühlt, wie Dinge sind, die nur anderen passieren. Schwanger mit Fünflingen, in der Schlange hinter Paul McCartney stehen, sieben Autos auf einmal gewinnen. Wenn wir überhaupt daran gedacht hätten.
Du warst dann ziemlich plötzlich weg und hast mehr mitgenommen, als man so meinen würde, wenn man es halt nicht besser weiß, so wie wir heute vor fünf Jahren. Mehr als nur dich auf jeden Fall. Dafür hast du etwas da gelassen. Ein neues Konzept, ein anderes Gefühl, es ist alles ein wenig abgetönter, als sei man in ein Parallelleben geraten und das ideale baumelt an einer Angelschnur vor einem, immer zwei Zentimeter zu weit entfernt, um es zu erreichen. Das klingt fieser als es ist. Die Dinge jetzt sind gut. Es ist mehr so ein allesistgutschadedassdunichtdabeibistmitdirwäreesnochbesser-Gefühl.
Am nächsten Tag hätte ich eine Verabredung gehabt und ich fragte dich nach dem Weg dahin. Weil ich nie den Weg irgendwohin kenne und weil du immer den Weg überallhin kanntest und wenns eine Baustelle gab, dann auch die Umleitung und wenn man Zeit hatte auch noch die die schönste Strecke, die aber natürlich länger war und dadurch schwieriger sich zu merken und darum hab ich heimlich nie zugehört. Heute vor fünf Jahren hast du mich am Ende zum Auto gebracht und das letzte was du zu mir gesagt hast, war „Och, das ist doch ganz einfach eigentlich, da fährste am besten Tunnelstraße.“ Wenn ich mir so überlege, dass du mir zum Schluss, als letztes eine Wegbeschreibung mitgegeben hast, ist das eine ganz gute Art sich zu verabschieden, finde ich.
Am nächsten Tag hab ich dann aber trotzdem nicht die Tunnelstraße genommen.

2 Replies to “Fährste Tunnelstraße”

  1. Deine Worte berühren mich sehr. Der Beweis, das „carpe diem“ doch etwas anderes ist, als eine endlos ausgelutschte Floskel. Alles Gute für euch – und Dein Papa wird immer bei euch sein. Romy

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