Geburtsschnipsel II

Wie alle im Raum gegrinst haben, als die Waage zeigte, dass du 3,8 Kilo wiegst. Die Ärztin hatte dich zwei Tage zuvor auf höchstens 2,9 Kilo geschätzt. „Fehlschätzungen um mehr als ein Pfund sind Unvermögen“, sagte die eine Hebamme leise und nicht ohne Spott.

Geburtsschnipsel

So eine Geburt ist der einzige Kontext, der mir einfällt, an dem keine sozialen Sanktionen folgen, wenn man aus vollem Herzen „So eine verfickte Scheiße!“ durch den Raum brüllt. Also als Gebärende.

Rizinusöl ftw

So, Tag siebzehn der Warterei heute. Auf dem Ultraschall konnte man erste Zähnchen erkennen. Nee, Quatsch, das Kind ist da. Ha, jawoll, am zwölften Tag ganz früh am Morgen. Und zwar genau so, wie wir uns das gewünscht hatten: im Geburtshaus, ohne Schmerzmittel, dafür mit viel Ruhe und wenig Kontrollapparaturen. Und danach zack nach Hause. Hat aufs allerschönste geklappt. Das hätte ich nie gedacht, dass ich mal ein versöhnliches Verhältnis zu ner Geburt entwickeln würde. Muss ich mir merken: Durch Schmerzmittel vernebelte Synapsen kappen zwar die Schmerzspitzen, aber halt auch die ultimativ große Freudeexplosion, wenn alles geschafft ist. Das war diesmal schon wirklich ein richtiger Knaller.

Am Nachmittag des elften Tages habe ich völlig entnervt eine schlimme, kotzenswürdige, große Menge an Rizinusöl-Sahne-Orangensaft und noch anderen Bestandteilen getrunken, die quasi sofort sehr eindrucksvoll kickte und die Dinge ins Rollen brachte.
Und seither sind wir zu viert. Die junge Dame konzentriert sich größtenteils auf ihre Kernkompetenzen Verdauen und Schlafen. Dazwischen ist sie relativ unruhig und bindet alle Kräfte, die sie kriegen kann.

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Hatte völlig vergessen, wie absolut nix mehr geht mit so einem neuen Menschen an Bord. Nur noch Nahrungslieferant, Körperpflegeassistent, Matratze sein. Hatte auch völlig vergessen, wie viele Baustellen am eigenen Körper bei so einer Geburt entstehen. Auch wenn die Verletzungen dieses Mal deutlich harmloser ausgefallen sind. Hatte vergessen, wie gut es sich anfühlt, ein pennendes Baby auf dem Bauch liegen zu haben. Und wie gemütlich es ist, zu Schnorchelgeräuschen einzuschlafen, die neben einem produziert werden. Verrückte Zeit grad.

Zum Stand

Bis Freitag wird noch gewartet, am Samstag erfolgen Maßnahmen. Was lustig wäre, wir hätten dann den gleichen Geburtstag.
Liebes Kind, ich bitte dich: Komm in meine Arme.

Ich bin der schwangerste Mensch der Welt.

Nix los

Tag ereignislos verstrichen. Habe als Zeichen guten Willens dann halt doch die Geburtshaustasche gepackt. Laangweilig.

Ich wär dann soweit

So. Jetzt hab ich aber wirklich alles erledigt, was es vor der Ankunft der jungen Dame noch so zu erledigen gab.
Ich weiß ja seit über neun Monaten, dass der Redaktionsschluss für zwei Kolumnen fast genau mit dem errechneten Geburtstermin zusammenfällt. Da könnte man ja meinen, dass ich ihn diesmal vielleicht nicht bis aufs letzte ausreize und bei der ganzen vielen freien Zeit der letzten Wochen und Monate die Texte einfach mal im voraus produziere. Könnte man meinen. Wäre sinnvoll. Aber selbst auf die nicht geringe Wahrscheinlichkeit hin, dass die Geburt früher stattfindet, konnte die Prokrastinationszentrale in mir nicht genug Stressoren aufbauen, um mich dann wirklich mal an die Arbeit zu machen. Und so habe ich die Deadline auch dieses Mal in äußerster Knappheit gehalten und kann nun ein paar Stunden lang in völliger Entspannung auf die Dinge warten, die hoffentlich bald so kommen.
Wobei sie gern noch ein, zwei Tage vertrödeln können. Ich bin in der grausamen Hitze des vergangenen Wochenendes mit einem Kühlakku im Nacken eingepennt und hatte beim Aufwachen direkt eine ordentliche Erkältung. Das ist dann die dritte in dieser Schwangerschaft. Die waren alle viel stärker als handelsüblicher Schnupfen. Richtig mit zwei Tagen grippeähnlichen Zuständen, wattiertem Kopf und verstopfter Nase aus der Hölle. Die verstopfte Nase ist noch da, mit der lässt sich vermutlich nicht besonders gut gegen Geburtswehen anatmen. Mal schauen. Ach, irgendwie wird’s schon gehen. Junge Dame, komm doch mal.

Hitzewetter

Also das waren heute ja wirklich heiße Verhältnisse da draußen. Eigentlich stand für die Mittagszeit ein Partypicknick im Stadtpark mit Kollegen an. Jemand hat nämlich gestern das Volontariat beendet und wir wollten den neuen Status als Redakteurin heute am ersten Tag feiern. Aber das haben sie dann ohne mich gemacht, mir wars einfach zu hitzig.

Processed with VSCOcam with m3 preset Ich lag dann bei mir im Garten unterm Ahorn und habe das getan, was ich seit dem Wochenende hauptsächlich den ganzen Tag über tue: Die Beachvolleyball-WM in den Niederlanden per halblegalem Livestream schauen. Die haben die Beachvolleyballfelder einfach in die Innenstädte Amsterdams, Rotterdams, Den Haags und Apeldoorns geknallt. Also jeweils über hundertdreißig Quadratmeter Sandfläche mitten rein in die schönsten architekturhistorischen Stadtkulissen. Die Kommentatorenspur kommt größtenteils aus Großbritannien. Das ist eine große Ohrenfreude, die machen das irgendwie anders als die Sprecher hierzulande. Begeisterter und erzählerischer.

Processed with VSCOcam with m3 presetDas Kind brachte ein interessantes Dokument aus dem Kindergarten. Zahn Nummer acht ist raus, der kleine Kiefer kommt mit seinem Wachstum nicht hinterher, die neuen Zähne interessiert das nicht. Wir werden einen Zahnarzt sehr glücklich machen.
Ich hab noch nicht nachgeschaut, wie viel Hühnerkeule um den eingewickelten Zahn noch drumherum ist. Das Kind berichtete von tumultartigen Zuständen beim Essen, jeder wollte sehen, wie das Eckzähnchen in der Keule steckte.

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Am schönsten waren die zwei Stunden im Quellwasser der Ems. Eisig kalt, voller Blutegel, mit kleinen Schnellen über rutschigen Steinen, genau wie ein Bach zu sein hat.